Prostitution zwischen Schlager und ElendWas uns „Layla“ verschweigt

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Sexarbeit Prostitution

Wegen „Layla“ wird in Deutschland über Prostitution diskutiert. 

  • Seit Wochen diskutiert Deutschland über den Ballermannhit „Layla“.
  • Dabei geht es nicht nur um Sexismus, sondern auch um die Frage: Ist Prostitution in Deutschland ein Beruf wie jeder andere, oder ein kriminelles System, in dem Frauen ausgebeutet werden?

Berlin – Seit sechs Wochen steht „Layla“ auf Platz eins der deutschen Singlecharts. Der Schlagersong über eine „Puffmama“ hat eine hitzige Debatte über guten Geschmack und den respektvollen Umgang mit Frauen ausgelöst. Ist es sexistisch, eine Frau als „schöner, jünger, geiler“ zu bezeichnen? Fest steht: Wo auch immer das Lied läuft, findet sich ein jubelndes Publikum.

Mehrere Veranstalter von Volksfesten entschieden, es nicht zu spielen, revidierten das aber. Schließlich wurde der Song auch im ZDF-Fernsehgarten gefeiert. Für das Lied und seine Macher hatte die Kontroverse wohl nur positive Folgen: „Layla“ gilt längst als der Sommerhit des Jahres.

„Layla“: Sexarbeitende fühlen sich nicht diskriminiert

Sexarbeiterinnen selbst stört der Text von „Layla“ kaum. „Ich finde das Lied überhaupt nicht schlimm“, sagt Elke Winkelmann vom Bundesverband sexuelle Dienstleistungen (BSD), in dem sich sowohl Sexarbeitende als auch Bordellbetreiberinnen und ‑betreiber zusammengeschlossen haben. Persönlich gefalle ihr der Song weniger. „Aber ich kann mir vorstellen, dass viele Menschen sehr viel Spaß damit haben.“

Auch André Nolte vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) sieht keine Diskriminierung durch den Song. „Unser größtes Problem in der Sexarbeit sind schlechte Gesetze, nicht schlechte Reime“, sagt Nolte.

Kritik an „Verherrlichung“ von Prostitution

Andere finden es zumindest schwierig, dass nun Land auf und Land ab gesungen wird: „Ich hab ‘nen Puff, und meine Puffmama heißt Layla.“ „Das Problem ist, dass wir eine Verherrlichung der Prostitutionsstätten und der Prostitution in Deutschland haben“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier. Die spiegele sich auch im Erfolg von „Layla“ wider. Für eine ganze Generation sei Prostitution inzwischen normal, der Liedtext werde unreflektiert mitgegrölt. Wie die Realität von Sexarbeitenden aussieht, darüber denkt dagegen wohl keiner der Schunkelnden nach.

Er vermisse eine Debatte über die schlimmen Umstände, die die Realität der Prostitution in Deutschland prägten, sagt daher auch Helmut Sporer vom Deutschen Institut für Angewandte Kriminalitätsanalyse (DIAKA). „Das Zwangselend von abertausenden Armutsprostituierten in Bordellen wie dem, das in dem Lied vorkommt, wird in der Diskussion ausgeblendet.“

Seit 20 Jahren hat Deutschland eine der liberalsten Gesetzgebungen im Umgang mit Sexarbeit weltweit. Seit Einführung des Prostitutionsgesetzes gilt Sexarbeit als Dienstleistung, Prostituierte werden als Selbstständige angesehen. 2017 fasste die Bundesregierung noch einmal nach, führte verpflichtende Gesundheitsberatungen für Sexarbeitende und eine Anmeldepflicht für alle Prostitutionsstätten ein.

Streit um Beurteilung der Sexarbeit

Durch die Legalisierung und Liberalisierung sollte sich die Situation von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern in Deutschland verbessern. Doch über die Frage, ob dies gelungen ist, wird auch heute noch gestritten. Zwei Lager stehen sich dabei gegenüber – und werfen einander vor, die Realität zu verzerren und öffentlich Desinformation zu betreiben. Die Befürworterinnen und Befürworter der liberalen Prostitutionspolitik möchten die Gesetze erhalten und fordern, gesellschaftliche Vorurteile und Stigmatisierungen weiter abzubauen. Andere sagen dagegen: Deutschland sei durch die Prostitutionsgesetze zum „Bordell Europas“ und zum Zielland für Menschenhandel geworden. Sie fordern ein Sexkaufverbot und die Schließung aller Bordelle.

