Die K-Frage bei „Maischberger“Fünf Gründe, warum Hendrik Wüst der bessere Kanzlerkandidat ist – und, warum er es nicht wird

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Im TV-Studio zu sehen: der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Hendrik Wüst (CDU) spricht mit Talk-Gastgeberin Sandra Maischberger.

Hendrik Wüst bei Maischberger – die Debatte, ob der NRW-Regierungschef der bessere CDU-Kanzlerkandidat wäre, flammt immer wieder auf. Nun hat er sie selbst wieder befeuert.

Will er, kann er, darf er? Über eine mögliche Kanzlerkandidatur des NRW-Ministerpräsidenten spekulieren nicht nur Merz-Kritiker gerne. Was dafür, was dagegen spricht – eine Analyse

Das Interview dauerte knapp 25 Minuten. Zehn Mal wurden die Äußerungen des NRW-Ministerpräsidenten durch spontanen Beifall unterbrochen. Die Zustimmung sei so lebhaft gewesen, als ob im Publikum nur CDU-Mitglieder gesessen hätten, sagte ein Mitarbeiter der Regierungszentrale von Hendrik Wüst am Tag nach dem Auftritt augenzwinkernd. Vor dem Bund-Länder-Treffen zur Migration hatte der Chef der schwarz-grünen Landesregierung in der Sendung „Maischberger“ seine Standpunkte klargemacht.

Klar, dass dabei auch die Frage nach der Kanzlerkandidatur aufkam. Wüst trank erstmal einen Schluck Wasser, antwortete dann mit seinem Standardspruch, er sei „gerne Ministerpräsident in NRW“, und dort gebe es noch „viel Arbeit“. Über die Kanzlerkandidatur werde erst nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland entschieden „Wichtig ist, wer Wählergruppen erreichen kann“, sagte Wüst. Die Union wolle wieder regieren, und: „Dann guckt die Partei natürlich auch drauf, wer hat gute Chancen, wer erreicht Wählerinnen und Wähler.“

„Lagerübergreifend Lösungen“ – ein Statement für die eigene Kandidatur?

Zuvor hatte der Politiker aus dem Münsterland die gute Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen in NRW gelobt. „Wir können Brücken bauen in ein Milieu, das weder die CSU noch die CDU in NRW alleine erreicht.“ Wüst hob es als eigenen Wert hervor, „wenn man in einer so polarisierten Zeit auch lagerübergreifend Lösungen erarbeiten“ könne. Statt „große Streitereien aufzuführen“ würde Schwarz-Grün die Energie ins Alltagsgeschäft stecken und versuchen, Probleme zu lösen.

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Ein Statement, das sich als Bewerbung für die Kanzlerkandidatur lesen lässt. Liebäugelt Wüst mit einem Wechsel nach Berlin? Eine Analyse:

Diese fünf Gründe sprechen für eine Kanzlerkandidatur von Wüst:

1. Die Demoskopie: Wüst ist beliebter als CDU-Chef Friedrich Merz und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er gilt als anschlussfähiger als der aktuelle gesetzte Kanzlerkandidat, ist für viele Menschen außerhalb von NRW ein neues, frisches Gesicht auf der politischen Bühne. Merz kann von der Ampel-Krise nicht profitieren. Trotz der Schwäche der Ampel-Koalition gelingt es ihm nicht, in den Umfragen nennenswerte Pluspunkte für die CDU zu sammeln. Im ZDF-Politbarometer vom Februar liegt Wüst klar vor Merz und dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Nach Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist der Münsterländer danach der zweitbeliebteste Politiker in Deutschland.

2. Wüst ist ein Brückenbauer. Obwohl er als Konservativer in der Union seine Karriere startete, agiert er jetzt als Mann der Mitte. Polarisierer gebe es schon genug, sagte Wüst bei Maischberger.

In Berlin würden die Grünen mit dem NRW-Ministerpräsidenten lieber koalieren als mit Merz, der die Ökos lange als Hauptgegner im Visier hatte. Auch zu FDP-Chef Christian Lindner hat Wüst einen engen persönlichen Draht aus der Zeit in der Landespolitik.

3. Wüst ist bei Wählerinnen beliebt. Und vor allem beliebter als Merz. Wüst unterstreicht bei jeder Gelegenheit seine Erfahrungen als junger Familienvater. Im Vergleich zu Merz kann er sich als glaubwürdiger und moderner Politiker inszenieren. Bei der Aufstellung der Liste für die Europawahl setzte er trotz erheblicher interner Widerstände eine Frauen-Quotierung auf den ersten Plätzen durch.

Bei der Landtagswahl 2022 hatten mehr Frauen als Männer für Wüst gestimmt. Laut einer Forsa-Umfrage bevorzugten 2023 quer durch alle Wählerschichten nur 16 Prozent der Frauen Merz (im Vergleich zu Olaf Scholz) als Kanzlerkandidat, bei den unter 44-Jährigen war die Quote noch geringer.

