Interview mit Friedrich Merz„Ich hatte den Eindruck, die CDU hat mich verlassen“

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  • Fehlende Diskussionskultur und kein Angebot für Konservative – diese Fehler diagnostiziert der CDU-Politiker Friedrich Merz im RND-Interview bei seiner Partei.
  • Vor den Landtagswahlen verrät er außerdem, was er von einer möglichen Koalition mit der AfD hält.
  • Merz äußert sich auch zu den Vorwürfen von Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen und zu den Problemen von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Friedrich Merz war und ist in der CDU eine starke Figur: Der Wirtschaftsflügel und viele Konservative verbinden mit dem einstigen Unions-Fraktionsvorsitzenden und heutigen Unternehmensberater Hoffnungen auf einen Kurswechsel. Im Rennen um den Parteivorsitz unterlag er aber 2018 gegen Annegret Kramp-Karrenbauer.

Herr Merz, In einer Woche sind Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. Was passiert, wenn die Landes-CDU dort die Grenzen zur AfD fallen lassen, um weiter regieren zu können?

Ich gehe fest davon aus, dass es eine Hinwendung zur AfD nicht geben wird. Es gibt einen klaren Beschluss, mit dieser Partei nicht zusammenzuarbeiten. Hinter diesem Beschluss steht die gesamte Union.

Was ist der Grund dafür, dass die AfD sich so stabilisiert hat und die Volksparteien schwächer geworden sind?

Wir sollten die AfD mehr in die Diskussionen um die Themen zwingen. Ihr Menschenbild und ihr Bild von unserer Gesellschaft sind mehr als fragwürdig, genauso wie ihre Haltung zu unseren internationalen Partnern und zur EU. Viele Aussagen sind einfach inakzeptabel, aber Kontaktsperren und Sprechverbote helfen auch nicht weiter, sie nutzen im Gegenteil nur der AfD, weil ihre Thesen unwidersprochen bleiben. Die Union muss auch ihrerseits bereit sein, kritisch zu überprüfen, ob im Gesamtbild der Partei etwas fehlt.

Fehlt etwas?

Ja, die CDU hat die Wertkonservativen zum großen Teil aufgegeben. Viele von denen sagen: Nicht ich habe die CDU verlassen, sondern die CDU hat mich verlassen. Die Partei muss den Anspruch haben, diese Gruppe der Enttäuschten zurückzugewinnen.

Einer derjenigen, die sagen, die CDU habe ihn verlassen, ist Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen. Er tritt dennoch bei CDU-Wahlveranstaltungen auf. Wie hilfreich ist er?

Und Maaßen kritisiert dort lautstark eine Bundesregierung, deren Staatssekretär er vor gerade einmal einem Jahr noch werden wollte. Er beschreibt die Lage in düsteren Farben und gibt doch kaum Antworten auf die Fragen, die sich damit verbinden. Aber in dem Kontext geht es dann auch um die Diskussionskultur und um die Verengung unseres Meinungsspektrums. Die CDU muss wieder lernen, abweichende Meinungen vom Mainstream auszuhalten und über die großen Themen unserer Zeit auch kontrovers zu diskutieren, über die Eurorettung und die Flüchtlingspolitik genauso wie über ökologische Themen.

Manche Wähler stellen die Demokratie auch gleich ganz in Frage.

Ja, es gibt eine tiefe Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise der politischen Institutionen und Parteien. Das sieht man auch daran, wie Kompromisse diskreditiert werden – so wie es derzeit etwa die Grünen mit dem Kohlekompromiss versuchen. Kaum ein Kompromiss wird mehr als sachgerecht empfunden, sondern stattdessen schnell mit dem Adjektiv „faul“ belegt. Die Demokratie lebt aber vom Kompromiss und nicht davon, dass sich eine Meinung allein durchsetzt und alle anderen Interessen das Nachsehen haben.

Ist die Werteunion die Möglichkeit, den rechten Rand einzubinden?

Die Werteunion ist ein Hilferuf von unten an die Parteiführung, sich wieder intensiver mit bestimmten Themen zu beschäftigen.

Die Grundrente ist ein Wahlkampfthema in Ostdeutschland. Sie wurde von der Groko bislang nicht beschlossen, weil über die Bedürftigkeitsprüfung gestritten wird.

Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag auf eine Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung geeinigt. Die SPD hat diesen Konsens verlassen und will nun die Grundrente für alle. Das ist nicht nur ein Detail, sondern eine ganz grundsätzliche Abkehr von der beitragsfinanzierten Rente. Die SPD will ja auch ein Grundeinkommen für Kinder. Und dann muss eben möglichst schnell noch die „Gerechtigkeitslücke“ geschlossen werden, dass nämlich auch diejenigen, die keine Kinder mehr sind und noch keine Rentner, auch das bedingungslose Grundeinkommen erhalten. Die Union ist aus guten Gründen gegen dieses Grundeinkommen für alle – es ist nicht finanzierbar und zerstört jede eigene Verantwortung für sich selbst und die eigene Familie.

Sehen Sie eine Kompromissmöglichkeit, etwa mit einer eingeschränkten Bedürftigkeitsprüfung?

Die Tür darf meines Erachtens nicht einen Spalt breit geöffnet werden für eine Grundrente, die sich nicht an strikter Bedürftigkeit orientiert. Denn dann ist der Weg eben nicht mehr weit zu einer Einheitsrente, die nicht mehr aus Beiträgen, sondern aus Steuermitteln bezahlt würde. Es wäre ein Systemwechsel, der Leistung nicht mehr belohnt, sondern bestraft. Davor kann man eigentlich nicht genug warnen.

Sprechen wir über die Konjunktur. Wie lässt sich verhindern, dass die derzeitige Abkühlung sich in eine Rutschbahn nach unten entwickelt?

Wir befinden uns in einem zyklischen Abschwung, der nur viel später kommt als in vergangenen Zyklen, nämlich nach zehn Jahren Aufschwung. Ein zyklischer Abschwung lässt sich nicht mit Aktionismus korrigieren. Er findet statt. Die Frage ist, wie lange er dauert und wie tiefgreifend er wirkt.

Sollte der Staat entgegenwirken, zum Beispiel mit Konjunkturprogrammen?

Jede rein nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik hat sich am Ende immer als Strohfeuer erwiesen, die Staatsschulden noch weiter erhöht und die Arbeitslosigkeit gleich mit dazu.

Was empfehlen Sie dann?

Notwendig wäre eine Einkommens- und Körperschaftssteuerreform. Die Steuerquote ist in Deutschland selbst im Aufschwung noch weiter gestiegen. Das war sicher ein strategischer Fehler der Wirtschafts- und Finanzpolitik in den letzten Jahren. Allerdings ist der große Wurf derzeit wahrscheinlich nicht möglich – dafür ist es mitten in einem zyklischen Abschwung eher zu spät. Man muss aber vorbereitet sein für den Zeitpunkt, wenn es wieder aufwärts geht.

„Der Abbau des Soli ist eine richtige Entscheidung” 

Der Soli-Abbau reicht nicht?

Der Abbau des Soli ist eine richtige Entscheidung – mit dem Schönheitsfehler, dass er nicht vollständig abgebaut wird und so gerade zum Beispiel mittelständische, familiengeführte Unternehmen benachteiligt. Mit der SPD war das wohl nicht anders möglich. Das Bundesverfassungsgericht wird das dann wohl korrigieren und die ganze Abschaffung anordnen.

Haben die Unternehmen ihre Probleme auch zum Teil selbst verschuldet?

Die Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren sehr auf die niedrigen Zinsen verlassen. Die Bedingungen für Neuanschaffungen waren sehr gut, dennoch waren die Investitionen insgesamt kleiner als die Abschreibungen. Die deutsche Wirtschaft ist also beim Thema Investitionen und Innovationen hinter den Notwendigkeiten in vielen Bereichen sehr weit zurückgeblieben.

Das Bundesfinanzministerium denkt über das Verbot von Negativzinsen nach.

Das ist Ausdruck einer gewissen Verzweiflung darüber, dass die herkömmlichen und von vielen Bürgerinnen und Bürgern bevorzugten Instrumente wie Sparbücher und Bankeinagen eben nicht mehr reichen, um Ersparnisse fürs Alter aufzubauen. Mich überzeugen die Argumente für ein Verbot nicht, zumal die Ursache in der Niedrigzinspolitik der EZB liegt. Aber die Diskussion hätte ihr Gutes, wenn sie die Offenheit für andere Vorsorgemöglichkeiten erhöhen würde, etwa für das Sparen in Aktien und Aktienfonds.

Stichwort USA. Das Verhältnis zu Deutschland hat sich mit Präsident Donald Trump dramatisch verschlechtert. Wie lässt sich das ändern?

