Härtere Maßnahmen für UngeimpfteWie streng dürfen Strafen für Impfverweigerer sein?

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Wer auf die Impfung zur Bekämpfung der Pandemie verzichtet, soll härter bestraft werden, fordern viele. 

Berlin – Drakon, der Herrscher mit den harten Strafen, war eigentlich ein Modernisierer. Im alten Griechenland ließ er erstmals alle Gesetze öffentlich aushängen: Straftäter sollten vorab genau wissen, was ihnen blüht.

Der Gedanke des Rechtsstaats war geboren. Die Berechenbarkeit wuchs, die Willkür wich. Darin immerhin lag ein Fortschritt. Die drakonischen Strafen allerdings lassen bis heute Menschen aller Kulturen schaudern. Schon mittlere Verfehlungen konnten die Hinrichtung bedeuten. Sanftheit, argumentierte Drakon gegenüber Kritikern, gefährde die Autorität des Rechts.

Heute, zweieinhalbtausend Jahre später, in der Debatte über Sanktionen für Impfverweigerer, kehren die Europäer zu der von Drakon aufgeworfenen Grundsatzfrage zurück: Wie streng darf, wie streng muss die Strafe sein?

52 Prozent finden, die aktuell geltenden Maßnahmen müssten härter ausfallen

Einer Mehrheit der Deutschen erscheint die gesamte Corona-Politik von Bund und Ländern zu lasch. Im jüngsten Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen sagen 52 Prozent der Befragten, die aktuell geltenden Maßnahmen „müssten härter ausfallen“. 30 Prozent finden sie „gerade richtig“, nur 15 Prozent halten sie bereits für „übertrieben“. Für eine allgemeine Corona-Impfpflicht sind 69 Prozent, dagegen sind 29 Prozent aller Befragten.

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Neu ist nicht nur, dass mehr Härte verlangt wird. Neu ist auch, wie sich der Ruf nach einem strengeren Staat auf die politischen Lager verteilt. „Starke Einschränkungen für Ungeimpfte“ halten 92 Prozent der Grünen-Anhänger für richtig – und entpuppen sich damit als strengste Kraft. Anhänger von SPD (89 Prozent) und CDU/CSU (88) folgen mit geringem Abstand. Wähler von FDP (63) und Linke (58) zeigen sich eher unentschieden. Unter den AfD-Anhängern wünschen sich nur 29 Prozent ein härteres Durchgreifen.

„Bis zu 3600 Euro“: In Österreich geistern erste Bußgeldsummen durch die Medien

Wie aber sollen Impfverweigerer künftig bestraft werden? Bislang kommen, wenn an dieser Stelle präzise nachgefragt wird, auch Leute ins Schleudern, die eben noch vollmundig gefordert haben, es sei Zeit, endlich neue Saiten aufzuziehen.

Auch in Österreich, das als erstes EU‑Land zum 1. Februar 2022 eine allgemeine Impfpflicht plant, gibt es auf diese zentrale Frage noch keine klare Antwort. „Die Frage der Sanktionen“, schwant der „Wiener Zeitung“, werde noch „zum Drahtseilakt“. Zwar geistern schon erste Bußgeldsummen durch Österreichs Medien, von Beträgen „bis zu 3600 Euro“ war jüngst im Newsportal „oe24″ die Rede. Doch einen offiziellen Gesetzentwurf gibt es noch nicht.

Fachleute aus Ministerien und Hochschulen brüten schon über der Frage, wie es bei hartnäckigen Verweigerern weitergeht, die eine Buße zahlen und damit das Thema für erledigt erklären wollen. „Bei mehrfachen Vergehen könnte die Sache auch strafrechtlich relevant werden“, sagte Maria Kletecka, Mitglied der österreichischen Bioethikkommission, den „Vorarlberger Nachrichten“.

Anfängliche Bedenken gegen Impfpflicht scheinen sich immer stärker zu zerstreuen

In Deutschland gehen unter juristischen Vordenkern die Debatten inzwischen in die gleiche Richtung. Anfängliche Bedenken, eine Impfplicht werde sich rechtlich überhaupt nicht durchsetzen lassen, scheinen sich in der Fachdebatte von Tag zu Tag stärker zu zerstreuen.

