Lange diskutierte LieferungenWie deutsche Waffen der Ukraine beim Verteidigen helfen

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Die Panzerhaubitze 2000, hier bei einer Übung der Bundeswehr, wird auch im Krieg in der Ukraine eingesetzt.

Kiew/Berlin – Die russische Militärmaschinerie stottert. Da sind sich Beobachter einig. „Von einem Wendepunkt zu sprechen, wäre verführt“, sagt Carlo Masala, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in München mit Blick auf den Krieg, der am 24. Februar begann. Doch der Blutzoll der von Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine in Gang gesetzten Streitmacht sei erheblich, und deren strategischen Probleme würden längst ebenfalls offenkundig.

Tatsächlich teilte das US-Verteidigungsministerium zuletzt mit, 80.000 russische Soldaten seien entweder verletzt oder tot. Das wirkt – wenn es stimmt – in das Land zurück. Auch nehmen Analysten im Osten der Ukraine, also im Hauptkampfgebiet, deutlich nachlassenden Artilleriebeschuss wahr. Und schließlich sind da die jüngsten Explosionen auf einem Luftwaffenstützpunkt auf der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim.

Schwere Explosionen auf der Krim

Moskau behauptet, dort seien Brandschutzregeln verletzt worden. Die Ukraine spricht von einem Angriff und behauptet, man habe mindestens zehn Flugzeuge zerstört. Dabei gehört die Krim gar nicht zur Kampfzone. Der Fall erinnert an die Zerstörung des russischen Kriegsschiffs „Moskwa“ auf dem Schwarzen Meer im April – ein ebenfalls schmerzhafter Verlust, den die Machthaber im Kreml nicht einräumen wollten.

Mit anderen Worten: Zuletzt war abermals der Eindruck entstanden, als sei die Ukraine nicht zu retten, zumindest nicht der umkämpfte Donbass im Osten und der Süden. Mittlerweile herrscht ein anderes Bild.

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Rauch steigt nach einer Explosion in der letzten Woche auf der „Saki“-Militärbasis in den Himmel über der Krim. Am Dienstag wurden erneut Explosionen auf der Halbinsel gemeldet. (Archivbild)

Im Donbass kann sich die Ukraine besser wehren und tut dies auch. Sie greift dabei auf den Mehrfachraketenwerfer Himars zurück, den sie aus den USA geliefert bekam. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete jetzt, damit seien „beinahe jeden Tag Ziele von hohem strategischem Wert weit hinter den russischen Linien attackiert“ worden: Munitionsdepots, Kommandozentralen, Gleisverbindungen, Lager mit wichtigem militärischem Gerät oder Werkstätten. Die Reichweite von Himars beträgt fast 100 Kilometer.

Deutsche Panzerhaubitze 2000 spielt laut Masla „eine relativ große Rolle“

Einen ähnlichen Zweck erfüllen Mehrfachraketenwerfer vom Typ Mars II, die Deutschland unlängst zur Verfügung stellte und die ungefähr 40 Kilometer weit reichen. Und schließlich, so Carlo Masala, spiele auch die Panzerhaubitze 2000 „eine relativ große Rolle“. Davon gelangten mittlerweile zehn aus Deutschland in die Ukraine.

Daneben ist noch etwas anderes passiert: Die ukrainische Armee ist im Süden des Landes zu einer Gegenoffensive übergegangen, entlang einer Frontlinie von angeblich 320 Kilometern Länge. Auch hier setzt sie Nadelstiche und sorgt damit für Verunsicherung.

Die Behauptung von Kritikern, dass die Militärhilfe des Westens gar keinen Nutzen bringe und die Ukraine sowieso verliere, sieht der Politologe Masala jedenfalls widerlegt. „Wir sehen, dass die westlichen Waffenlieferungen insbesondere der zweiten Runde eine ziemliche Wirkung zeigen“, sagt er vielmehr. „Sie erlauben es der Ukraine, im Osten weit hinter den russischen Linien Ziele zu zerstören, und zwingen die Russen damit, sich zu reorganisieren und Einheiten aus dem Osten in den Süden zu verlegen.“

Russland hat an drei Stellen militärischen Stress

So gesehen, hat Russland neuerdings an drei Stellen militärischen Stress: im Osten, im Süden und auf der Krim. Und weder im Osten noch im Süden konnte Putins Armee Geländegewinne bislang nachhaltig konsolidieren. Im Oktober, glaubt Masala, werde der Boden in der Ukraine noch dazu so schlammig sein, dass es Russland zunächst kaum mehr möglich sein werde, den Krieg effektiv fortzusetzen – bis der Boden im Winter mutmaßlich zu frieren beginne.

Haben die in Berlin genehmigten direkten Waffenlieferungen also spürbare Konsequenzen, so bleibt die Sache mit dem so genannten Ringtausch heikel und kompliziert. Die ursprüngliche Idee war, schwere Waffen nicht an die Ukraine, sondern vorwiegend an osteuropäische Staaten zu schicken. Das wiederum hatte zwei Gründe. Erstens liefern die Osteuropäer eigene Waffen aus sowjetischer Herstellung an die Ukraine. Deren Soldaten sind mit den Geräten vertraut.

Eine langwierige Ausbildung entfällt. Zweitens wollte zumindest das Kanzleramt vermeiden, durch die direkte Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine noch mehr in den Krieg gegen Russland hineingezogen zu werden, als dies ohnehin schon geschieht. Die Zurückhaltung führen Beobachter auch auf den Zweiten Weltkrieg und die deutsch-russische Konfrontation in jenen Jahren zurück.