Viele Aussteigerinnen berichteten, sie hätten noch nie eine Frau getroffen, die sich vollkommen frei für die Prostitution entschieden hat, sagt Breymaier. Der frühere Kriminalkommissar Helmut Sporer hat jahrzehntelang im Rotlichtmilieu ermittelt und sagt: Statt auf Freiwilligkeit und Selbstbestimmung basiere die Prostitution in Deutschland überwiegend auf einem System von Menschenhandel, Zwang und Ausbeutung.

Die durchschnittliche Prostituierte in Deutschland komme aus Ungarn, Bulgarien oder Rumänien, sei zwischen 18 und 24 Jahre alt und habe irgendwo einen Mann im Hintergrund, der davon profitiert, so der ehemalige Ex-Polizist. „Diese Menschen sind oft Tag und Nacht im Bordell und von der Außenwelt abgeschnitten, weil die Zuhälter oder Bordellbetreiber alles dafür tun, dass sie rund um die Uhr für die Kunden verfügbar sind“, sagt Sporer. Das Essen werde geliefert und selbst der Friseur komme zum Hausbesuch. „Diese Frauen können sich nicht selbst organisieren und sich auch nicht öffentlich zu ihrer Situation äußern“, sagt Sporer.

Verbände: Stigmatisierung nimmt zu

Das sehen aber längst nicht alle so: „Ich kann dieses Bild, dass Keine das freiwillig macht, aus meiner Erfahrung einfach nicht bestätigen, und ich habe schon mit sehr vielen Sexarbeiterinnen zusammengearbeitet“, sagt Elke Winkelmann vom Bundesverband sexuelle Dienstleistungen. In der Öffentlichkeit werde hingegen ein einseitiges Bild der bestialisch ausgebeuteten Prostituierten gezeichnet. Dadurch nehme die Stigmatisierung für Sexarbeiterinnen noch weiter zu. Immer weniger Frauen könnten deshalb offen zur ihrer Tätigkeit stehen. „Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Kind, und das erzählt in der Kita, die Mama ist Sexarbeiterin – dann würde es zu keinem Kindergeburtstag mehr eingeladen“, meint Winkelmann.

Das Problem ist: Wer Recht hat, lässt sich nicht eindeutig sagen, denn es fehlt an gesicherten Zahlen. Wie viele Menschen in der Sexarbeit tätig sind, kann nur geschätzt werden. Deshalb weiß auch niemand, wie viele Menschen sich freiwillig prostituieren, oder keine andere Wahl haben – weil sie von Zuhältern oder Familienmitgliedern dazu gezwungen werden, drogenabhängig sind oder dringend Geld brauchen. „Es ist peinlich für Deutschland, dass wir so miese Daten haben“, sagt Breymaier. „Vielleicht wollen wir es gar nicht so genau wissen.“

Einig sind sich die beiden Seiten darin, dass sie die Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter verbessern wollen. Doch auch darüber, was dafür passieren muss, herrscht Streit. Die Verbände der Sexarbeitenden fordern vor allem eine Gleichstellung mit anderen Gewerbetreibenden, und dass die Sexarbeit gesellschaftlich als normaler Beruf anerkannt wird. Außerdem setzen sie sich für mehr Beratungsangebote und Weiterbildungsmöglichkeiten ein.

Ausstiegshilfen seien zwar wichtig, aber das reiche nicht aus, um das System des Menschenhandels zu durchbrechen, sagt dagegen Ex-Polizist Sporer. Auch in der Strafverfolgung fehlten geeignete Werkzeuge. Deshalb wird 20 Jahre nach der Legalisierung der Prostitution jetzt über eine erneute Reform diskutiert.

