Nationaltrainer Hansi Flick„Es ist keine WM für den normalen Fan“

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Fußball-Bundestrainer Hansi Flick.

  • Für Hansi Flick wird die Fußballweltmeisterschaft in Katar die erste als Bundestrainer sein
  • Er spricht über die Folgen der WM-Vergabe an das Emirat und seine Angst vor dem Krieg
  • Flick traut Frauen-Nationaltrainierin Martina Voss-Tecklenburg jeden Job im Fußball zu

Hansi Flick, am 1. August waren Sie ein Jahr als Bundestrainer im Amt – haben Sie gefeiert?

Nein. Mir geht es um die Aufgabe, die treibt mich an. Ein Jahr Bundestrainer – das hat für mich keine große Relevanz. Man merkt eigentlich nur, wie schnell die Zeit vergeht. Zack, und schon ist ein Jahr rum.

In der Zeit ist viel passiert. Sie haben sich im Zuge der Corona-Pandemie mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach zunächst ein verbales Geplänkel geliefert und dann ausgesprochen. Wie eng verfolgen Sie seinen Weg?

Wir haben immer wieder mal Kontakt, aber jetzt schon länger nicht mehr. Ich bin viel in Europa unterwegs und bekomme mit, dass man in anderen Ländern inzwischen etwas lockerer mit Corona umgeht. Ich wünsche mir, dass wir weiterhin verantwortungsvoll mit der Pandemie umgehen, uns an die nötigen Regeln halten und die Sicherheit in den Mittelpunkt stellen. Aber ohne Angst. Bei uns in Deutschland denken wir leider häufig zu pessimistisch – ich bin eher Optimist.

Krieg in der Ukraine – „Es ist Wahnsinn, es bedrückt“

Haben Sie Angst vor dem Krieg?

Ja, vor dem Krieg habe ich Angst. Ich hätte nie gedacht, dass im 21. Jahrhundert noch jemand auf die Idee kommen könnte, Krieg zu führen in Europa. Es ist Wahnsinn, es bedrückt und sorgt mich sehr. Ich wünsche den Menschen in der Ukraine nur das Beste und versuche zu helfen, wo es geht. Wir sind bei uns im Ort in Bammental auch engagiert und haben zum Beispiel Wohnraum zur Verfügung gestellt. Wenn man sieht, wie dankbar die Menschen dafür sind, weiß man, wie es in ihnen aussieht.

Wie viele Spiele der Frauen-EM haben Sie gesehen?

Im Stadion nur das Endspiel, ansonsten fast alle unsere Partien und noch ein paar andere.

Kann sich Hansi Flick für sich oder seine Mannschaft dabei etwas abschauen?

Man lernt immer dazu. Das ist wie beim Rudern gegen den Strom – wenn man aufhört, fällt man zurück. Wir wollen im gesamten DFB neugierig sein, offen für Innovationen und Veränderungen bleiben. Wir haben einen sehr guten Draht zum Trainerteam der Frauen, hatten auch schon gemeinsame Workshops. Martina Voss-Tecklenburg und ihr Team haben Ansätze, die für uns interessant sind und umgekehrt auch. Man tauscht sich auf Augenhöhe aus, jeder nimmt für sich was mit – darum geht es.

Es ist trotzdem eher unwahrscheinlich, dass Sie demnächst Szenen der Frauen-EM in Ihre Analysen einbauen, oder?

Gar nicht. Natürlich nehmen wir Dinge mit. Mir hat es zum Beispiel sehr gut gefallen, wie die beiden Innenverteidigerinnen bei Ballbesitz sofort angedribbelt haben. Der Fußball, den unsere Frauen gespielt haben, der ist schon außergewöhnlich, auf hohem Niveau, mit dieser hohen Intensität. Das wünschen wir uns im DFB von allen unseren Mannschaften.

„Die Ausbildung muss sich verbessern“

Wie stehen Sie als Bundestrainer zur aktuellen Debatte um Equal Pay und Equal Play?

In meinen Gesprächen mit Martina und einigen Nationalspielerinnen habe ich herausgehört, dass es ihnen vor allem darum geht, dass sich die Bedingungen weiter angleichen müssen. Die Ausbildung muss sich verbessern. An diesen Punkten arbeitet der DFB auf allen Ebenen. Diesen Weg müssen wir fortsetzen und intensivieren, wir müssen die weiblichen Talente noch mehr fördern, auch in den Nachwuchsleistungszentren der Klubs. Dabei müssen wir die Vereine noch stärker unterstützen. Das wird sich auszahlen.

Und in Bezug auf gleiche Bezahlung? Was haben Sie bei der Forderung von Bundeskanzler Olaf Scholz gedacht?