„Dass das Grundgesetz eine Impfpflicht nicht zulasse, ist ein weitverbreiteter Irrtum“, sagt Gunnar Duttge, Strafrechtsprofessor und Leiter der Abteilung für Medizin- und Biorecht an der Universität Göttingen, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „In Wirklichkeit kann der Staat unter Wahrung des Ordnungsrahmens der Grundrechte sehr viel machen.“ Keineswegs gebe jedenfalls das Grundgesetz Impfverweigerern das Recht, andere Menschen durch uneinsichtiges Verhalten zu gefährden.

Die Angst vieler Politiker vor ablehnenden Urteilen aus Karlsruhe sei übertrieben. „Das Menschenbild des Grundgesetzes war nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nie das eines isolierten souveränen Individuums“, sagt Duttge. Stets habe Karlsruhe von der „Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit“ des Einzelnen gesprochen.

Der juristische Maßstab bleibe – in welcher Lage auch immer – die Frage der Verhältnismäßigkeit, sagt Duttge: „Der Staat darf sukzessive eskalieren, um Leib und Leben von Menschen zu schützen.“

„Der Staat darf sukzessive eskalieren, um Leib und Leben von Menschen zu schützen“

Wenn in der Pandemie eine Situation erreicht werde, in der aus medizinischer Sicht jeder mitwirken muss, um eine Gefahr für alle abzuwenden, „dann muss man es machen“. Zwar sei es richtig, zunächst aufs mildere Mittel des Ordnungswidrigkeitenrechts zu setzen und etwa Geldbußen zu verhängen. Bei einer Zuspitzung der Gefahren und im Fall hartnäckiger Verweigerer seien aber auch Kriminalstrafen nach dem Strafgesetzbuch denkbar.

Die Angst vieler Politiker vor ablehnenden Urteilen aus Karlsruhe sei übertrieben. „Das Menschenbild des Grundgesetzes war nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nie das eines isolierten souveränen Individuums“, sagt Duttge. Stets habe Karlsruhe von der „Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit“ des Einzelnen gesprochen.

Der juristische Maßstab bleibe – in welcher Lage auch immer – die Frage der Verhältnismäßigkeit, sagt Duttge: „Der Staat darf sukzessive eskalieren, um Leib und Leben von Menschen zu schützen.“

Ein Jahr Haft – wie bei Paragraf 316 Strafgesetzbuch?

Wenn in der Pandemie eine Situation erreicht werde, in der aus medizinischer Sicht jeder mitwirken muss, um eine Gefahr für alle abzuwenden, „dann muss man es machen“. Zwar sei es richtig, zunächst aufs mildere Mittel des Ordnungswidrigkeitenrechts zu setzen und etwa Geldbußen zu verhängen. Bei einer Zuspitzung der Gefahren und im Fall hartnäckiger Verweigerer seien aber auch Kriminalstrafen nach dem Strafgesetzbuch denkbar.

Ähnlich argumentiert der Bielefelder Verfassungsrechtler Franz C. Mayer im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Die Freiheit der Einzelnen endet da, wo Freiheit und Gesundheit anderer in Gefahr sind.“ Deutschlands Rechtsstaat geht jetzt, wenn auch knirschend, in die Kurve – und widerlegt viele, die ihn schon abgeschrieben hatten: als untauglich zur Abwehr akuter Gefahren.

In den Monaten der Pandemie hatte sich als neue deutsche Talkshowweisheit nach und nach der Eindruck festgesetzt, das Grundgesetz lasse eine funktionierende Virusabwehr kaum zu. Mit großer Geste rief der frühere ARD-Moderator UIrich Wickert schon im Frühjahr dieses Jahres bei „Maischberger“ nach einem neuen Helmut Schmidt: Der habe im Jahr 1962 als Hamburger Innensenator im Kampf gegen die Sturmflut gezeigt, wie Katastrophenabwehr geht: „Man muss sich über gewisse Regeln hinwegsetzen.“

Tatsächlich aber sind raunende Fantasien vom starken Mann etwas, das jetzt am wenigsten weiterhilft. Gefragt sind Konzepte, die realitätstauglich und rechtstaatlich zugleich sind – auch auf die Gefahr hin, dass es ein bisschen kompliziert wird.