4. Wüst ist der „Anti-Scholz“. Im Gegensatz zu Kanzler Olaf Scholz, der Probleme mit der Kommunikation seiner Ziele hat, wirkt Wüst entschieden und zeigt klare Kante. So bezeichnet er die AfD als „Nazipartei“, der man durch politische Konzepte in der Flüchtlingspolitik den Nährboden entziehen müsse. Von Scholz gebe es aber „kein Bild, kein Ton“ und nur eine „kosmetische“ Politik, etwa wenn er behaupte, dass der Bund strenger abschieben würde.

Tatsächlich seien dafür die Kommunen zuständig, denen aber ohne Rückführungsabkommen die Handlungsmöglichkeiten fehlten. Im Vergleich zu seinem Vorgänger Armin Laschet spricht Wüst stets mit Bedacht und weiß, wie seine Sätze enden. Er versucht, geerdet und loyal zu wirken, etwa wenn er sagt, NRW-Landwirte hätten mit extremen Protestformen „nix am Kopp“.   

5. Wüst ist durchsetzungsstark. Wenn es darauf ankommt, ist Wüst zur Stelle. Als die Laschet-Nachfolge geregelt wurde, blieb er lange Zeit in der Deckung, sicherte aber hinter den Kulissen seinen Machtanspruch ab. Als es zum Schwur kam, waren seine innerparteilichen Gegner chancenlos. Wüsts Wille zur Macht wird auch bei Personalentscheidungen deutlich. Er platzierte in den Ministerien alte Vertraute aus seiner „Boy-Group“ auf wichtigen Positionen. Interner Streit und Ränkespiele, die über viele Jahre das Erscheinungsbild der NRW-CDU prägten, sind kaum noch wahrnehmbar.

Diese fünf Gründe sprechen gegen eine Kanzlerkandidatur von Wüst:

1. Die aktuelle Lage: Merz ist als Kanzlerkandidat kaum noch zu verhindern. Als Partei- und Fraktionschef der CDU im Bund ist Friedrich Merz der „geborene“ Kanzlerkandidat. Der Sauerländer will unbedingt gegen Scholz in den Ring steigen und nur skandalöse Enthüllungen oder ein schlimmer Fehltritt könnten seine Kandidatur noch verhindern.

2. Fairness: Wüst ist nicht geneigt, gegen Merz zu putschen. Vor der Bundestagswahl 2021 gab es einen erbitterten Machtkampf zwischen Armin Laschet und Markus Söder um die Kanzlerkandidatur, der der Union insgesamt schwer geschadet hat. Eine Wiederholung eines solchen Duells will in der Union diesmal niemand erleben. Sollte Wüst Bundeschef Merz attackieren, würden ihm das viele übelnehmen. Der Rückhalt in der Gesamtpartei wäre nicht sicher, wenn die Entscheidung über die K-Frage durch eine Kampfabstimmung erfolgen sollte.

3. Loyalität gegenüber dem Land: Wüst will die NRW-CDU nicht im Stich lassen. Wie beim Abgang von Laschet wäre auch bei einem Wechsel von Wüst in die Bundespolitik die Nachfolge nicht geregelt. Es gibt derzeit keinen eindeutigen „Thronfolger“. Hoffnungsträger Nathanael Liminski, der Chef der Staatskanzlei, muss noch an seiner Popularität arbeiten – und verfügt derzeit über keinen Sitz im Landtag, der nötig wäre, um Wüst während der laufenden Legislaturperiode nachzufolgen.

4. Vorsicht aus Erfahrung: Wüst will nicht in die „Laschet-Falle“ tappen. Selbst, wenn Merz überraschend nicht für eine Kandidatur zur Verfügung stehen sollte, wäre die Wahl von Wüst zum Bundeskanzler kein Selbstläufer. Sollte sich die außenpolitischen Krisen – etwa durch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und oder durch eine Eskalation des Ukraine-Konflikts – verschärfen, könnte dies die Position von Bundeskanzler Olaf Scholz stärken. Er könnte verstärkt mit seiner Besonnenheit punkten, die über die politischen Lager hinweg geschätzt wird.

5. Wüst hat alle Zeit der Welt. Er ist „erst“ 48 Jahre alt. Selbst wenn Merz Bundeskanzler würde, wäre Wüst noch jung genug, um dereinst dessen Nachfolge antreten zu können. Statt das Risiko einzugehen, schon 2025 zu kandidieren, könnte er gelassen in NRW weiter regieren und seine Position in der Bundes-CDU durch einen Wiedersieg bei der NRW-Wahl 2027 ausbauen. Wüst bleibt Zeit, sich im bisher möglichen Rahmen um seine Familie kümmern zu können. Als Bundeskanzler würde er seine kleine Tochter wohl nur selten sehen.

Fazit: Derzeit überwiegen die Gründe, die gegen eine Kanzlerkandidatur von Wüst sprechen. Sollte die Europawahl aber verloren gehen und sich auch die Abstimmungen in den Ostländern zu einem Desaster für die CDU entwickeln, würde das eine Diskussion um die Zukunft von Merz anfachen. Wohin der Weg bei der CDU letztendlich führt, wird sich also erst im Herbst klären.

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