Die Aussagen von Oliver Bierhoff waren absolut richtig – man sollte auch die Prämienverteilung der Verbände und die Umsätze nicht außer Acht lassen. Da stehen wir in Deutschland schon gut da – und es wird weiter optimiert. DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Oliver Bierhoff sind mit Bundeskanzler Scholz, der ja gerade erst den DFB-Campus besucht hat, dazu in einem guten Austausch.

Martina Voss-Tecklenburg „traue ich jede Aufgabe zu“

Wäre Martina Voss-Tecklenburg ein guter Bundestrainer oder Hansi Flick eine gute Bundestrainerin?

Mit Horst Hrubesch war ja schon mal ein Mann verantwortlich für die Frauen-Nationalmannschaft. Er hat bewiesen, dass dies hervorragend funktioniert. Warum auch nicht? Und warum nicht auch umgekehrt? Martina und ich haben die gleiche Trainerausbildung. Ich mag ihre Art, ich mag, wie sie Fußball sieht, sie ist eine absolute Fachfrau. Ich traue ihr jede Aufgabe zu. Wenn ich an den November 2019 denke: Mir haben auch nicht alle zugetraut, dass ich den FC Bayern München trainieren könnte.

Auch für die Männer steht ein großes Turnier an. Wie schwierig ist die Aufgabe als Bundestrainer, den Spagat hinzubekommen, sich bei der Winter-WM aufs Sportliche konzentrieren zu müssen und trotzdem politische Zeichen setzen zu wollen?

Das ist für alle Beteiligten eine Herausforderung. Wir haben schon viele Gespräche geführt, um die Mannschaft bestmöglich zu informieren. Wir werden uns im September erneut zusammensetzen und überlegen, was wir, möglicherweise auch gemeinsam mit anderen Nationen und Mannschaften, machen können und wollen. Grundsätzlich finde ich es schade, dass dieses Turnier keine WM für Fans wird.

Was meinen Sie?

Ich habe viele Bekannte, die gerne nach Katar fliegen würden, es aber aus vielerlei Gründen unterlassen. Weil sie sich die massiven Preise nicht leisten können, weil die Situation etwa für Homosexuelle inakzeptabel ist, weil es Menschenrechtsverletzungen gibt, weil Minderheiten ausgegrenzt werden. Dabei sollte der Fußball für alle da sein. Darum sage ich: Es ist keine WM für den normalen Fan.

„Alles Private unterordnen – das ist die Einstellung, die wir brauchen“

Wie sehr befürchten Sie Auswirkungen auf Ihren WM-Kader angesichts des proppenvollen Terminkalenders?

Dieses Jahr wird intensiv, es geht Schlag auf Schlag, dessen sind sich alle bewusst. Wir hoffen natürlich, dass unsere Spieler die Belastungen gut verkraften. Bei der WM muss jeder topfit sein. Thomas Müller hat es gerade treffend formuliert. Er will der WM, seinem großen Ziel in den nächsten Monaten, alles Private unterordnen. Das sagt alles, das ist die Einstellung, die wir brauchen. Jeder Spieler will bei einer WM dabei sein – und für diesen Traum muss man hart arbeiten.

Einige Nationalspieler stehen – auch wegen der WM – vor einem Klubwechsel wie etwa Thilo Kehrer oder Julian Draxler, andere haben Topvereine verlassen wie Niklas Süle oder Timo Werner. Steht Spielpraxis für Sie dabei über allem?

Für Süle und Werner gilt: Sie verlassen einen Topverein und gehen zu einem Topverein. Ich nehme mal das Beispiel Bayern München, weil ich dort zuletzt selbst Trainer war und den größten Einblick habe: Dort wird jeden Tag auf absolutem Topniveau trainiert, dann ist es nicht so schlimm, wenn man mal ein Spiel aussetzt. Wichtig ist, dass man nicht drei Monate lang kein Spiel macht. Ein gewisser Rhythmus ist unverzichtbar.

Mario Götze ist zurück, spielt nun bei Eintracht Frankfurt. Sie sind immer ein Fan gewesen, haben ihm die Türe noch offengehalten – wie sehr darf Deutschland auf ein DFB-Comeback des Goldjungen hoffen?

Ich habe Mario im Pokalspiel in Magdeburg und gegen Bayern gesehen. Er war nicht fehlerfrei, aber alles, was er macht, hat Hand und Fuß, er wirkt sehr fit. Er wird der Eintracht viel Freude bereiten. Ich habe Mario immer als Mensch und Spieler geschätzt. In der Jugend war er in jedem Jahrgang herausragend. Sein Siegtor im WM-Finale 2014 war einfach phänomenal. Ich denke oft, wie man in Brasilien oder Portugal bei solch einem Treffer ausgeflippt wäre. Überspitzt formuliert: Bei uns heißt es – 1:0, super, Weltmeister, fertig. Aber das war ein Weltklassetor! Wie er den Ball annimmt und in der Bewegung versenkt, das war einzigartig. Mario hat enorme Qualitäten, gerade im letzten Drittel. Er ist sehr ballsicher, hat Übersicht. Ich freue mich auf ihn und werde mir noch viele Spiele von ihm anschauen. Die Tür zur Nationalmannschaft bleibt auch für ihn offen.