Vier Arten von Impfpflicht denkbar

Wenn deutsche Rechtspolitiker in Bund und Ländern sich derzeit über Entwürfe zu einer Impfpflicht beugen, geht es im allerersten Schritt um eine Klärung der Begriffe – und eine Art „road map“. Mehrere Wege führen zum Ziel, einige davon können wohl auch gleichzeitig beschritten werden.

Direkte allgemeine Impfpflicht: Eine direkte allgemeine Impfpflicht gilt als juristisch wackelig. Sie würde darauf zielen, dass alle, denen dies medizinisch zuzumuten ist, die Injektion hinnehmen. Theoretisch könnte sich dann jemand schon dadurch ein Bußgeld einhandeln, dass er ungeimpft sein Haus verlässt.

Indirekte allgemeine Impfpflicht: Eine indirekte allgemeine Impfpflicht „wäre praktikabler und realistischer“, sagt Kathi Gassner, Verwaltungsrechtlerin in Mannheim und Autorin eines Standardwerks zum Ordnungswidrigkeitengesetz, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Die indirekte Impfpflicht könnte sich daraus ergeben, dass der Zugang zu praktisch allen öffentlichen Bereichen, vom Konzertsaal bis zum Supermarkt, an einen Impfnachweis geknüpft wird. Die Pflicht ließe sich schrittweise ausdehnen, auch auf private Zusammenkünfte aller Art in geschlossenen Räumen. Eine bußgeldbewehrte Pflichtverletzung würde dann mit dem Betreten anderer Räume als der eigenen Wohnung beginnen.

Impfpflicht für bestimmte Einrichtungen: Eine Impfpflicht für bestimmte Einrichtungen würde den Zugang etwa zu Schulen, Kliniken und Heimen an einen Impfnachweis knüpfen. Fachleute halten diese Maßnahme für längst überfällig. Italien etwa hat solche Regelungen schon seit Mitte Oktober. Hunderte Mitarbeiter des Gesundheitswesens wurden dort suspendiert und erhielten kein Gehalt mehr, konnten aber nach der Impfung sofort zurück in den Job. In Deutschland ist seit März 2020 eine Masernimpfung verpflichtend in Kitas und Schulen. Zu einer entsprechenden Vorschrift über Corona-Impfungen konnte sich die deutsche Politik jedoch noch nicht durchringen.

Impfpflicht für bestimmte Gruppen: Eine Impfpflicht für bestimmte Gruppen könnte hinzukommen. Der Staat kann bei den ihm direkt Unterworfenen einen direkten Impfzwang ausüben, insbesondere auf Soldaten, Polizisten und andere Beamte. Die USA haben vorexerziert, wie eine Impfpflicht für Beamte des Bundes und der Bundesstaaten die Impfquote zu steigern vermag.

Soldatengesetz: Modell für alle Beamten?

Nirgendwo ist in Deutschland eine direkte Impfpflicht so klipp und klar geregelt wie bei der Bundeswehr. Nach Paragraf 17a des Soldatengesetzes muss der Soldat ärztliche Maßnahmen „dulden, wenn sie der Verhütung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dienen“. Ausdrücklich heißt es in dem Gesetz: „Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt.“

Diese rustikal ausgeformte Impfpflicht durch die Vordertür ist für die Truppe nichts Neues. Sie galt schon für Grippe, Masern, Tetanus und Hepatitis. Die Liste wird jetzt nur länger: Am 24. November gab Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Anweisung, auch die Immunisierung gegen Covid‑19 ins „Basisimpfschema“ der Bundeswehr aufzunehmen. Soldaten, die juristisch dagegen vorgehen würden, hätten schlechte Karten: Auf der anderen Seite der Waagschale liegen so gewichtige No-Nonsense-Rechtsgüter wie die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte und die äußere Sicherheit der Bundesrepublik.

