Corona-KriseErdogan attackiert Ärzte: „Feinde der Türkei“

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Recep Tayyip Erdogan

Es war eine gewaltige Diskrepanz, die dem Oppositionsabgeordneten Murat Emir Ende September auffiel. Der Politiker war in den Besitz einer internen Statistik des türkischen Gesundheitsministeriums gelangt. Aus dem Zahlenwerk ging hervor, dass es am 10. September 2020 in der Türkei 29.377 positive Corona-Tests gab.

Der Öffentlichkeit meldete das Ministerium aber für denselben Tag nur 1512 Neuinfektionen. Mit den widersprüchlichen Zahlen konfrontiert, musste Gesundheitsminister Fahrettin Koca wenig später gestehen, dass sein Haus die Corona-Zahlen schon seit Ende Juli geschönt hat: Statt neuer Infektionen meldete das Ministerium nur Patienten, die auch Symptome zeigen. Koca begründete die Manipulationen mit „nationalen Interessen”. Er wollte wohl sein Land für den Tourismus schön rechnen.

Türkische Regierung verschleiert offenbar die Verbreitung

Das Gesundheitsministerium verschwieg Corona-Fälle Für die türkische Ärztevereinigung TTB kam die Enthüllung nicht überraschend. Sie hatte seit Beginn der Pandemie den Verdacht geäußert, die Regierung verschleiere die Verbreitung des Virus. Die TTB kritisiert, die offizielle Statistik sei „undurchsichtig”. Sie schätzt, dass Gesundheitsminister Koca in den vergangenen Monaten etwa 350.000 Corona-Fälle verschwiegen hat.

Für den seit jeher regierungskritischen Medizinerverband könnte die Kontroverse das Aus bedeuten. In der Führung des TTB hätten sich „Feinde der Türkei eingenistet”, der Verband, der „Terrorismus predigt”, müsse geschlossen werden, fordert Devlet Bahceli, Chef der ultra-nationalistischen Partei MHP und Koalitionspartner Erdogans.

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Der Staatschef selbst hieb in die gleiche Kerbe. Besonders die neue TTB-Vorsitzende Sebnem Korur Fincanci ist Erdogan ein Dorn im Auge, weil sie sich als Gerichtsmedizinerin für Folteropfer einsetzte und Menschenrechtsverletzungen aufdeckte. Dass die Professorin für Rechtsmedizin eine international führende Expertin für Folterdokumentation ist und als Präsidentin die türkische Menschenrechtsstiftung führt, dürfte Erdogan ebenfalls nicht gefallen. Für ihn ist Fincanci eine “Terroristin”. Der Staatschef fragte: „Können wir unsere Patienten solchen Leuten überlassen?”

Erdogans Warnschuss an alle Regierungskritiker

Nach den Anwälten geraten die Ärzte ins Visier Erdogan forderte jetzt das Parlament auf, unverzüglich ein Gesetz zu verabschieden, das die, wie er sagt, „unerträglichen“ Aktivitäten der Ärztevereinigung beendet. Ein ähnliches Gesetz hatte das Parlament bereits im Juli verabschiedet, um den Einfluss der ebenfalls überwiegend regierungskritischen türkischen Anwaltskammern zu beschneiden.

Das neue Gesetz ermöglicht die Gründung konkurrierender, regierungstreuer Kammern. Kritiker sehen darin einen weiteren Schritt zur Gleichschaltung der türkischen Justiz. Mit der Attacke auf die Ärztevereinigung sollen wohl nicht nur unliebsame Mediziner zum Schweigen gebracht werden. Sie ist auch ein Warnschuss für andere regierungskritische Verbände wie die türkische Architektenkammer, die Ingenieursvereinigung und den Industrieverband Tüsiad.

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