DFL-Chef Christian Seifert„Wir haben jeden Tag Fehler gemacht“

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Christian Seifert

Ein Jahr ist es her, dass die Fußball-Bundesliga nach ihrer Corona-Auszeit wieder starten durfte. Die Öffnung ist auch ein Erfolg von DFL-Boss Christian Seifert. Im Interview zieht er kritisch Bilanz und spricht exklusiv über die vielen Brennpunkte im Profifußball dieser Zeit.

Herr Seifert, als es am 16. Mai 2020 wieder losging mit der Bundesliga, sagten Sie: „Wir spielen auf Bewährung.“ Würden Sie heute, ein Jahr später, die Bewährung wegen guter Führung erlassen?

Die Klubs, ihre Spieler, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die medizinische Task Force und die vielen weiteren Beteiligten haben das Vertrauen, das die Politik ihnen entgegengebracht hat, gerechtfertigt. Die Konzepte waren öffentlich einsehbar, wurden mit staatlichen Stellen abgestimmt und zur Blaupause für andere Industriezweige sowie einige andere Sportarten weltweit. Insofern war es aus meiner Sicht eine richtige Entscheidung, die Bundesliga und die 2. Bundesliga wieder spielen zu lassen.

Können Sie Hoffnung machen, dass bald wieder Zuschauer in die Stadien dürfen?

Als Bürger, Familienvater und soziales Wesen wünsche ich mir, dass das Schlimmste jetzt wirklich überwunden ist. Was den Profifußball und Zuschauer angeht, wünsche ich mir sehr – das gilt aber für alle Sportarten, für Kinos, Theater, Konzerte und andere Veranstaltungen –, dass sie bald wieder zugelassen werden. Als wir am 16. Mai 2020 erstmals wieder gespielt haben, waren wir die erste große Profiliga der Welt, die starten durfte. Der Re-Start war damals – auch in der weltweiten Wahrnehmung – ein Gradmesser dafür, dass Deutschland diese Krise bis dahin besser gemeistert hatte als andere. Ein Jahr später sind andere schon deutlich weiter, wenn es darum geht, wieder Zuschauer zulassen zu dürfen. Würde man die Bundesliga als Gradmesser dafür heranziehen, wie wir durch diese Krise gekommen sind, könnte man also sagen, dass zwischen dem Re-Start und der möglichen Wiederzulassung von Zuschauern einiges offenbar nicht so gelaufen ist, wie es hätte laufen können.

Welche Fehler hat die Politik gemacht?

In einer solch beispiellosen Krise kann man nicht alles richtig machen. Aber ich hoffe dennoch, dass die Politik kritikfähig genug ist, zu erkennen, wo Fehler gemacht wurden und wo Deutschland Aufholbedarf hat. Es gehört Größe dazu, das einzugestehen. Wenn ich insbesondere daran denke, dass man der EU-Kommission, die weder das Personal noch die Infrastruktur dazu hat, in dieser lebensgefährdenden Situation die Impfstoffbestellung für knapp 450 Millionen Europäer an die Hand gegeben hat, sollte das schon irgendwann erklärt werden. Das hat einen großen Schaden angerichtet. Man hätte das zum Beispiel auch dem deutschen Gesundheitsminister zusammen mit einigen seiner europäischen Kollegen überlassen können, die das mit Unterstützung von exzellenten Industrieexperten solidarisch für die EU koordiniert hätten. Ich freue mich, dass Deutschland jetzt auf dem Weg ist, zu öffnen. Aber man sollte bei aller Freude nicht versäumen, den Prozess dahin noch einmal aufzuarbeiten. Dann kann aus dieser Krise wenigstens noch etwas Positives entstehen.

Sie sind einer der großen Gewinner der Corona-Krise. Haben auch Sie Fehler gemacht?