Ich bin nicht sehr zuversichtlich, dass sich diese Entwicklung irgendwann wieder gänzlich umkehren wird. Die USA verändern sich seit vielen Jahren. Das hat lange vor Donald Trump begonnen, und diese Entwicklung wird auch nach Trump weiter anhalten. Es wird vielleicht weniger eruptiv, ein bisschen kalkulierbarer und im Umgangston etwas höflicher. Aber die Tendenz wird bleiben. Europa muss also selbstständiger werden. Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass die USA den schweren Teil der Arbeit in der Sicherheits-, der Außen-, der Handelspolitik für uns erledigen. Wir müssen mehr Verantwortung für uns selbst übernehmen.

Sollte Russland wieder beim Treffen der führenden Industrienationen teilnehmen und G7 so wieder zu G8 machen?

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehe ich das nicht. Langfristig aber bleibt Russland ein europäisch-strategischer Partner. Damit das so wird, muss Russland selbst aber noch einiges tun. Und G7 ist derzeit eigentlich nur noch W7 – der Rest des Westens trifft sich halt. Ganz grundsätzlich steuern wird jedoch auf die Frage G2 oder G3 zu, also USA und China, mit oder ohne Europa.

Sollten die Sanktionen gegen Russland aufgeweicht werden?

Dafür gibt es aus meiner Sicht insbesondere mit der anhaltenden bewaffneten Intervention Russlands in der Ostukraine keine Grundlage.

Die Union erstellt demnächst ein Klimakonzept. Kann die Konjunktur von der Klimapolitik profitieren?

Mit einem ganzheitlichen Konzept jenseits von weiteren Verboten und neuen Steuern geht das. Die EEG-Umlage, die Stromsteuer und alle anderen Instrumente gehören dann aber auch auf den Prüfstand. Das Diskussionspapier der Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und von Andreas Jung zur Klimapolitik ist dafür eine hervorragende Grundlage.

Es gibt oft die Klage in der Union, dass man sich zu sehr an den Grünen orientiere.

Glücklicherweise ist der große Hype der letzten Monate wieder ein bisschen abgeklungen. Es kehrt Nüchternheit ein in die Debatte. Die CDU ist bereit, anspruchsvolle Antworten auf komplexe Fragestellungen zu geben. Das ist der richtige Weg.

Die Groko will im Oktober eine Bilanz vorlegen. Halten Sie eine Fortsetzung für sinnvoll?

Eine Fortsetzung ist dann sinnvoll, wenn sich die Koalition zur Lösung der anstehenden großen Probleme zusammenfindet, und daran gibt es immer größere Zweifel. Warten wir ab, wie sich die SPD entscheidet.

Noch ein Blick auf die CDU: Die neue Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine Reihe von Pannen hinter sich. Was hätten Sie anders gemacht, wenn Sie das Rennen um den CDU-Vorsitz gewonnen hätten.

Ach wissen Sie, ich hätte vermutlich andere, aber ganz sicher auch meine Schwierigkeiten gehabt. Ich unterstütze Annegret Kramp-Karrenbauer und hoffe, dass sie Erfolg hat. Mit ihr haben sich die Diskussionsräume in der CDU wieder vergrößert. Die neue Vorsitzende akzeptiert, dass die Partei sich nicht weiter auf eine reine Regierungsfunktionspartei verengen lassen darf.

Stellt sich für Sie noch die Frage der Kanzlerkandidatur?

Das ist eine Frage, die zum heutigen Zeitpunkt nicht entschieden werden muss.

Sie wurden und werden in Teilen der Union als Ikone und Heilsbringer verehrt. Was macht das mit Ihnen?

Es lässt mich bescheiden sein. Es gibt sicherlich Erwartungshaltungen an mich als Person, die zu hoch sind. Aber ich versuche meinen Beitrag zu leisten, dass die Union Erfolg hat.

Wie erklären Sie sich die Sehnsucht?

Auch in einer Demokratie wird politische Führung, politische Stabilität und Ausblick auf die Zukunft erwartet, verbunden mit der Fähigkeit, dies auch klar und deutlich zu artikulieren.

Sie haben beklagt, manch einer in der CDU habe den Eindruck: Die CDU hat mich verlassen. Haben oder hatten Sie den Eindruck auch?

Ja. Aber es bessert sich im Augenblick wieder.

Das Gespräch führte Daniela Vates

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