Pingdemie in GroßbritannienHunderttausende fehlen wegen Delta am Arbeitsplatz

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Boris Johnson

In Großbritannien grassiert weiterhin die sogenannte Pingdemie: Immer öfter benachrichtigt die Corona-App Nutzerinnen und Nutzer über Risikokontakte, schließlich breitet sich die Delta-Variante des Coronavirus auf der Insel rasend schnell aus. Und weil das ständige Pingen der Smartphones meist mit einer Quarantäne einhergeht, fehlen der BBC zufolge derzeit Hunderttausende am Arbeitsplatz. Das wirft ein Schlaglicht darauf, wie schwer es ist, mit der Delta-Variante zu leben - was zunehmend auch deutschen Ökonominnen und Ökonomen Kopfzerbrechen bereitet.

Denn derzeit impft die Bundesrepublik gegen eine vierte Corona-Welle an. „Wir sehen aber in Großbritannien gerade, dass trotz relativ hoher Impfquoten nicht nur die Zahl der Infektionen schnell steigt, sondern auch die der Krankenhauseinweisungen zuzunehmen beginnt“, warnte Jürgen Matthes vom arbeitgebernahen Institut für Wirtschaft (IW) in Köln gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Und so entscheidet sich im Vereinigten Königreich gerade, „ob man mit der nächsten Welle nicht umgehen kann wie mit einer Grippesaison“, wie es Matthes formuliert. Während das IW Matthes zufolge die Situation genau, „aber noch nicht mit großer Sorge“, beobachtet, sind Experten des gewerkschaftsnahen IMK-Forschungsinstituts skeptischer. „Die Delta-Variante ist ohne Zweifel das derzeit größte Risiko für die Konjunktur“, ist IMK-Konjunkturexperte Thomas Theobald überzeugt. Das IMK hatte zuletzt prognostiziert, dass sich der Konsum ab Sommer zur Stütze der Konjunktur entwickeln würde. „Aber genau da sehen wir nun Risiken“, erklärte Theobald mit Blick auf Ansteckungsängste bei Kunden oder gar erneute erneute Einschränkungen wie Lockdowns.

Die sind in Deutschland indes bislang nicht geplant - aber bei dramatisch steigenden Fallzahlen eben auch nicht ausgeschlossen. „Ob neue Restriktionen kommen, entscheidet am Ende die Politik. Die war in Deutschland bislang allerdings risikoaverser als in GB“, meint etwa Matthes. Deutlicher wurde die Wirtschaftsweise Veronika Grimm im Gespräch mit dem RND mit Blick auf mögliche Schulschließungen. Die gehen ebenso mit Bildungsverlusten bei Kindern wie mit Betreuungsproblemen für Beschäftigte einher. „Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland entscheiden werden, das Virus ungebremst durch die Schulen laufen zu lassen“, sagte Grimm trotzdem.

„Gerade bei niedrigen Inzidenzen sollte das Testen in Schulen, nach Reisen und bei Veranstaltungen und auch für Ungeimpfte im Betrieb zur Routine werden, um schnell auf eine mögliche neue Dynamik des Infektionsgeschehens reagieren zu können“, forderte Grimm deshalb. Dringend notwendig sei an Schulen außerdem ein Umstieg auf die zuverlässigeren, poolweise ausgewerteten PCR-Tests. Die Ausstattung der Klassenzimmer müsse ebenfalls schon jetzt mehr Aufmerksamkeit erhalten.

Auch beim IMK und beim IW sieht man weiter Handlungsbedarf. Harte Einschränkungen will IW-Experte Matthes zwar vermeiden, aber Testpflichten und Kontrollen ergäben durchaus Sinn, ebenso wie Anreize, um die Impfquote zu erhöhen. „Eigentlich sollte man auch die Arbeitgeber appellieren, die Arbeit im Homeoffice zu ermöglichen, wenn Präsenzarbeit nicht unbedingt nötig ist“, erklärte außerdem IMK-Forscher Theobald.

Wie Gesundheitsminister Jens Spahn am Mittwoch erklärte, hat sich das Bundeskabinett zumindest auf eine weitestgehende Fortführung der Quarantäneregeln für Reiserückkehrer geeinigt. Eine Fortführung oder ein Ausbau der Teststrategie seien ebenfalls im Gespräch, sein Ministerium befürworte das auch, sagte Spahn. Anlass der Pressekonferenz war indes die Vorstellung der sogenannten „Nationalen Reserve Gesundheitsschutz“. Denn mit Blick auf Masken und andere Schutzkleidung will die Bundesregierung künftig besser vorsorgen und entsprechende Lagerbestände aufbauen.

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