Dabei geht es vor allem um einen Vorschlag: das „Nordische Modell“. Das sieht vor, nicht die Sexarbeit selbst, sondern den Kauf von sexuellen Dienstleistungen unter Strafe zu stellen. Auch der Betrieb von Bordellen wäre dann illegal.

Forderung nach Sexkaufverbot: „Radikaler Richtungswechsel“

„Wenn man die Verhältnisse tatsächlich verbessern möchte, hilft nur ein radikaler Richtungswechsel“, sagt Sporer. Deutschland müsse für die Profiteure der Prostitution unattraktiver werden. Durch ein Sexkaufverbot werde die Nachfrage eingedämmt. So könne verhindert werden, dass immer neue Frauen in die Prostitution gebracht werden.

Viele Sexarbeitende lehnen das „Nordische Modell“ dagegen vehement ab. Sie sehen darin eine Regelung, die einem Arbeitsverbot gleichkommt. Elke Winkelmann nennt das „Nordische Modell“ eine „Katastrophe“. Aus Sicht der Verbände würde sich dadurch die Situation gerade für die Frauen, die kaum andere Optionen hätten als die Sexarbeit, massiv verschlechtern. Wenn Bordelle geschlossen werden, müssten die Frauen ihre Dienste im Internet anbieten und weitgehend alleine in Privatwohnungen arbeiten.

Das „Nordische Modell“ erhöhe deshalb die Gefahren für die Frauen, führe zu Vereinzelung und damit zu größerer psychischer Belastung. Auch für Polizeikontrollen und Beratungen seien die Frauen dann kaum noch erreichbar. Statt Gesetzesänderungen fordern die Interessenvertretungen mehr Sozialarbeit, etwa in Form von aufsuchenden Beratungen.

Sollte das „Nordische Modell“ auch in Deutschland eingeführt werden, würde es in Zukunft sicher unwahrscheinlicher, dass Sommerhits von blonden Puffmamas mit „geiler Figur“ handeln. Derzeit werden die Auswirkungen des Prostituiertenschutzgesetzes vom Bundesfrauenministerium evaluiert. Danach will die Bundesregierung entscheiden, ob strengere Gesetze nötig sind. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen aber erst 2025 vorliegen. Zumindest in diesem Sommer wird also weiterhin unbeschwert von der „wunderschönen Layla“ gesungen.

Sexarbeit in Deutschland – die rechtliche Lage

Die Gesetzeslage in Bezug auf Sexarbeit in Deutschland gilt als eine der liberalsten in Europa und sogar weltweit. Seit 20 Jahren ist Sexarbeit in Deutschland legalisiert. Bis zum 1. Januar 2002 galt die Prostitution als „sittenwidrig“ und war damit zwar nicht komplett verboten, aber fand meist im Verborgenen statt. Bordelle konnten sich nicht offiziell als Gewerbe anmelden.

Mit der Gesetzesänderung können Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter als Selbständige ihrem Beruf nachgehen. Prostitution wird als eine Dienstleistung angesehen. An der Legalisierung gibt es allerdings auch Kritik. Sie begünstige vor allem die Profiteure der Prostitution und vernachlässige die Opfer, ermögliche Menschenhandel und Zwangsprostitution und mache Deutschland zum „Bordell Europas.“

Kritik an „Hurenpass“

Die Sexarbeit in Deutschland wurde mit dem Prostituiertenschutzgesetz im Juni 2017 noch einmal neu geregelt. Ziel war es laut Bundesregierung, die Rechte der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter weiter zu stärken und Kriminalität aus der Branche zu verdrängen. Seitdem müssen sich alle Prostitutionsbetriebe behördlich anmelden. Sexarbeitende sind zu Gesundheitsberatungen und einer behördlichen Registrierung verpflichtet, dem sogenannten „Hurenpass“ oder "Hurenausweis".

Die Regelung wird seit Beginn an kritisiert. Weil Sexarbeitende häufig nicht öffentlich erkennbar werden wollen, ein Doppelleben führen oder Angst um die Sicherheit ihrer Daten haben, lehnen viele die Registrierung ab.

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