Ergebnis einer StudieJeder Zehnte fühlt sich in Deutschland einsam

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Besonders junge Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren fühlen sich zunehmend oft einsam.

Berlin – Knapp jeder Zehnte in Deutschland fühlt sich einsam. Das geht aus der IW-Studie hervor, die dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt. Grundlage der Untersuchung sind Daten des Sozio-ökonomischen Panels – einer Repräsentativbefragung von circa 30000 Menschen in rund 15000 Haushalten in Deutschland.

„Ein Vergleich der Daten von 2013 und 2017 zeigt, dass der Anteil derjenigen, die angeben, sehr oft oder oft einsam zu sein, kleiner geworden ist“, heißt es in der Untersuchung. „2013 gaben 10,5 Prozent an, einsam zu sein, vier Jahre sind es 9,5 Prozent.“

Frauen fühlen sich laut Studie häufiger einsam als Männer

60 Prozent derer, die sich einsam fühlten, waren 2017 Frauen, 40 Prozent Männer. Zwischen Ost- und Westdeutschland gibt es laut Studie kaum Unterschiede in Bezug auf Einsamkeit: „Allerdings zeigen sich einige Unterschiede zwischen den Bundesländern: „Der Anteil von einsamen Personen in der Bevölkerung ist mit 13,4 Prozent im Saarland am höchsten.“ Danach komme Brandenburg mit 12,9 Prozent und Thüringen mit 12,1 Prozent: „Am geringsten sind die Anteile derjenigen, die einsam sind, in Hamburg mit 5,5 Prozent und Mecklenburg-Vorpommern mit 8,2 Prozent.“

Die Daten lassen sich auch auf einzelne Personen beziehen. „Ein Viertel der Befragten gibt in 2017 einen schlechteren Wert an als 2013, fast ein Drittel gibt einen besseren Wert an, und etwa 44 Prozent zeigen keine Veränderung“, so die IW-Forscherinnen Anja Katrin Orth und Theresa Eyerund: „Die Entwicklung zeigt, dass von einer massenhaften Zunahme des Problems im betrachteten Zeitraum keine Rede sein kann.“

Der Anteil der „einsamer Gewordenen“ ist laut Studie in der Gruppe derer, die 2017 zwischen 20 und 29 Jahre alt waren, am höchsten: „Hier geben 29 Prozent einen schlechteren Wert an als 2013: Damit ist die Entwicklung hier stärker als bei den über 60-Jährigen, bei denen 26 Prozent eine Verschlechterung angeben.“ Für die Zunahme der gefühlten Einsamkeit bei den Jüngeren gibt es der Untersuchung zufolge zahlreiche theoretische Erklärungen: „Beispielsweise finden in diesem Alter häufiger einschneidende Veränderungen wie der Auszug aus dem Elternhaus, ein Umzug, die Aufnahme einer Ausbildung oder eines Studiums statt. Diese Wechsel machen es notwendig, neue soziale Kontakt aufzubauen.“

„Wer alleine lebt, fühlt sich nicht zwangsläufig einsam“

Die Autorinnen der IW-Studie warnen bei der Interpretation der Ergebnisse vor vereinfachten Erklärungen. Einsamkeit sei eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen gewünschten und tatsächlichen sozialen Beziehungen. Es gelte jedoch: „Menschen, die allein leben oder nur wenige Freunde haben, fühlen sich nicht zwangsläufig einsam.“

Als mögliche Einflussfaktoren für Einsamkeit nennt die Studie unter anderem Familienstand, Erwerbsstatus und Migrationshintergrund.

Was den Familienstand angeht, fällt der Befund wie folgt aus: Der Anteil der Einsamen war 2017 bei Menschen, die in einer Ehe oder festen Partnerschaft lebten, mit acht Prozent am geringsten. Bei den Singles waren es elf Prozent, bei Verwitweten 17 Prozent. Die oft vertretene These, die Zunahme von Single-Haushalten sei ein Grund für Einsamkeit, wird durch die Studie nicht gestützt. Die Auswertungen für 2017 würden kaum Unterschiede in der Anzahl der Haushaltsmitglieder zwischen einsamen und nicht einsamen Menschen zeigen.

Die Sprachbarriere: Anteil der Einwanderer ist überproportional hoch

Blickt man auf die Befunde zu Einsamkeit und Erwerbsstatus zeigt sich: Bei Nicht-Erwerbstätigen liegt der Anteil derer, die angeben, einsam zu sein, mit 13,1 Prozent deutlich über dem Gesamtdurchschnitt. Bei Auszubildenden betrug der Anteil 9,4 Prozent, bei Vollzeitbeschäftigten 6,7 Prozent. Die IW-Forscherinnen sehen Arbeit als Mittel gegen Einsamkeit: „Zum einen ermöglicht eine Erwerbsarbeit einen strukturierten Tagesablauf, Kontakt zu Kollegen und eine kollektiv sinnstiftende Arbeit.“ Ein weiterer Befund: Bei Einwanderern ist der Anteil derer, die sich einsam fühlen, mit 15 Prozent überproportional hoch. Zum Vergleich: Bei Menschen ohne Migrationshintergrund sind es 8,2 Prozent.

Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD, fordert schon länger einen Einsamkeits-Beauftragten der Bundesregierung. „Dass sich immer mehr junge Menschen einsam fühlen, ist alarmierend. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie einsam bleiben, ist leider hoch. Und Studien zeigen, dass Einsamkeit einen negativen gesundheitlichen Effekt hat“, sagte er dem RND. „Ein Einsamkeits-Beauftragter müsste bei allen Gesetzen in der Gesundheits-, Sozial-, oder Baupolitik prüfen, ob das Thema ausreichend berücksichtigt wurde.“ Laut Lauterbach diskutiert die Große Koalition intern über ein solches Amt. Noch sei aber nichts spruchreif, so der Politiker.

Diakonie-Chef: „Einsamkeit ist in unserer Seelsorge ein Riesen-Thema“

Ulrich Lilie, Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbands Diakonie, sagte dem RND: „In unserer Seelsorge ist Einsamkeit ein Riesen-Thema.“ Das Phänomen sei vor allem Folge dessen, was die Gesellschaft auch erfolgreich mache: soziale und berufliche Mobilität und Flexibilität. „Einsamkeit ist die Kehrseite dieser Medaille“, so Lilie. Bei einem Umzug koste es Kraft und Zeit, neue soziale Netzwerke zu knüpfen. Dies gelinge nicht immer. Lilie: „Es gibt spezielle Risiken: Wer beispielsweise längerfristig erkrankt, in Berlin arbeitet, in Brandenburg wohnt und dessen Familie in Dortmund oder Niedersachsen lebt, bei dem kann das soziale Netz schnell reißen.“

Von einem Beauftragtem für Einsamkeit, wie ihn Lauterbach fordert, hält Lilie eher wenig: „Ein Feigenblatt bei diesem Thema nützt nichts.“ Vielmehr müsse die ganze Gesellschaft sensibilisiert werden. Wichtig sei, dass die Menschen lernten, in echten Kontakt zueinander zu treten. „Soziale Netzwerke helfen da kaum. Menschen wollen mit allen Sinnen wahrgenommen werden.“ Das Lernen von „echten“ Begegnungen geschehe in der Familie, der Schule, aber auch kirchlichen und kommunalen Begegnungsstätten, Kulturvereinen oder in Sportvereinen. „Leider stehen einige dieser Orte immer stärker unter Druck, diese Form des sozialen Lernens wird dann immer schwieriger“, so Lilie.

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