Beim Ringtausch hapert es noch

Nur: Bei der Umsetzung hapert es mit dem Ringtausch. Das hat mit den teils hohen Erwartungen der Partner zu tun – aber auch damit, dass die in den letzten 20 Jahren auf Auslandseinsätze getrimmte Bundeswehr mittlerweile selbst wenig Waffen zur Landesverteidigung hat und deshalb wenig abgeben kann. Das gilt vornehmlich für Panzer, die zum Beispiel in Afghanistan niemand brauchte. So mahnte etwa der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, in einem Interview mit „Zeit online“, bei militärischer Unterstützung anderer sei „entscheidend, dass wir eine gewisse Balance halten“. Mais fuhr fort: „Ich habe darauf zu achten, dass das Heer in der Lage ist, unsere Kernaufträge erfüllen zu können – die Verteidigung des Landes und der Bündnispartner.“ Mais hatte im Februar Aufsehen erregt mit der Feststellung, das Heer sei praktisch „blank“.

Der Ringtausch sorgt vor allem mit Polen für Konflikte. Das Land hat 200 ehemals sowjetische Panzer an die Ukraine abgegeben – und betrachtet die von Deutschland im Gegenzug angebotene Lieferung von 100 Panzern des Typs „Leopard 1″ als unzureichend. Die Polen wollen den moderneren „Leopard 2″; da sind sie nicht die einzigen. Weil die Erwartungen nicht erfüllt wurden, war in der Warschauer Regierung sogar von einem „Täuschungsmanöver“ der deutschen Seite die Rede. Das ist unter Verbündeten starker Tobak.

Dabei kommt gerade dieser Konflikt nicht von ungefähr. Polen, das sowohl eine Grenze zum Putin-Verbündeten Belarus als auch zur Ukraine hat, fühlt sich von Russland seit langem bedroht – und ist wie andere Osteuropäer der Meinung, diese Bedrohung sei von Deutschland viel zu lange ignoriert worden. Als Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) zu Kriegsbeginn die Lieferung von 5000 Schutzhelmen an die Ukraine in Aussicht stellte, sprach der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki von einem „Witz“. Auch ist die Armee des Landes trotz relativ zum Bruttoinlandsprodukt hoher Investitionen in keinem guten Zustand. Sie wäre gegen eine Aggression von außen, sprich: eine russische Invasion, angeblich vollkommen chancenlos.

Noch Unklarheit bei Marder-Panzern

Zu guter Letzt hatte es bereits weit vor Ausbruch des Ukraine-Krieges mit dem deutsch-polnischen Verhältnis nicht zum Besten gestanden. Ursache dafür waren die erwähnte deutsche Russland-Politik und der autoritäre Kurs der rechtskonservativen PiS-Regierung. Es kommt deshalb nicht von ungefähr, dass Unionsfraktionschef Friedrich Merz bei seinem jüngsten Polen-Besuch auch von den polnischen Medien als eine Art Messias gefeiert wurde.

Unklar bleibt vorerst, was mit den Schützenpanzern vom Typ „Marder“ geschieht, die die Ukraine gerne hätte. Die Bundeswehr besitzt knapp 400 davon. Der Rüstungskonzern Rheinmetall setzt derzeit weitere 100 instand. Hier ist ebenfalls ein Ringtausch im Gespräch. Die 100 „Marder“ könnten an Tschechien und Griechenland gehen. Beide Länder würden nach bewährtem Muster Panzer sowjetischer Bauart nach Kiew schicken.

Zwar könnten sich Grüne und Liberale vorstellen, die „Marder“ auch der Ukraine direkt zu geben. Doch das Kanzleramt blockiert augenscheinlich wieder einmal – und das Verteidigungsministerium hat nur über die Lieferung aus eigenen Beständen zu entscheiden. Ob die Ukraine 100 „Marder“ von der deutschen Industrie bekommt, kann Verteidigungsministerin Lambrecht im Zweifel ohnehin egal sein.

Im Ganzen – hierüber herrscht Konsens – agiert die Bundesregierung beim Thema Waffenlieferungen transparenter und stringenter als noch vor einigen Monaten. So sind neben Mars II und der Panzerhaubitze 2000 auch Gepard-Panzer in der Ukraine eingetroffen – die viel diskutierten „schweren Waffen“. Zudem werden Lieferungen anders als bis zum Frühsommer mittlerweile auch publik gemacht. Doch bleibt es bei dem Eindruck, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) weiterhin ein bisschen auf der Bremse steht – womöglich, um gegenüber Putin Verhandlungsspielraum zu haben.

Der Krieg dürfte unterdessen eher länger dauern als rasch beendet sein. „Wir müssen uns auf einen langen Krieg vorbereiten“, sagt der Politikwissenschafter Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität in München. „Er dauert vermutlich bis ins nächste Jahr.“

Denkbar sei, dass Putin angesichts der eigenen militärischen Schwierigkeiten im Herbst Verhandlungen anbiete und Teile des Westens unter dem Eindruck der Energiekrise zugleich Druck auf die Ukraine ausüben würden, vom eigenen Territorium etwas abzugeben – was diese ihrerseits ablehnen werde. Die mitentscheidende Frage werde dann sein, so Masala, wie sich die maßgeblichen Nationen in der Nato und der Europäischen Union in diesem Fall verhielten: also die USA, Frankreich – und Deutschland.

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