Ich fühle mich überhaupt nicht als Gewinner in einer pandemischen Situation, die bereits Zehntausende Menschenleben gekostet hat. Einige Effekte werden uns wirtschaftlich und viele Menschen auch psychisch noch lange beschäftigen. Ich war froh, dass ich mit der DFL die individuelle Aufgabe einigermaßen erfolgreich meistern konnte. Und ich bin stolz darauf, dass die Arbeit der DFL zum Beispiel dabei geholfen hat, dass die Film- und Fernsehproduktion wieder ihren Betrieb aufnehmen konnte. Dass Unternehmen, die Kreuzfahrtschiffe betreiben, mich angerufen haben und sagten, sie hätten sich an unserem Hygienekonzept orientiert. Dass die US Open, die Formel 1, die NBA, die NFL sagen, sie hätten sich an den Deutschen orientiert. Aber natürlich haben wir trotzdem auch Fehler gemacht. Jeden Tag.

Die 36 Profiklubs haben in der Saison 2019/2020 ein Erlösminus von 5,7 Prozent eingefahren. Wie lautet Ihre Prognose für die aktuelle Saison?

Die Saison 2019/20 war tangiert durch neun Spieltage, die ohne Zuschauer stattfinden mussten. Da können Sie sich ausrechnen, was es bedeutet, 34 Spieltage ohne Zuschauer zu haben.

Ein paar Zuschauer gab es zwischendurch mal …

Das hat aber mehr gekostet, als es eingebracht hat. Klar ist: Wenn die Zuschauer für die Bundesliga-Klubs im Schnitt etwa zwischen 13 und 15 Prozent der Einnahmen ausgemacht haben, können Sie sich ausrechnen, wie sich in der laufenden Saison der Umsatz entwickelt. Dazu ist der Transfermarkt größtenteils zum Erliegen gekommen. Es wird zwar über Ablösesummen für Trainer debattiert und die eine oder andere Spitzenablöse, aber im breiten Feld ist der Transfermarkt nahezu kollabiert. Die Bundesliga wird in Relation zur letzten Saison vor der Pandemie voraussichtlich etwa ein Viertel weniger Umsatz machen. Ich habe nicht umsonst früh darauf hingewiesen, dass Personalausgaben kritisch überprüft werden sollten.

Hatten Sie Angst oder Zweifel, dass Ihr Konzept scheitert?

Angst hatte ich nicht. Und auch keinen Zweifel. Ich habe von Tag eins an daran geglaubt, dass wir die Saison zu Ende spielen. Ich habe tatsächlich von Beginn an für mich visualisiert, dass ich die Meisterschale übergebe. Ich brauchte ein Ziel. Und das Ziel war, die Saison zu Ende zu bringen. Denn es war ja früh klar, was passiert, wenn wir das nicht schaffen. Eine große Anzahl von Profiklubs hätte große wirtschaftliche Probleme bekommen. Zuschauereinnahmen weg, Transfermarkt kollabiert – wenn dann noch die Fernseheinnahmen weggefallen wären, hätten zudem auch Sponsoren kein Geld mehr zahlen können. Das war eine Zeit, deren Belastung ich erst später verarbeitet habe.

Zuletzt wurde über die Super League diskutiert. Ist der Plan abgeräumt oder nur vertagt?

Für den Moment ist meine Einschätzung: abgeräumt in England und aufgrund großer ökonomischer Probleme vertagt in Italien und Spanien. Deutschland stand nie zur Debatte. Insbesondere einige italienische und spanische Topklubs werden weiter damit liebäugeln, da das fast schon epochale Missmanagement dort zu katastrophalen finanziellen Situationen geführt hat, die wohl nur durch so eine einmalige Geldschwemme zu beheben wären.

Teilen Sie die Meinung, dass die Pläne ohnehin nicht umsetzbar gewesen wären?

