Alice Hasters„Eine feministische Ecke priorisiert die Perspektive weißer Frauen“

Lesezeit 6 Minuten
Alice_Hasters2

Die Autorin Alice Hasters

Berlin – Frau Hasters, der Feminismus ist zu weiß, kritisieren Frauen in Deutschland. Finden Sie das auch?

In jedem Fall ist der Feminismus, der Aufmerksamkeit bekommt und Einfluss hat, zu weiß. Es wird oft übersehen, dass nicht weiße Frauen, queere und Transfrauen immer schon sehr stark im Einsatz waren – im Kampf für gleiche Rechte und in der Frauenbewegung. Ich würde nicht sagen, der Feminismus ist insgesamt zu weiß, aber er wird zu weiß gedacht. Und es gibt auf jeden Fall eine feministische Ecke, die die Perspektive von weißen Frauen stark priorisiert. Das ist der dominante Feminismus.

Wen genau meinen Sie damit?

Klar denkt man an Alice Schwarzer. Sie war ohne Frage eine sehr wichtige Figur in der Frauenbewegung. Aber es ist sehr deutlich, dass sie die Perspektive von bestimmten Frauen ignoriert oder sogar aktiv gegen sie arbeitet. In der Zeitschrift „Emma” gibt es definitiv eine transfeindliche Berichterstattung. Transidentität wird dargestellt, als wäre es bloß ein Hype oder gefährde sogar die Jugend.

Beziehen Sie diese Kritik an Alice Schwarzer auch auf *Schwarze Frauen?

Mir ist auch nicht bekannt, dass Alice Schwarzer viel für Schwarze Frauen gemacht hat. Soweit ich weiß, war sie nicht wirklich verbandelt mit der afrodeutschen oder Schwarzen Frauenbewegung, die sich in den Achtzigerjahren hier etabliert hat, mit Peggy Piesche, Katharina Oguntoye und anderen.

„Schwarzer Feminismus versteht, dass sich verschiedene Diskriminierungen überschneiden“

Es gibt das berühmte Zitat von Audre Lorde „Black feminism is not white feminism in black face” (Schwarzer Feminismus ist nicht weißer Feminismus mit schwarzer Schminke). Wie sieht Schwarzer Feminismus aus?

Schwarzer Feminismus hat verstanden, dass sich verschiedene Arten von Diskriminierungen überschneiden und wiederum eigene Erfahrungen ergeben können. Das Stichwort dazu heißt Intersektionalität. Nehmen wir nur Sojourner Truth. Sie hat sich als afroamerikanische Aktivistin im 19. Jahrhundert zugleich für die Rechte von Sklaven und Frauen eingesetzt. In ihrer berühmten Rede „Ain’t I a woman” hat sie Frauen jeder Hautfarbe, jeden Glaubens, jeder Ethnie aufgefordert, füreinander zu kämpfen. Oder Audre Lorde. Sie hat gesagt: „Ich bin nicht frei, solange andere Frauen unfrei sind, auch wenn ihre Fesseln andere sind.” Dieser Kampf für die Gleichberechtigung aller zeichnet die Schwarze Frauenbewegung schon sehr früh aus.

Wie ist das bei weißen Frauen?

Es gibt viele weiße Frauen, deren Blick im Kampf um mehr Gleichberechtigung sich hauptsächlich auf Männer, insbesondere weiße Männer, richtet. Was haben sie, was ich nicht habe? Warum werden sie besser bezahlt? Warum muss ich neben der Arbeit den Haushalt machen, die Kinder versorgen? Aber wenn diese weißen Frauen es neben Arbeit und Kindern nicht mehr schaffen, die Wohnung zu putzen, wen stellen sie dann ein? Migrantinnen, Schwarze Frauen. Es wäre wichtig, wenn weiße Feministinnen das stärker bedenken.

Viele Schwarze Frauen reden mit ihresgleichen über ganz andere Diskriminierungserfahrungen als mit weißen Frauen. Geht Ihnen das auch so?

Der Schwarze Feminismus kommt aus einer Geschichte von Frauen, die immer wahnsinnig viel gearbeitet haben. Sie mussten die Arbeit mit der niedrigsten Stellung machen, Care-Arbeit nicht nur für ihre eigene, sondern auch noch für weiße Familien. Diese Last wird im Schwarzen Feminismus oft zentriert. Das Gefälle von arm und reich ist wichtig. Im weißen Feminismus dagegen sitzt die Hausfrau in den Fünfzigerjahren, überspitzt formuliert, im goldenen Käfig bei ihrem weißen Mann im Haus – und will sich befreien, will andere Arbeit als Haushalt und Kinder. Das sind zwei sehr verschiedene Sichten auf Gleichberechtigung und Unterdrückung.

