Corona, AffenpockenWerden immer mehr Krankheiten von Tieren auf Menschen übertragen?

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Elektronenmikroskopische Aufnahme von Affenpockenviren.

  • Nach der Vogelgrippe das Coronavirus und nun die Affenpocken.
  • Treten Zoonosen immer häufiger auf? Vermutlich schon, sagen Experten und Expertinnen.
  • Das liegt vor allem an zwei Faktoren.

Wie genau Sars-CoV‑2 entstanden ist, weiß bis heute niemand. Ziemlich sicher kam das Virus in seiner ursprünglichen Form aber zunächst bei Fledermäusen vor. Es handelt sich um eine Zoonose – eine Infektions­krankheit, die von Tieren auf den Mensch übergehen kann und umgekehrt. Ähnlich ist es auch bei den Affenpocken. Diese wurden zunächst von Tieren auf den Menschen übertragen, nun kommt es auch außerhalb Afrikas verstärkt zu einer Ansteckung von Mensch zu Mensch. Werden Zoonosen künftig häufiger auftreten? Darauf deutet einiges hin.

Schon zu Beginn der Coronavirus-Pandemie hatten die Vereinten Nationen (UN) einen Report veröffentlicht, in dem vor der wachsenden Gefahr durch neue Zoonosen gewarnt wird. Darin schildern Experten und Expertinnen des Umwelt­programms der UN (Unep), wie menschliches Verhalten und der Klimawandel das Auftreten neuer Seuchen begünstigen.

Häufig Übertragung von Nutz- und Haustieren

Zoonosen sind kein Phänomen der Neuzeit. Etwa 60 Prozent der heute bekannten Infektions­krankheiten bei Menschen kamen zuerst bei Tieren vor. Laut Unep ist aber eine Zunahme zu beobachten: Rund 75 Prozent aller Infektions­krankheiten, die neu beim Menschen auftreten, stammen inzwischen von Tieren. Längst nicht jede Zoonose wird in der Folge auch eine Endemie oder Pandemie auslösen. Diese Gefahr besteht nur dann, wenn ein krankmachender und für Menschen neuer Erreger auch von Mensch zu Mensch besonders leicht weitergegeben wird.

Am häufigsten werden Zoonosen von Haus- und Nutztieren an den Menschen weitergegeben. Diese können als Brücken­überträger dienen: Erreger springen von Wildtieren zunächst auf ihre domestizierten Artgenossen und von diesen auf den Menschen über. Ein Beispiel hierfür ist die Vogelgrippe. Sie wird von Wildvögeln auf Hühner und Puten übertragen, bei denen sich wiederum Menschen anstecken können. Der direkte Übergang von Wildtier­infektionen auf den Menschen sei hingegen seltener, so die Unep.

Einige verheerende Seuchen der Vergangenheit waren Zoonosen. Darunter die Pest, die von Ratten über Flöhe und Läuse auf den Menschen übertragen wurde, oder die Spanische Grippe, die vermutlich von Vögeln stammte. Auch die Tuberkulose wurde früher anders als heute oft von Tieren auf den Mensch übertragen, vor allem von Rindern. Bei einigen Erregern liegt das Überspringen auf den Menschen lange zurück: Die Masern sollen einer Studie zufolge schon etwa 600 Jahre vor Christus von Rindern auf den Menschen übergegangen sein.

Diese Faktoren vergrößern das Risiko

In ihrem Report hat die Unep die wichtigsten Gründe dafür beschrieben, dass Zoonosen in Zukunft noch öfter als bisher auftreten könnten. Eine der Ursachen sei, dass in vielen Ländern mit geringerem und mittlerem Einkommen die Nachfrage nach Fleisch und tierischen Lebensmitteln wächst. Damit geht eine Intensivierung von Tierhaltung und Land­wirtschaft einher, die Risiken birgt. Nutztiere, die auf engstem Raum gehalten werden und sich noch dazu genetisch ähnlich sind, sind viel weniger widerstandsfähig gegen Krankheiten. Da Fleisch möglichst billig produziert werden soll, werden Abfälle zudem oft unsach­gemäß entsorgt und Nutz­tier­krankheiten durch den Einsatz von Medikamenten verdeckt.

