Olaf Scholz im BundestagNach der Zeitenwende jetzt ein „Deutschland-Pakt“

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Redemanuskript im Bundestag. Nach einem Sturz beim Joggen trägt er noch eine Augenklappe.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Redemanuskript im Bundestag. Nach einem Sturz beim Joggen trägt er noch eine Augenklappe.

Der Bundeskanzler zieht im Bundestag ein Angebot aus dem Hut. Seine Aufforderung zur Zusammenarbeit zeigt, wie ernst er die Lage für Deutschland einschätzt.

Olaf Scholz fasst sich immer wieder an seine Augenklappe. Er prüft, ob sie noch richtig sitzt. Ob die Verletzung, die er sich neulich bei einem Sturz zugezogen hat, wirklich dahinter verschwindet.

Das Land ist in der Krise, der Kanzler will sich keine Blöße geben. Die Umfragewerte für seine SPD und die ganze Regierung sind schlecht. Jetzt zur Mitte der Legislaturperiode haben SPD, Grüne und FDP demnach keine Mehrheit mehr. Die AfD hingegen ist oben auf. Die Bevölkerung will eine Antwort auf die vielen ungelösten Fragen haben. Scholz versucht es am Mittwoch in der Generalaussprache über den Bundeshaushalt mit einem Wort: „Deutschland-Pakt“.

Scholz' „Deutschland-Pakt“: Ein ungewöhnliches Angebot

Es ist ein ungewöhnliches Angebot an alle Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, den Regierenden in den Landkreisen und Städten und ausdrücklich auch mit Unionsfraktionschef Friedrich Merz, dem Scholz gerade noch vorgeworfen hat, „Popanze“ aufzubauen. Der hatte ihm zuvor eine Unterfinanzierung der Bundeswehr vorgeworfen – trotz des genehmigten 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Verteidigung.

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Der Bundeshaushalt werde der „Zeitenwende“-Rede des Kanzlers nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine nicht gerecht. Merz beklagt ferner, die Leistungen für Bürgergeld-Empfänger seien bald so hoch, dass sich für manch einen das Arbeiten nicht mehr lohne. „Die Menschen sind nicht faul, sie können einfach rechnen“, stellt er fest.

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel am Mittwoch im Bundestag.

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel am Mittwoch im Bundestag.

Nun reicht der Bundeskanzler dem Oppositionsführer, seiner Union und den anderen demokratischen Parteien im Land die Hand: In einer „nationalen Kraftanstrengung“ will Scholz parteiübergreifend die „Kräfte bündeln“ und Deutschland „schneller, moderner und sicherer“ machen.

Dazu zählt für ihn: Kommunikation zwischen Behörden und Bürgern verbessern, Planungs- und Genehmigungsverfahren durch Digitalisierung beschleunigen, Wohnungsbau und Straßen- und Schienenprojekte schneller genehmigen, das digitale Beantragen vom Wohngeld bis zum Bürgergeld. Ebenso die Anmeldung eines Unternehmens. Bürokratie bei der Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland abbauen und zugleich Migranten schneller abschieben, die kein Bleiberecht haben.

Ein Angebot, das sich kaum ablehnen lässt

Nach Deutschland-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr und Deutschland-Tempo für den schnellen Bau von Flüssiggas-Terminals nun  also ein Deutschland-Pakt. Als erster Redner der Union kann CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt auf das Angebot reagieren – und kann es kaum ablehnen. Denn es macht sich nicht gut, wenn ein Bundeskanzler die Opposition einbinden will und diese sich wegduckt, obwohl der eigene Fraktionschef wenige Minuten zuvor Missstände kritisiert hat, die mit dem Deutschland-Pakt gelöst werden sollen.

So erklärt Dobrindt die Bereitschaft von CDU und CSU mitzumachen. Allerdings unter einer Bedingung: „Dann reden wir aber zuerst über die Flüchtlingskrise.“ Es brauche Grenzkontrollen zu Polen – von dort kämen mehr als die Hälfte der Flüchtlinge, sagt er.

Scholz hatte jedoch in seiner Rede Forderungen nach neuen Schlagbäumen zwischen den Mitgliedstaaten als „mutwillige Wohlstandsvernichtung“ und „die selbst ernannte Alternative“ als „Abbruchkommando“ bezeichnet. Die AfD erwähnte er nicht explizit, aber man konnte annehmen, dass er sie meint.

Ordnungsruf im Bundestag: „Eine Pfeife“

Dobrindt sagt es trotzdem so. Er lässt eine Zwischenfrage der AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch zu, die ihm vorhält, dass er jetzt das verlangt, was die AfD von der Union forderte, als sie noch regierte. Dobrindt schießt zurück, die AfD verrate den Patriotismus, woraufhin der AfD-Politiker Stephan Brandner Dobrindt „eine Pfeife“ nennt. Was Brander wiederum einen Ordnungsruf von Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas einträgt.

AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla fordert die Abschaffung der CO2-Abgabe und ein Stopp des Heizungsgesetzes und sowieso Neuwahlen. Über Merz, der sich einst zutraute die AfD zu halbieren, macht er sich so lustig: Der „mauert an seinem Brandmäuerchen herum“. Und Häme für den Kanzler hat er auch: „Öffnen Sie, wenn sie wieder können, beide Augen und kümmern Sie sich um die deutsche Wirtschaft.“

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge analysiert, Chrupalla habe selbst nichts zur Wirtschaftspolitik gesagt. Merz wirft sie einen „gefährlichen Weg“ vor, weil er am Montag bei einem Frühschoppen erklärte, nicht (Berlin)-Kreuzberg sei Deutschland, sondern Gillamoos (im niederbayerischen Abensberg). „Was macht die Menschen im bayerischer Bierzelt deutscher?“, will sie wissen. Für eine Volkspartei wie die CDU müsse beides zu Deutschland gehören. Sonst spalte sie das Land.

Und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warnt Merz, die SPD werde den Sozialstaat nicht zum Sündenbock machen lassen. „Auch wir haben eine Schmerzgrenze.“ Das wird wohl schwierig mit dem Deutschland-Pakt.

Scholz mahnt, Menschen sagten ihm: „Sorgt dafür, dass Deutschland wieder auf Vordermann kommt.“ Er sitzt wieder auf der Regierungsbank, steckt sich verstohlen etwas in den Mund. Womöglich eine Schmerztablette. Bloß keine Schwäche zeigen. Seine Medizin für das Land: „Tempo statt Stillstand, Handeln statt Aussitzen, Kooperation statt Streiterei“ sein. Er weiß, dass er das nicht alleine schaffen kann.

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