Impfverweigerer bei der Bundeswehr werden aber nicht etwa physisch überwältigt, sondern nur disziplinarrechtlich belangt. Sie müssen mit Degradierungen und Gehaltskürzungen rechnen, im Extremfall mit ihrer Entfernung aus dem Dienst.

Der Staat könnte dieses Modell auf andere Bereiche ausdehnen, etwa den der Polizei. Auch hier kann man mit der Handlungsfähigkeit des Staates argumentieren, die bei allzu vielen Erkrankungsfällen gefährdet wird. Teile der Uniformierten könnten einen Schubs in die richtige Richtung überdies offenbar gut gebrauchen: In den Reihen von Sachsens Polizei zum Beispiel stieg die Sieben-Tage-Inzidenz laut Polizeigewerkschaft zeitweilig auf Werte um die 4000.

Es liegt nahe, mit Blick auf das besondere Dienst- und Treueverhältnis von Staatsdienern eine gruppenbezogene Impfpflicht für alle Beamten von Bund, Ländern und Gemeinden vorzuschreiben, unterschiedslos. Der Verwaltungsrechtler Maximilian Baßlsperger zeigt sich in einem Fachaufsatz allerdings offen dafür, jene Beamte außen vor zu lassen, die auf Dauer im Homeoffice sind und niemanden anstecken können. Differenzierungen dieser Art könnten helfen, gruppenbezogene Impfpflichten verhältnismäßig zu gestalten und damit schusssicherer gegenüber Klagen zu machen.

Mögliches Modell: Impfpflicht für Ältere

Zu den bislang noch nicht öffentlich diskutierten Erwägungen gehört die Variante, nur besonders gefährdeten Gruppen unter den Nichtgeimpften eine Impfpflicht aufzugeben. So könnte man daran denken, vorrangig die geschätzt drei Millionen Ungeimpften im Alter von 60 Jahren und mehr zur Impfung zu bewegen.

Juristische Laien wird es überraschen, dass eine Ermächtigungsgrundlage für eine solche Teilimpfpflicht bereits im geltenden Infektionsschutzgesetz enthalten ist. Nach Paragraf 20 Absatz 6 kann das Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung festlegen, dass „bedrohte Teile der Bevölkerung“ an Schutzimpfungen teilzunehmen haben, „wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist“.

Impfverweigerer hätten anfangs mit Geldbußen zu rechnen. Sollte die Impfverweigerung dennoch fortgesetzt werden, könnten neu konstruierte Strafvorschriften aus dem Infektionsschutzgesetz greifen. Für Fachleute ergibt sich der mögliche Strafrahmen bereits aus dem Kontext anderer Vorschriften im Infektionsschutzgesetz: „Zwei Jahre Freiheitsstrafe würden passen“, sagt Verwaltungsrechtlerin Gassner. Den gleichen Rahmen sieht das Gesetz jetzt schon für Täter vor, die sich gefälschte Impfpässe verschaffen. Mitgliedern von Banden, die gewerbsmäßig falsche Impfzertifikate anbieten, drohen gar fünf Jahre Haft.

Fazit zur möglichen Impfpflicht: Ein kleines Stück in Richtung Drakon

Neue Saiten liegen rundherum bereit. Die Politik muss nur noch den Mut haben, sie auch aufzuziehen. Grundgesetz und Verwaltungsgesetze geben eine andere, strengere Gangart her als bisher.

Für die moderne deutsche Gesellschaft brächte eine strafbewehrte allgemeine Impfpflicht ein Aha-Erlebnis von epochalem Format. „Jahrzehntelang ging es immer nur in Richtung Entmoralisierung und Individualisierung“, sagt Strafrechtler Duttge. „Wir alle haben dies als richtig empfunden. Aber es kann durchaus sein, dass das Pendel der Geschichte sich auch mal wieder in die entgegengesetzte Richtung bewegt.“

Kein moderner Rechtsgelehrter sagt es laut. Aber es ginge dann, ein ganz kleines Stück jedenfalls, zurück in Richtung Drakon.

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