Wo ordnen Sie sich selbst ein? Sie sind Akademikerin. Wie sind Sie aufgewachsen?

Ich zähle meine Familie zu einer kleinen Schicht von Bohème-Leuten. Ich bin Kind eines Künstlers und einer Künstlerin, die immer an sehr prestigeträchtigen Orten gearbeitet haben, Salzburger Festspiele, Pina Bausch, Opern- und Theaterhäuser. Aber wir hatten wenig Geld. Ich musste immer viel arbeiten, viel früher als andere Jugendliche, damit wir über die Runden kommen.

Was haben Sie gemacht?

Als meine Eltern merkten, dass sie ihre drei Kinder nicht mit freier Kunst über die Runden bringen konnten, übernahm mein Vater ein Café. Dort habe ich geholfen. Ich habe Flaschen sortiert. Mit 17 habe ich nach der Schule nachmittags statt zu lernen bei H&M Klamotten gefaltet. Ich habe Bafög bekommen. Aber ich habe mein Studium auch mit Kellnern verdient. Es war anstrengend, nach den Vorlesungen noch Nachtschichten einzulegen.

Können Sie ein Beispiel für eine Diskriminierung nennen, die einem weißen Mädchen nicht widerfahren wäre?

Ich wollte als Teenager Schauspielerin werden. Meine Eltern waren eigentlich gut verbunden in die Film- und Theaterszene. Ich war in einer Casting-Agentur, um vermittelt zu werden. Manchmal gab es sogenannte Open-Calls. Da hieß es: Schicken Sie uns alle Mädchen zwischen zwölf und 15. Wenn ich kam, hieß es: Die Alice muss nicht mehr kommen. Wenn wir Open-Call sagen, meinen wir eigentlich weiße Mädchen.

Hat man Ihnen das denn damals so offen gesagt?

Meine Mutter hat mir das gesagt, nachdem ich aus der Casting-Agentur geflogen bin, weil ich nicht vermittelt werden konnte. Ich habe einmal eine Rolle bekommen, als Kind einer von Nazis verfolgten Familie. Aber ein Mädchen auf dem Schulhof, ein Mädchen in einer Teeniekomödie, ein Mädchen, das sich verliebt, dafür war ich nicht vorgesehen. Da hieß es, wenn wir Alice nehmen würden, müssten wir erklären, wo sie herkommt. Das wäre zu kompliziert.

Wie ist das heute, als Erwachsene?

Der Körper einer Frau ist immer ein Politikum, aber der Körper einer Schwarzen Frau ist es noch mal auf eine ganz andere Weise. Wenn es um Haare geht beispielsweise, darum, dass jemand sie einfach so anfasst, kommentiert. Wenn jemand wegen seiner Hautfarbe, Gesichtszüge oder Figur als unintelligenter wahrgenommen wird als andere. Schwarze Frauen bekommen oft komische, ambivalente Signale. Sie werden aufgrund ihres Körpers hypersexualisiert. Zugleich werden sie oft als maskuliner und damit zugleich aggressiver wahrgenommen.

Was wünschen Sie sich für Schwarze Frauen in der Frauenbewegung?

Ich glaube, wirkliche Gleichberechtigung kann man nur erlangen, wenn man die verschiedenen Perspektiven so berücksichtigt, dass Neues entsteht. Wenn man den Kampf von Schwarzen Frauen für weniger Arbeit ernst nimmt, ist die männliche, Dax-notierte Führungsposition vielleicht gar nicht mehr so erstrebenswert. Vielleicht ist der Dax-Vorstand sogar das Problem. Die Welt wird durch mehr Per­spektiven komplizierter. Aber in der Astrophysik sagt man ja auch nicht, das ist so komplex, das lassen wir jetzt.

Was können Frauen, Schwarze und weiße, gegen Diskriminierung tun?

Sie sollten ihre Privilegien überdenken. Ich habe auch Privilegien. Ich habe ein Schwarzes, aber auch ein weißes Elternteil. Ich kenne bestimmte weiße Codes. Manche Menschen sagen zu mir, „Du hast eine hellere Haut als andere”, und meinen es als Kompliment. Ich bin nicht behindert. Ich bin heterosexuell. Das alles beeinflusst meine Erfahrung. Das muss ich neben meinem Schwarzsein auch auf dem Schirm haben. Ich denke, wenn ich das kann, können weiße Frauen das auch.

* Das Wort „Schwarz” (mit großgeschriebenem S) ist in diesem Interview eine Bezeichnung, die nicht die Hautfarbe meint, sondern eine Verbundenheit mit ähnlichen rassistischen Erfahrungen. Wir haben diese Schreibweise auf Wunsch von Alice Hasters übernommen.

KStA abonnieren