Sanktionen sind spürbarWie Russlands Krieg den Alltag der Menschen verändert

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Die Folgen der Sanktionen des Westens gegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine sind in dem Riesenreich allgegenwärtig.

Die Sanktionen gegen Russland sind beispiellos: Zwar fließt noch reichlich Öl und Gas in den Westen, aber westliche Waren kommen kaum noch ins Land. Internationale Unternehmen ziehen sich aus dem Russland-Geschäft zurück. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte vor drei Wochen verkündet: „Die russische Wirtschaft bricht ein.“ Putin nennt es einen „wirtschaftlichen Blitzkrieg“. Aber was merken die Menschen vor Ort von den Strafmaßnahmen des Westens?

„Die meisten Menschen in Russland haben noch nicht verstanden, was eigentlich los ist. Jetzt haben Ikea und Starbucks Russland verlassen, aber die gab es sowieso nur in Moskau und St. Petersburg. In den anderen Regionen des Landes merkt man davon nichts“, sagt Michail im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Seinen echten Namen sollen wir nicht veröffentlichen, er lebt in Moskau, ist 25 Jahre alt und arbeitet in einer Rechtskanzlei. „Auch die russischen Burger in den alten McDonald“s-Filialen schmecken genauso wie vorher.“

Wichtige Waren sind nicht mehr zu bekommen

Aber es gibt auch Waren, die derzeit einfach nicht zu bekommen sind: „Kleidung, Elektronik, oder Küchenmaschinen gibt es fast keine mehr“, erzählt Michail. „Produkte deutscher Hersteller wie Bosch oder Liebherr sind aus den Kaufhäusern verschwunden.“ Ein anderes Problem trifft Michail besonders hart: „Ich kann die Software auf meinem Computer nicht mehr kaufen oder updaten“, berichtet er. Aber ohne wichtige Programme wie Teams, Zoom oder Excel könne er kaum arbeiten.

Auch wer in Russland gerade versucht, den Service westlicher Hersteller zu kontaktieren, merkt schnell, dass etwas nicht stimmt. Michail berichtet: „Wenn meine deutsche Waschmaschine kaputt ist, geht niemand ans Telefon.“ Aber auch wenn die Maschine noch funktioniert, gibt es Probleme: Waschmittel sei um ein Vielfaches teurer geworden. „Auch Druckerpapier kostet jetzt fünfmal so viel wie früher.“ Außerdem habe das Papier seit Kurzem eine gelbliche Farbe. Michail vermutet, dass dem Unternehmen das Bleichmittel ausgegangen ist.

Jüngste Maßnahmen stärker russische Wirtschaft temporär

Diese alltäglichen Schwierigkeiten sind aber kaum der Effekt, den sich die westlichen Staaten von ihren Sanktionen gegen Russland erhofft haben. Alexander Libman, Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, forscht seit Jahren zur russischen Wirtschaft: „Es war von Anfang an klar, dass die Sanktionen nicht zu einem schnellen Zusammenbruch der russischen Wirtschaft führen werden.“

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Gerade die jüngsten Maßnahmen hatten laut Libman sogar einen gegenteiligen Effekt: „Als die EU das Ölembargo beschlossen hat, haben sich die Energiepreise drastisch erhöht. Bis aber wirklich kein Öl und Gas mehr exportiert wird, kann es noch Monate dauern. Die Folge sind mittelfristig deutliche Mehreinnahmen für den russischen Haushalt.“

Hightech-güter können schwer in Russland hergestellt werden

Aktuell versucht Russland mit großer Anstrengung, die fehlenden Importe durch eigene Produktionen zu ersetzten. So hat etwa die Stadt Moskau das Automobilwerk von Renault gekauft, nachdem der Konzern sein Russland-Geschäft im Mai eingestellt hatte. Hier sollen in Zukunft Autos unter der alten sowjetischen Marke Moskwitsch produziert werden.

„Der russische Staat behauptet, dort Fahrzeuge in vergleichbarer Qualität wie zuvor herstellen zu können. Ich habe da große Zweifel“, sagt Libman. Gerade Hochtechnologiegüter könne Russland schlicht nicht im eigenen Land herstellen. Das merkt auch Michail in Moskau: „Autos – ob russische oder ausländische Modelle – kosten mittlerweile rund das Doppelte wie vor dem Krieg.“

„Technologische Rückständigkeit wird wachsen“

Gegen den globalen Trend sind aber die Preise für Landwirtschaftsprodukte in Russland nur leicht gestiegen, beobachtet Michail. „Lebensmittel gibt es eigentlich noch alle und sie sind auch kaum teurer geworden.“ Dieses Phänomen erklärt Alexander Libman: „Hier kann sich das Land sehr gut selbst versorgen – Brot und Milch wird Russland nicht ausgehen.“ Auch wenn wohl keine Hungersnöte drohen, erwartet Libman, dass die Bevölkerung in einigen Regionen Russlands sich teilweise selbst versorgen wird. „Der eigene Kleingarten – die Datscha – spielt in der Gesellschaft immer noch eine große Rolle.“

Trotz der Einschränkungen ist die Stimmung in Russland bisher aber ruhig. Der 24-jährige Michail sagt: „Von meinen Freunden haben schon einige ihren Job verloren.“ Aber die breite Masse der Bevölkerung mache sich, so sein Eindruck, kaum Sorgen. „Bis jetzt gibt es noch Lebensmittel, Medikamente, man kann sogar reisen. Die meisten hoffen einfach auf das Beste.“

Auch Alexander Libman rechnet nicht mit dem großen Kollaps der russischen Wirtschaft. Die Sanktion haben vor allem einen Effekt: „Die technologische Rückständigkeit Russlands wird weiter wachsen, die Wirtschaft langfristig stagnieren. Den Menschen im Land wird es schlechter gehen.“ Das werde sich schlussendlich auch auf das Militärpotenzial auswirken. Dass Sanktionen den Krieg beenden werden, glaubt der Experte nicht. „Das ist traurig, aber eine schnelle Lösung gibt es einfach nicht.“

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