Außerdem gebe es heute lange, länder­über­greifende Ketten bei der Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln, wodurch die Möglichkeit von Verunreinigungen steigt. So können zum Beispiel Salmonellen­bakterien von Nutztieren durch verunreinigte Lebensmittel auf den Mensch übertragen werden. Noch ein Grund für das zunehmende Zoonose­risiko: Die Städte wachsen, und der Mensch dringt immer stärker in Wälder und andere natürliche Habitate für Wildtiere ein. Dadurch kommen Nutztiere, Wildtiere und Menschen häufiger in Kontakt und die Wahrscheinlichkeit nimmt zu, dass sie Krankheits­erreger austauschen.

Marburg-Virus von Laboraffen übertragen

Weitere Risikofaktoren sind das Essen von Wildtieren und der Handel mit wilden Tieren sowie ihre Haltung in Zoos oder als Haustiere. Bei einem der letzten Ausbrüche von Affenpocken in den USA waren diese zum Beispiel durch infizierte Präriehunde aus Afrika eingeschleppt worden. Aber auch Labortiere sind eine mögliche Quelle von Krankheits­erregern. So war das hochgefährliche Marburg-Virus 1967 erstmals in Deutschland ausgebrochen – auf Menschen übertragen wurde es damals wahrscheinlich von Laboraffen, an denen Impfstoffe getestet werden sollten.

Auch bei Sars-CoV‑2 gab es die Hypothese, dass das Virus bei einem Laborunfall entwichen sein könnte. So wurde in einem Labor in der Nähe des ersten größeren Ausbruchs in Wuhan mit Fledermaus-Coronaviren geforscht. Belegt werden konnte diese Theorie aber bisher nicht, den chinesischen Behörden zufolge gab es keinen solchen Unfall.

Eine wichtige Rolle spielen außerdem Reisen und der internationale Warenverkehr. Tiere und tierische Produkte werden von einem Kontinent zum nächsten verschifft. Die Dauer der meisten Reisen ist heute kürzer als die Inkubationszeit vieler Krankheitserreger. Das heißt, dass sich Seuchen unbemerkt von einem Land zum nächsten oder sogar weltweit ausbreiten können.

Nicht zuletzt kann der Klimawandel das Auftreten neuer Zoonosen fördern. Viele Infektions­erreger vermehren sich bei wärmerem und feuchterem Wetter besser. Außerdem verschieben sich durch die Erd­erwärmung die Habitate von Wildtieren. So konnte eine Studie zeigen, dass infolge des Klimawandels besonders viele verschiedene Fleder­maus­arten in einer bestimmten Region Südchinas leben. Diese können Viren untereinander austauschen. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein neues Virus mit veränderten Eigenschaften entsteht, das auch für Menschen gefährlich werden kann. Ob das zur Entstehung von Sars-CoV‑2 beigetragen hat, lässt sich aber nicht mit Sicherheit sagen: Seine Ursprünge sind noch immer nicht vollständig geklärt.

Naturschutz beugt neuen Zoonosen vor

Indirekt werden Zoonosen häufig von Insekten wie Mücken, Stechfliegen oder Zecken übertragen. Auch hierbei zeigt sich bereits eine Auswirkung von Klimawandel und Globalisierung. So ist in einigen Regionen Deutschlands heute die asiatische Tigermücke heimisch, die über den internationalen Warentransport einge­schleppt wurde. In wärmeren Ländern können Tigermücken tropische Krankheiten wie das Zikavirus, das Chikungunya­virus, Denguevirus und das West-Nil-Virus von Tieren auf den Mensch übertragen, bei uns hingegen noch nicht. Wenn es in Deutschland noch wärmer wird, könnte das aber passieren. Seit 2019 sind in Deutschland bereits einige Infektionen mit dem West-Nil-Virus aufgetreten, die durch die gemeine Stechmücke von Zugvögeln oder Pferden auf Menschen übertragen wurde.

Die Autoren und Autorinnen des Unep-Reports schlagen auch Maßnahmen vor, um die Verbreitung neuer Zoonosen zu verhindern. Neben der besseren Überwachung und Erforschung von Erregern und der Lebens­mittel­kette fordern sie mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit, um die natürlichen Lebensräume für Wildtiere zu erhalten. „Wenn wir weiterhin die Tierwelt ausbeuten und unser Ökosystem zerstören, können wir damit rechnen, dass in den kommenden Jahren eine Flut von Krankheiten von Tieren auf den Menschen überspringen wird“, sagte Inger Andersen, Leiterin des Unep-Programms, in einer Stellungnahme zu den Ergebnissen des Reports. In Bezug auf die Corona-Pandemie warnte Andersen: „Um zukünftige Ausbrüche zu verhindern, müssen wir mehr dafür tun, die Natur zu schützen.“

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