Milliardenpaket GaspreisbremseFamilien könnten bis zu 1200 Euro sparen – gelingt es?

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Teile der Expertenkommission Erdgas und Wärme: Michael Vassiliadis, Veronika Grimm und Siegfried Russwurm (v.l.)

  • Lang wurden die Vorschläge der Expertenkommission zur Gaspreisbremse erwartet, am Montag war es dann soweit.
  • Ein mehrstufiges Modell soll laut Wissenschaftlern, Wirtschafts- und Verbrauchervertretern Entlastungen bringen.
  • Doch selbst sie gestehen ein: Die perfekte Lösung ist es noch nicht.

Berlin/Köln – Die Augenringe sind tief, als Gewerkschaftsboss Michael Vassiliadis, Wirtschaftsweise Veronika Grimm und Industriepräsident Siegfried Russwurm am Montagvormittag auf ein Podium in Berlin klettern. Ein Wochenende mit Marathonverhandlungen liegt hinter den drei Vorsitzenden der Gas- und Wärmekommission, die die Bundesregierung einberufen hat, insgesamt 35 Stunden. Selbst am frühen Montagmorgen haben die 21 Kommissionsmitglieder noch miteinander gerungen. „Bis zum sprichwörtlichen Sonnenaufgang“, wie BDI-Mann Russwurm einräumt.

Die Wissenschaftler, Wirtschafts- und Verbrauchervertreter hatten die kaum zu lösende Aufgabe, unter hohem Zeitdruck und begleitet von einem enormen öffentlichen Interesse Vorschläge zu machen, wie Verbraucher und Verbraucherinnen und Unternehmen schnell, präzise und effektiv von den massiv gestiegenen Preisen für Gas und Wärme entlastet werden könnten – ohne dass dabei ein Bürokratiemonster entsteht.

Mehrstufiges Modell soll Entlastung bringen

Ein mehrstufiges Modell soll dieses Kunststück vollbringen. Noch in diesem Dezember sollen sämtliche Haushalts- und Gewerbekunden mit einer Einmalzahlung entlastet werden. Diese „soll als finanzielle Brücke bis zur regulären Einführung der Gaspreisbremse“ dienen, heißt es in dem Bericht der Kommission.

Eigens aktiv werden müssten Verbraucherinnen und Verbraucher dafür nicht. Die Versorger sollen nach Vorstellung der Kommission auf die Abschlagszahlung für Dezember verzichten und diese vom Staat erstattet bekommen.

Damit Wohlhabende nicht über Gebühr profitieren, soll die Zahlung der Einkommensteuerpflicht unterliegen und wie ein geldwerter Vorteil besteuert werden. Dabei sollen hohe Freibeträge gelten. Besserverdiener, die meist auch mehr verbrauchen, müssten einen Teil der Erstattung an den Staat zurückzahlen.

Einmalzahlung auf Basis des Verbrauchs vom September

Damit besonders Findige nicht noch schnell ihren Abschlag anpassen, soll die Einmalzahlung auf Basis des Verbrauchs ermittelt werden, der der Abschlagszahlung im September zugrunde lag, so der Vorschlag.

Glücklich schätzen dürfen sich all jene, die einen Vertrag mit Preisgarantie haben, und die derzeit hohen Preise noch nicht bezahlen müssen. Sie bekommen die einmalige Erstattung trotzdem. Alles andere wäre administrativ für die Versorger nicht zu handhaben, sagte Grimm. 5 Milliarden Euro würde diese einmalige Dezemberhilfe in etwa kosten, Industriebetriebe gingen in diesem Jahr leer aus.

Gas- und Wärmepreisbremse für Privat- und Gewerbekunden ab März 2023

Sie würden dafür von einer Subvention profitieren, die ab Januar 2023 für Großverbraucher eingeführt werden soll. Ein Kontingent von 70 Prozent des Verbrauchs von 2021 soll auf einen Kilowattstundenpreis von 7 Cent heruntersubventioniert werden. Für darüber hinausgehende Verbräuche würden Marktpreise fällig, um den Sparanreiz hochzuhalten. Bis zum 30. April soll diese Reglung gelten und bis dahin etwa 25 Milliarden Euro kosten.

Für Privat- und Gewerbekunden soll dann ab März 2023 eine Gas- und Wärmepreisbremse eingeführt werden. 80 Prozent eines prognostizierten Verbrauchs sollen vom Staat so bezuschusst werden, dass am Ende ein Preis von zwölf Cent je Kilowattstunde inklusive aller Steuern und Abgaben für Gas und 9,5 Cent für Fernwärme übrigbleibt. Für darüber hinausgehende Verbräuche müssten Marktpreise bezahlt werden. Auch dieser Rabatt wäre wohl steuerwirksam. 61 Milliarden Euro würde diese Subvention bis Aprils 2023 kosten.

Experten fordern Härtefallfonds für Mieter und Wohnungseigentümer

Zwölf Cent je Kilowattstunde sind gemessen an den aktuellen Arbeitspreisen günstig, gemessen am Vorkrisenniveau jedoch teurer. Man habe sich an einem Preis orientiert, von dem man glaube, dass er künftig der Normalpreis sein werde, erklärt Grimm. Statt mit russischem Pipelinegas wird Deutschland künftig vor allem mit verflüssigtem Erdgas (LNG) versorgt, das deutlich teurer ist als der Brennstoff aus Sibirien.

Darüber hinaus schlagen die Fachleute einen Härtefallfonds für Mieter und Wohnungseigentümer sowie zusätzliche Hilfen für besonders betroffene Unternehmen vor.