Nein, im Gegenteil. Die Uefa wurde überrascht und es wäre eine riesige Herausforderung gewesen, es juristisch zu verhindern. Die Idee war generalstabsmäßig und sehr gut vorbereitet. Aber die europäische Sportkultur – insbesondere die englische und die deutsche – ist nicht zu vergleichen mit beispielsweise der amerikanischen. Die meisten der potenziellen Super-League-Klubs haben amerikanische, arabische oder asiatische Inhaber, die gar nicht in Europa sitzen. Die haben hochbezahlte Geschäftsführer, denen man womöglich gesagt hat, dass sie lediglich den Shitstorm ein paar Tage ertragen müssen – die Dimension des Protests wurde komplett unterschätzt. Und man hat wohl zu sehr auf Florentino Perez von Real Madrid gehört, der damit zum Ausdruck gebracht hat, wie sehr er seine Liga und die Fußballkultur in Spanien schätzt: nämlich überhaupt nicht. Aber auch mit den harschen Reaktionen insbesondere aus der englischen Politik hat vermutlich niemand gerechnet.

Wie ist aktuell das Verhältnis zwischen DFB und DFL?

Je besser der DFB funktioniert, desto besser ist es für uns.

Was die Frage nicht wirklich beantwortet …

Wir hatten und haben ein extrem hohes Interesse an einem möglichst starken DFB – und daran wird sich nichts ändern. Weil es für uns sehr viele sehr bedeutende Schnittstellen mit dem DFB gibt. Angefangen vom Schiedsrichterwesen über die Sportgerichtsbarkeit, die Trainerausbildung bis runter an die Basis. Denn ein Kind, das anfängt, Fußball zu spielen, beginnt damit in der Regel nicht bei einem Profiklub. Die Weichen für einen Neuanfang beim DFB sind jetzt gestellt. Diese Chance sollte man nutzen.

Wie würden Sie antworten, wenn man Ihnen das Amt des DFB-Präsidenten anbietet?

Niemals. Und zwar nicht, weil ich etwas gegen den DFB habe. Dort arbeiten viele talentierte Menschen, die mehr Ruhe verdient haben. Aber ich wäre nicht gut in der Position. Ich bin zur DFL gekommen, da hatten wir 24 Mitarbeitende. Ich konnte gestalten, aufbauen und weiterentwickeln, wir haben spezialisierte Tochterfirmen gegründet und gelten heute als eine der besten Ligaorganisationen der Welt. Ein Präsident eines Dachverbandes braucht ein anderes Profil.

Sie haben Ihren Rückzug angekündigt. Verraten Sie uns, was Sie ab Juli 2022 machen?

Es gibt noch keine feste Anschlussposition, was auch daran liegt, dass noch gar nicht feststeht, wie lange genau ich bei der DFL sein werde.

Das müssen Sie uns erklären. Ihr Vertrag endet am 30. Juni 2022.

Natürlich fokussiere ich mich weiter mit größter Ambition auf meine Aufgaben bei der DFL. Das steht für mich außer Frage. Aber der Aufsichtsrat ist mitten im Prozess der Nachfolgebesetzung. Sobald der- oder diejenige gefunden ist, wird sich die Frage stellen: Wann steht diese Person zur Verfügung? Und dann gibt es einen geordneten Übergang, das hat die DFL verdient und das erwarten die Clubs zurecht. Ich bin immer dafür, klare und gute Verhältnisse zu schaffen, auch im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In einer Doppelspitze aus alter und neuer Nummer eins längere Zeit nebeneinanderher zu fahren, wäre angesichts der unruhigen Zeiten und Herausforderungen aus meiner Sicht wenig zielführend. In dem Moment, in dem klar ist, wer wann meine Position besetzt, ist für mich auch klar, dass ich nicht mehr allzu lange da sein werde.

Worauf freuen Sie sich dann am meisten?

Auf die erste Bundesliga-Konferenz als ganz normaler Fußballfan. Ohne dass ich darüber nachdenken muss, was womöglich schieflaufen könnte. Darauf freue ich mich wirklich sehr.

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