Verdi-Chef„Wo es Tarifverträge gibt, hat die AfD erwiesenermaßen schlechte Karten"

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Verdi-Chef Frank Bsirske spricht im Interview mit der Berliner Zeitung über die AfD, Grundrente und Alterssicherung. 

Frank Bsirske ist 67 Jahre alt. Im September wird der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in den Ruhestand gehen. Doch daran möchte er noch nicht allzu intensiv denken: Bsirske spricht im Interview darüber, wie die Gewerkschaften mit der AfD umgehen sollten, welche Schritte er von der Koalition in der Rentenpolitik erwartet und wie sich der Arbeitsmarkt der Zukunft gestalten lässt.

Herr Bsirske, sind AfD-Mitglieder bei den 1.-Mai-Kundgebungen mit Verdi und anderen Gewerkschaften willkommen?

Ja, wie alle Menschen, die kommen, um die Forderungen der Gewerkschaften zu unterstützen. Dass sich diese mit den Positionen der AfD nicht vertragen, wird schnell offenkundig werden.

Sie setzen auf inhaltliche Auseinandersetzung. Warum?

Ich bin gegen pauschale Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Das gilt jedenfalls für das Stadium, in dem sich die AfD im Augenblick befindet. Statt auf administrative Methoden zu setzen, müssen wir die inhaltliche Auseinandersetzung suchen – in der Öffentlichkeit ebenso wie in den Betrieben und auch innerhalb der Gewerkschaften.

Sind Sie persönlich enttäuscht über Gewerkschaftsmitglieder, die in der AfD sind?

Ich halte es für eine Fehlentscheidung. Mit ihrer Politik tritt diese Partei Arbeitnehmerinteressen mit Füßen. Die AfD plädiert, wie viele andere Rechtspopulisten und Rechtsradikale in Europa, für ein Zurück in nationale Beschränktheit, sie will raus aus dem Euro und auch aus der EU. Das ist die falsche Antwort auf die globalen Herausforderungen: Klimawandel, Fluchtbewegungen, Finanzkrisen, Terrorismus, internationale Handelskonflikte erfordern ein Mehr an Zusammenarbeit und Miteinander. Der Welt geht es nicht dann am besten, wenn jeder nur an sich denkt.

Charakteristisch für die AfD ist allerdings nicht nur ihre Haltung zu Europa und zur Globalisierung…

Leute wie (der AfD-Vorsitzende Jörg) Meuthen wollen die Arbeitslosen- und Rentenversicherung abschaffen. Jeder soll privat vorsorgen. Das ist kalter Wirtschaftsliberalismus. Die AfD fordert die Wiedereinführung der D-Mark, was einen Aufwertungsschock zur Folge hätte. Den Marsch in die Wirtschaftskrise zum Parteiprogramm zu machen – was für ein Schwachsinn! Hinzu kommt: Der rechtsradikale Flügel dieser Partei wird immer stärker und tritt unverhohlen rassistisch auf. Diese Leute haben mit Demokratie, Menschenwürde und offener Gesellschaft nichts zu tun.

Manche glauben: Mit mehr Sozialpolitik und höheren Ausgaben in diesem Bereich lässt sich der AfD das Wasser abgraben. Stimmt die These oder ist sie ein großer Irrtum?

Man muss sich mit den sozialen Ursachen von Protestwahlverhalten auseinandersetzen und mit den Sorgen der Menschen. Zum Beispiel was bezahlbaren Wohnraum und was ihre Absicherung im Alter angeht. Man muss für faire Löhne sorgen, für mehr Tarifbindung und starke Betriebsräte. Dort, wo es Tarifverträge gibt und Betriebsräte, hat die AfD erwiesenermaßen schlechte Karten.

Stichwort Absicherung im Alter: Verdienen die Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil für eine Grundrente die Bezeichnung „Respekt-Rente“?

Hubertus Heil stellt sich an die Seite der Menschen mit den niedrigen Löhnen. Sein Konzept schafft es, die Rentenansprüche mehrerer Millionen Menschen über die Grundsicherung hinaus anzuheben – und zwar ohne Bedürftigkeitsprüfung. Damit wird eine alte Gewerkschaftsforderung aufgenommen. Dieses Konzept ist ein wirksamer Schritt zur Bekämpfung von Altersarmut, insbesondere der Altersarmut von Frauen. Allein über die Stabilisierung des Rentenniveaus lassen sich die vorhandenen Risiken nicht wirksam bekämpfen.

Wo bleibt der Respekt vor denen, die das zu finanzieren haben, wenn nicht mal geprüft wird, ob die Betroffenen die Grundrente überhaupt benötigen?

Die Grundrente ist gebunden an langjährige Beitragszahlungen, beziehungsweise an Erziehungs- und Pflegezeiten. Ich halte nichts von der Debatte über Mitnahmeeffekte.

Sind alle in der Union, die auf einer Bedürftigkeitsprüfung bestehen, kalte, empathielose Neoliberale?

Solche Etiketten will ich nicht vergeben. Es wird als Beispiel doch immer die Zahnarztgattin mit kleinem Rentenanspruch aus Teilzeit bemüht. Die Union hatte kein Problem damit, diesen Frauen ohne Bedürftigkeitsprüfung die Mütterrente zu zahlen. Und das soll jetzt plötzlich nicht mehr gelten, wenn es um die Verkäuferin im Einzelhandel oder Kellnerinnen geht?

Besser keine Grundrente als eine mit Bedürftigkeitsprüfung?

Die SPD sollte alles tun, um die Union von ihrem richtigen Konzept zu überzeugen. Wenn mit der CDU aber nur eine Freibetragsregelung, wie bei den Betriebsrenten geht, dann erstmal das. Die Grundrente wird so zum Wahlkampfthema.

Grundrente einführen, Rentenniveau stabilisieren – geht das alles ohne Steuererhöhungen?

Wir brauchen einen höheren Bundeszuschuss – die gesamtgesellschaftlichen Leistungen der Rentenversicherung werden aktuell nicht annähernd gegenfinanziert. Dafür bräuchten wir eine Erhöhung in zweistelliger Milliardenhöhe. Geht das ohne weiteres? Da kann ich nur an Jens Spahn erinnern, der gesagt hat, eine beinahe Verdopplung des Rüstungsetats – da reden wir über Zusatzausgaben von rund 30 Milliarden Euro – wäre finanziell machbar.

Da müsste halt in Zukunft auf die eine oder andere zusätzliche Sozialleistung verzichtet werden. Toll! Mehr Geld für Panzer, Fregatten und Flugzeuge ist offenbar da, aber mehr Geld für eine gute Absicherung im Alter nicht. Das passt nicht zusammen.

Das Gespräch führten Rasmus Buchsteiner und Tobias Peter.

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