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„Erschütternd und inakzeptabel“In Lügde missbrauchte Kinder sollen endlich entschädigt werden

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Auf dem Campingplatz Eichwald in Lügde hängt vor dem versiegelten Campingwagen des Haupttäters eine Banderole mit der Aufschrift: «Polizeiabsperrung».

Auf dem Campingplatz in Lügde wurden Kinder über ein Jahrzehnt missbraucht.

Vier Jahre nach der Enttarnung der Täter haben die in Lügde missbrauchten Kinder noch keine Entschädigung erhalten. Nachdem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ über die Verzögerung berichtet hat, reagiert jetzt der NRW-Landtag.

Auf einmal geht es also doch. Es sei „erschütternd“, dass die auf einem Campingplatz in Lügde sexuell missbrauchten Kinder „bis heute noch keine Entschädigung erhalten haben“, räumt Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Donnerstagabend im Plenum des nordrhein-westfälischen Landtages ein. „Und es ist auch schwer zu verstehen, dass über die Anträge immer noch nicht entschieden wurde,“ ergänzt er.

Deutliche Worte statt Beschwichtigungen. Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hatte Laumann sich vor etwa drei Wochen nicht zu dem Thema geäußert. Und die Antwort seiner Pressestelle ließ damals jede Menge Verständnis für die quälend langsame Bearbeitung der Entschädigungsanträge durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) vermuten.

„Nach Kenntnis“ des Ministeriums stünden die zuständigen LWL-Mitarbeitenden doch „seit längerem in einem sehr engen persönlichen Kontakt mit den Familien der betroffenen Kinder und Jugendlichen und stimmen die notwendigen Ermittlungsschritte sowie unter anderem Untersuchungstermine eng ab“, hieß es. Und das Ministerium wiederum stehe „mit dem Landschaftsverband in einem fachlichen Austausch, um möglichst alle Beweiserleichterungsmöglichkeiten, die das Opferentschädigungsgesetz bietet, zugunsten der Betroffenen zu nutzen, damit die gestellten Anträge mit der gebotenen Sorgfalt, zugleich jedoch so schnell wie möglich beschieden werden können.“

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Minister: „Dauer schlicht inakzeptabel“

Derart lange und komplizierte Sätze, die nach Rechtfertigung und Floskeln klingen, benutzt Laumann im Plenum des Landtags aber nicht mehr. Hinter den Anträgen stünden schließlich „Menschen, die schweres Leid erlitten haben“, betont er. Es gehe um Kinder, „denen Unfassbares angetan wurde“, die Opfer von „widerwärtigen Verbrechen“ geworden sind.

Sicher, die schleppende Bearbeitung liege zum Teil zwar an den veralteten rechtlichen Rahmenbedingungen für die Opferentschädigung in Deutschland. Und es sei auch klar, dass die NRW-Verwaltungen sich an den geltenden Vorschriften orientieren müsse. Dass mittlerweile aber vier Jahre vergangen sind, seitdem die Täter enttarnt wurden, und drei Jahre, seitdem die ersten Entschädigungsanträge gestellt wurden, das sei „schlicht inakzeptabel, das darf einfach nicht sein“, sagt der Minister und ergänzt mit festem Blick in die Zuhörerschaft: „Deswegen sage ich hier auch ganz klar, dass ich davon ausgehe, dass sie im ersten Quartal des neuen Jahres abgearbeiter sein müssen.“  Zudem lasse er die bisherigen Abläufe überprüfen, um daraus dann „Lehren“ für die Zukunft zu ziehen.

Mit seinen Versprechen und Erwartungen, die auch eine klare Ansage an die Verantwortlichen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe sind, entspricht Laumann einem Antrag der schwarz-grünen Regierungsfraktion und der FDP im Landtag. Die Politiker hatten zuvor eine schnelle Entschädigung gefordert, als „ein deutliches Zeichen für die Betroffenen, die unfassbares menschliches Leid erfahren haben“. Die Fraktionen reagierten mit ihrer Forderung auf einen Artikel des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Nicht ein einziger der 31 in NRW nach dem Opferhilfegesetz gestellten Anträge sei bisher beschieden worden, hatte der für die Angelegenheit zuständige Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Mitte November auf Anfrage bestätigt.

Bei gut einem Drittel der Vorgänge scheitere es noch an Rückmeldungen der Antragsteller, die weiteren Fälle seien in der „administrativen und medizinischen Sachverhaltsaufklärung“. Die gesetzlichen Vorschriften zur Prüfung seien halt kompliziert, so ein LWL-Sprecher. Eine entsprechende „Sachverhaltsaufklärung“ erfordere daher „viele zeitintensive Einzelschritte und die Mitarbeit von Behandlern, Antragstellern und gegebenenfalls Erziehungsberechtigten“.

Sondersitzung des Untersuchungsausschusses

Zumindest in einem Fall sei einer Entschädigung mittlerweile zugestimmt worden, sagte Laumann jetzt im Landtag. Während die übrigen Anträge bei den hiesigen Behörden noch emsig geprüft werden, waren die niedersächsischen Ämter schon vor Wochen deutlich weiter. Für sechs der 13 dort lebenden Lügde-Opfer sei bereits eine Entschädigung bewilligt worden, teilte das dortige Landesamt für Soziales auf Anfrage unserer Zeitung mit. Und bei der noch nicht entschiedenen Hälfte der Anträge seien längst die entscheidenden Gutachten in Auftrag gegeben worden, die womöglich schon in den kommenden Wochen vorliegen könnten.

Nicht nur der Landtag in NRW beschäftigt sich dehalb jetzt mit den Abläufen. Um dieVorgensweise beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu hinterfragen, wird sich der „Parlamentarische Untersuchungsausschuss Kindesmissbrauch“ auf Antrag der SPD-Fraktion Anfang kommender Woche zu einer Sondersitzung treffen. Vier Zeugen sind geladen. Zwei Abteilungsleiter des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, der Anwalt eines Opferkindes sowie der Präsident des niedersächsischen Landesamtes für Soziales. In einem weiteren Antrag hatten die Sozialdemokraten von der Landesregierung zudem einen Sonderhilfefonds für dieLüdge-Opfer sowie eine „Ombudsperson“ gefordert, an die sich die Betroffenen wenden können.

Lüdge-Opfer sollen sich auch an eine Stiftung wenden

Dies jedoch lehnten die anderen Landtagsfraktionen ab. Bei Fällen, in denen das Opferentschädigungsgesetz nicht greife, könne zukünftig doch die Stiftung „Opferschutz NRW“ helfen, hieß es in einer Mitteilung von CDU, Grünen und FDP. Bis 2027 stünden der Stiftung, die sich in dieser Woche konstituiere, 16 Millionen Euro zur Verfügung.

In Lügde (Kreis Lippe) an der Grenze zu Niedersachsen waren über ein Jahrzehnt Kinder Opfer von schwerster sexueller Gewalt geworden. Das Landgericht Detmold verurteilte im September 2019 drei Täter zu hohen Haftstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung. Der Missbrauch hätte vermutlich viel früher gestoppt werden können, wenn die zuständigen Behörden mehrere Hinweise auf die Verbrechen in den Jahren zuvor nicht abgetan oder schlichtweg verschlampt hätten.

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