Unterm Strich kalkuliert die Gaspreiskommission mit Entlastungen von 91 Milliarden Euro, wobei die tatsächliche Höhe von der Preisentwicklung an den Weltmärkten abhängt und ein Teil über die Versteuerungspflicht für Besserverdiener an den Staat zurückfließen würde.

Durchschnittsfamilien würden 1200 Euro sparen, ein Singlehaushalt 300 Euro

Eine Durchschnittsfamilie würde durch die Gaspreisbremse unterm Strich um deutlich mehr als 1200 Euro pro Jahr entlastet, hat das Vergleichsportalen Check24 ausgerechnet. Dessen Experten gehen von einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden aus und sie legen den aktuellen Durchschnittstarif von knapp 20 Cent pro Kilowattstunde zugrunde, der derzeit beim Abschluss von Neuverträgen gezahlt werden muss. Ein Singlehaushalt müsste den Kalkulationen zufolge gut 300 Euro weniger in zwölf Monaten zahlen.

Nicht nur Hausbesitzer, sondern auch Mieter, die ihre Aufwendungen für Erdgas über die Nebenkosten bezahlen, sollen von der Regelung unmittelbar profitieren. Die Kommission verweist auf eine Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch: „Ermäßigen sich die Betriebskosten, so ist eine Betriebskostenpauschale vom Zeitpunkt der Ermäßigung an entsprechend herabzusetzen. Die Ermäßigung ist dem Mieter unverzüglich mitzuteilen“, heißt es dort in Paragraph 560.

Das Ergebnis, sagt Russwurm, sei „sicher nicht perfekt, aber belastbar“. Das „Machbare“ habe eine große Rolle gespielt, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Grimm. Und IG BCE-Chef Vassiliadis sagt, manche soziale Unschärfe des vorgeschlagenen Modells, zerreiße ihm zwar „das Herz“, dennoch freue er sich als Gewerkschafter darüber, dass nun diejenigen Hilfe bekämen, die sie auch bräuchten.

Entlastungen sollen schnell kommen – die Umsetzung aber ist komplex

Das ist der Ton, in dem die Kommissionsvorsitzenden ihren Bericht präsentieren. Mehr war in der Kürze der Zeit und angesichts der begrenzten Ressourcen nicht drin, lautet der Subtext. Wobei es nicht mal am Geld gescheitert ist, sondern vor allem daran, dass eine zielgenaue Entlastung bedürftiger Gaskunden zwar schnell gefordert, aber in der Umsetzung alles anders als trivial ist.

Das größte Problem ist, dass die Energieversorger keine Ahnung haben, an wen genau sie ihr Gas eigentlich liefern. Stadtwerke und Energiekonzerne unterscheiden nur zwischen normalen Kunden und Großverbrauchern. Letztere sind in erster Linie Industriebtriebe, Erstere aber können Handwerker, Mittelständler, Einfamilienhäuser oder große Mietobjekte sein. Gasversorger sähen nur den Anschluss, erklärt Russwurm. Ob sich dahinter eine Mehrfamilienhaus in einem sozialen Brennpunkt oder eine Villa mit privater Wellnesslandschaft verberge, wisse der Lieferant nicht.

Der Einbau einer Obergrenze der geförderten Energie oder einer sozialen Komponente sei deshalb schlechterdings nicht möglich gewesen. „Wir mussten mit dem arbeiten, was wir hatten“, sagt Vassiliadis.

Verdi-Chef Werneke geht bereits auf Distanz

Erkennbar verärgert zeigt sich der Gewerkschafter, als Meldungen die Runde machen, dass Kommissionsmitglieder von den Vorschlägen bereits distanzieren. In der Sitzung sei das kein Thema gewesen, sagt er.

So gab Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), öffentlich ein Sondervotum zu Protokoll. „Das vorgeschlagene Modell der Gaspreisbremse ist nicht ausreichend sozial ausbalanciert. Durch das Modell wird eine Zwei-Zimmer-Wohnung genauso behandelt wie eine Villa mit Pool“, so der Verdi-Chef.

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Um Haushalte mit geringen bis durchschnittlichen Einkommen finanziell nicht zu überfordern, müsste es außerdem ein Mengen-Grundkontingent pro Haushalt zu einem Preis aus der Zeit vor der Krise geben, fordert er. „Darüber hinaus müsste für Privathaushalte eine Obergrenze – Vorschlag: 25.000 KWh – definiert werden, damit diejenigen mit hohem Einkommen und Verbrauch nicht über Bedarf gefördert werden“, so der Verdi-Vorsitzende, der gleichwohl dem Zwischenbericht zustimmte.

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch, der der Kommission beratend angehört, zeigte sich am Montag trotz der Kritik zufrieden. „Mit all ihrer Expertenpower hat die Kommission ein Ergebnis vorgelegt, auf dem wir nun gut aufsetzen können“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Es müsse nun zügig gehen mit der Umsetzung, forderte Miersch. „Wir wollen so schnell wie möglich Klarheit und Planungssicherheit schaffen.“

Die perfekte Lösung ist es nicht

Regierungssprecher Steffen Hebestreit kündigte an, dass Kanzleramt sowie Wirtschafts- und Finanzministerium nun „sehr zügig“ an der Umsetzung arbeiten. „Unser Ziel ist klar: Die hohen Gaspreise zu senken und zugleich eine sichere Versorgung mit Gas zu gewährleisten.“

Die Kommission, das machten deren Chefs am Montag deutlich, sieht ihre Mission noch nicht als beendet an. Nicht umsonst hat sie ihre Papier „Zwischenbericht“ genannt. Die Expertinnen und Experten wollen weiter an der perfekten Lösung arbeiten. Allerdings wissen auch sie, dass die Politik am Ende das letzte Wort hat.

„Wir können nur Empfehlungen geben“, sagt Russwurm. „Entscheiden muss die Politik.“

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