Es wird Ihre erste Endrunde als Chefcoach. Wie herausfordernd wird diese Aufgabe, und werden Sie sich Rat von Joachim Löw holen?

Ich habe vier Turniere als Co-Trainer mitgeplant und weiß, worauf es ankommt. Dennoch kann es nur von Vorteil sein, dass ich mich mit Jogi noch mal zusammensetze und über seine Eindrücke und Erfahrungen austausche. Darüber, was bei so einem Turnier alles passieren kann und wie er dies aus der Perspektive des Bundestrainers erlebt hat.

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Der neue DFB-Campus in Frankfurt.

Wir sitzen hier im neuen DFB-Campus und schauen auf das Warmup des FC Bayern, der vor dem Bundesligaauftakt draußen trainiert. Was entgegnen Sie einem Amateurtrainer, der behauptet, die Akademie sei mal wieder nur etwas für die Elite?

Der DFB ist für den gesamten Fußball da. In diesem Geiste ist der Campus entstanden. Wenn ich die Otto-Fleck-Schneise und den Campus vergleiche, sind sie Welten voneinander entfernt. Das eine war ein Verwaltungsgebäude, hier steht der Fußball im Mittelpunkt, überall. Für mich ist dieses Zentrum des deutschen Fußballs ein absolutes Highlight, ein Traum. Das Ziel war, hier alles unter einem Dach zu vereinen: Hier werden Trainer und Manager aus- und weitergebildet, davon profitieren natürlich auch die Klubs, regelmäßig sind Nachwuchs- und Amateurmannschaften zu Gast. Wir haben hier schließlich drei Plätze, die dauerhaft genutzt werden sollen. Ganz klar: Der Campus ist auch und vor allem für die Basis da.

„Die Bedingungen am Campus in Frankfurt sind absolut großartig“

Und ein Treffpunkt für alle Gewerke?

Exakt. Ich habe mir mit Oliver (Bierhoff) vor Jahren einmal die Akademie des spanischen Fußballverbandes angeschaut. Da waren wir mit Sportdirektor Fernando Hierro essen, ein paar Meter weiter trank Vicente del Bosque, damals Nationaltrainer, einen Espresso, der Präsident kam auch noch vorbei, und unten trainierte eine U17-Auswahl. Da haben wir gesagt: Wow, sowas brauchen wir auch. Das ist das, was es ausmacht: dass man die Basis vernetzt mit den Profis und das Ding so richtig mit Leben füllt.

Ist es da nicht ein falsches Signal, wenn die Nationalelf zwar am Campus trainiert, aber nicht übernachtet, weil dort zu wenig Zimmer geplant wurden?

Beim Campus ging es von Anfang an auch darum, mit den Investitionen Maß zu halten. Die Delegierten der Landesverbände haben auf dem DFB-Bundestag einen Kostenrahmen beschlossen, der eingehalten wurde. Ohne Frage wäre es schön, wenn auch die A-Nationalmannschaften hier übernachten könnten, aber die Bedingungen geben das leider nicht her. Es ist aber nicht entscheidend. Viel wichtiger als die Frage, wo die Spielerinnen und Spieler schlafen, ist, unter welchen Bedingungen sie trainieren können. Und die sind hier am Campus absolut großartig.

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Sie waren bei den Galaauftritten von Bayern in Leipzig (5:3) und in Frankfurt (6:1) dabei – können sie sich auf dem Weg zum elften Meistertitel in Folge wieder nur selbst stoppen?

Ich glaube, dass es wieder schwer wird für alle anderen. Dafür braucht es von allen etwas mehr Mut und etwas mehr Glauben an die eigene Stärke – das würde ich mir wünschen. Aber die Qualität von Bayern, gepaart mit dem unglaublichen Willen, jedes einzelne Spiel gewinnen zu wollen, ist schon enorm.

Kann Jamal Musiala der Superstar der WM werden?

Ich habe großes Vertrauen in seine Qualitäten, sehe ihm gerne zu. Für mich steht aber immer der Teamgedanke über allem. Es bringt nichts, wenn ein Einzelner durchstarten würde und wir als Mannschaft nicht funktionieren. 2014 hatten wir keinen Superstar – und sind Weltmeister geworden.

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