Kommentar zu Corona-RegelnMit Eigenverantwortung allein ist keine Krise abzuwenden

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Maskenpflicht Hessen Symbol

Ein Mann steht mit Maske neben einem Hinweisschild „Maskenpflicht“ auf einer Einkaufsstraße

  • Die Kanzlerin appellierte zuletzt erneut an die Bürgerinnen und Bürger, sich vorsichtig und solidarisch an die Corona-Maßnahmen und -Empfehlungen zu halten.
  • Umfragen zeigen: Große Teile der Bevölkerung wünschen sich mehr und strengere Regeln der Politik. Wie kommt das?
  • Die Politik macht es sich zu leicht, wenn sie nur den Einzelnen in die Pflicht nimmt, findet unser Autor.

Die Deutschen sind ein Volk der Vorbeuger. Sie schwören auf gesetzliche Grenzwerte für alles Gesundheitsschädliche, auf staatliche Vorsorge für Alter und Gesundheit – und würden nie bei einer Vorwarnung vom Verkehrsfunk direkt in einen Stau fahren.

Ganz ähnlich ist allerdings gerade die hiesige Corona-Situation: Früh war klar, dass wir ohne Kursänderung am Jahresende wieder in handfesten Problemen stecken. Nun sehen wir schon die Warnblinklichter: Die Neuinfektionen erreichen Rekordwerte. Das Wachstum verläuft dynamisch. Mehr und mehr Gesundheitsämter drohen am Unterbrechen der Infektionsketten zu scheitern. Längst stecken sich wieder mehr Ältere an. In den Kliniken sind zwar die Intensivbetten nicht ausgelastet, aber es droht dort Personalmangel.

Zehn Wochen bis Weihnachten um Infektionskurve zu bremsen

Schon verschärft auch die Bundeskanzlerin wieder ihren Ton und appelliert an die Bürger, unnötige Kontakte und Reisen zu vermeiden. Während mancher Ministerpräsident zuletzt feilschte, um größere Einschnitte in seinem Land zu vermeiden, klang Merkel fast verzweifelt: Als sei es die letzte Chance für ein eigenverantwortliches Gegensteuern.

Die Alternative stellt sie bereits in den Raum: Wenn in den zehn Wochen bis Weihnachten der steile Anstieg der Infektionskurve nicht gebremst wird, ist das klassische Familienfest gefährdet. Für viele Deutsche dürfte es kaum schmerzvollere Einschnitte geben, als ein Dezember ohne Besuch aus anderen Bundesländern und ohne gemeinsames Feiern, Singen und Tafeln mehrerer Hausstände.

70 bis 90 Prozent wollen strengere Auflagen

Aber muss das wirklich sein? Mancher findet, die Politik könne selbst bei Rekordinfektionszahlen auf allzu strenge Regeln verzichten. Er verweist auf die Erfahrungen aus dem Frühjahr – Hamsterkäufe, Schulschließungen, Kontaktsperren – und die Erinnerungen an den Sommer, mit unbeschwerten Reisen, nachgeholten Festen und dem Gefühl, Corona sei halb so schlimm und viele Sperren überzogen.

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Nur passt es nicht zum Volk der Vorbeuger, ungebremst aufs Stauende zuzufahren. Umfragen zeigen das: Zwischen 70 und 90 Prozent der Bürger wollen strenge Auflagen. Wenn allerdings die große Mehrheit strenge Regeln will – warum steigen die Infektionen dann?

Wir kennen das aus der Klimadebatte: Der Einzelne hält sich nie für das Problem. Deshalb macht die Politik es sich zu leicht, wenn sie den Einzelnen in die Pflicht nimmt. Mit Eigenverantwortung allein ist keine Krise abzuwenden. Vorausschauend zu planen, ist Aufgabe der Politik. Sie muss in die Offensive gehen: die Gesundheitsämter aufstocken, drohenden Personalmangel auf Intensivstationen abwenden, unbürokratisch bei Hygienekonzepten in Gastronomie und Schulen helfen. Wer jetzt zu kleine Dämme baut, dem gerät in ein paar Wochen alles außer Kontrolle.

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