Der Verkauf von Rattengift an Privatleute soll verboten werden, um andere Tiere besser schützen zu können. Was hat das für Folgen? Viele NRW-Großstädte kämpfen schon jetzt mit einer übergroßen Rattenpopulation.
Laumann verteidigt Gift-VerbotDroht in den NRW-Städten eine Rattenplage?

Eine Ratte kommt aus ihrem Bau heraus. Dieses Exemplar wurde am Kölnberg in Meschenich gesichtet.
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Der Schrei der Mutter schreckt die Passanten auf. Die Frau mit dem Kinderwagen wollte am Zugang der S-Bahn-Station Köln-Hansaring eine Papiertüte wegwerfen, als ihr aus dem Mülleimer ein pelziges Nagetier entgegenspringt. „Verdammte Ratten“, schimpft eine ältere Dame, die die Szene beobachtet hat. „Alles gut?“, fragt sie die Mutter. Und stellt fest: „Die Viecher werden dreister.“
Unerwartete Begegnungen mit Ratten gehören für viele Menschen in den NRW-Metropolen zum Alltag. Pro Einwohner soll es drei bis vier Ratten geben, schätzen Schädlingsbekämpfer. Nun ist zu befürchten, dass die Zahl der Nager weiter zunehmen wird. Gemäß einer Vorgabe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) soll der Einsatz von Rattengift durch Privatpersonen untersagt werden. Eine umstrittene Maßnahme. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) verteidigt das Giftverbot.

Dietmar Brockes, umweltpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag.
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In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, erklärt Laumann, die Inhaltsstoffe und die Wirkungsweise des Rattengifts würden „eine Gefahr für Menschen und Nicht-Zielorganismen“ darstellen. Durch die häufige Verwendung der Wirkstoffe durch Privatpersonen bestehe die Gefahr einer „Resistenzentwicklung“. Laumann verweist auf eine Stellungnahme des Umweltbundesamtes. Danach bestehe das Risiko, dass zum Beispiel Hunde, Hasen oder Vögel die Köder direkt aufnehmen können. „Im Haus und Hofbereich sind neben Katzen und Hunden auch freilaufende Hühner und Schweine gefährdet, in Gärten und Parkanlagen auch Igel, Tauben oder Singvögel“, heißt es.
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Laut Branchenangaben werden derzeit rund 800.000 Rattenbefälle pro Jahr durch Privatpersonen bekämpft. Aus der Antwort der Landesregierung auf die Anfrage der Liberalen geht hervor, dass es zur regionalen Belastung keine Erkenntnisse gibt. „Die schwarz-grüne Landesregierung hat keine Ahnung, wie viele Ratten es gibt, wo sie auftreten oder ob genug Schädlingsbekämpfer bereitstehen“, sagt Dietmar Brockes, Sprecher für Umwelt, Natur- und Verbraucherschutz der FDP-Landtagsfraktion.
Dies sei „ein gefährlicher Blindflug“ auf Kosten von Gesundheit, Hygiene und Wohnqualität, ärgert sich der Liberale. Statt sich hinter der Bundespolitik zu verstecken, müsse das Land selbst aktiv werden und „eine realistische Strategie für den Infektions- und Hygieneschutz“ in den Städten und Gemeinden entwickeln. „Es darf nicht dazu kommen, dass Bürgerinnen und Bürger aus Hilflosigkeit zu illegalen Mitteln greifen – oder dass Ratten das Stadtbild prägen“, kritisiert Brockes. Derzeit verursacht die Beauftragung eines professionellen Schädlingsbekämpfers für Privatpersonen im Durchschnitt Kosten von rund 400 Euro pro Einsatz - und damit ein Vielfaches der Kosten der Eigenbekämpfung.
In einem Brandbrief weisen die von einem Verbot betroffenen Verbände und Gift-Hersteller darauf hin, in Deutschland würden jährlich etwa 1000 Fälle von rattenbedingten Erkrankungen registriert: „Ratten können bis zu etwa 120 Infektionskrankheiten übertragen, darunter potenziell tödliche Erreger wie SARS, Hantaviren oder Leptospiren“, heißt es. Besonders bedenklich sei zudem die Rolle, die Ratten als Zwischenwirte und Überträger von antibiotikaresistenten Keimen spielten.
Michaela Schmitten-Pitta ist die Geschäftsführerin des Rattengift-Herstellers SBM Science Life in Langenfeld. Sie weist darauf hin, dass das Gift seit Januar 2025 nur noch in speziellen Boxen an Privatleute verkauft werden darf. „Für Hunde und Katzen ist der Zugang zur Köderstation viel zu eng, sodass das Risiko einer Vergiftung gegen null tendiert“, sagt Schmitten-Pitta. Man gewinne den Eindruck, dass die Behörden ein deutliches Anwachsen der Population billigend in Kauf nehmen. Der Gesundheitsschutz der Menschen gerate „zunehmend aus dem Blick“, so die SBM-Managerin.

Knut Bramer ist IHK geprüfter Schädlingsbekämpfer aus Köln und Mitglied des Schädlingsbekämpfer Verbandes NRW.
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Professionelle Schädlingsbekämpfer halten ein Giftverbot für Privatpersonen hingegen für sinnvoll. „In einer Großstadt wie Köln ist die Bekämpfung ohnehin komplex und erfordert Fachwissen“, sagt Knut Bramer, Inhaber der Schädlingsbekämpfung „Mausfrei“. Bei Laien komme es häufig zu Fehlanwendungen, „etwa durch offene Auslage, unzureichende Nachkontrollen oder falsche Platzierung“, so Bramer. Entscheidend für den Erfolg der Rattenbekämpfung sei, dass es kommunale Strategien gebe, in einem Zusammenspiel von Ordnungsämtern, Stadtentwässerung, Wohnungswirtschaft und Fachbetrieben. „Nur wenn alle Ebenen koordiniert arbeiten, lassen sich Populationen langfristig eindämmen“, sagt der Schädlingsbekämpfer aus Köln.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) glaubt grundsätzlich nicht daran, dass es sinnvoll ist, chemische Substanzen im Kampf gegen die Nager zu verwenden. „Gifteinsatz ist nie zielführend oder hilfreich, wenn es darum geht, weniger Ratten haben zu wollen“, sagt BUND-Landeschef Holger Sticht. Dabei gehe es immer nur darum, nachweisen zu können, dass man „etwas getan“ habe: „Ob es was bringt, interessiert dann niemanden mehr.“