Vincent Klink im Interview„Der wirkliche Genießer weiß, wann es genug ist“

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Vincent Klink

  • Der Fernsehkoch im ausführlichen Interview über grundlegende Rezepte, die Besonderheiten der Küche Venedigs und darüber, woran man ein gutes Restaurant erkennen kann.

Herr Klink, Bücher über Essen sind mit das Grausamste, was man lesen kann. Man bekommt beim Lesen Hunger und unterbricht ständig die Lektüre, um Speisekarten und Rezepte zu googeln. Vincent Klink: Ja, da ist schon was dran, aber so eine gewisse Unruhe muss auch sein. Ich schaue jedoch immer, dass ich solche Passagen relativ kurz halte. Mir ist eigentlich das Kulturelle viel wichtiger, das Essen ist ein Beiwerk, das zu meinem Leben zwar dazugehört. Aber Sie haben völlig recht: Was soll ich meinen Lesern im Buch etwas vorfuttern?

Vielleicht, weil Kochen Ihr Leben ist?

Ich finde auch mit 73 Jahren meinen Beruf immer noch wahnsinnig spannend. Das hängt aber gar nicht so sehr mit dem Kochen zusammen, ich habe in meinem Alter gar nicht mehr die Kondition, 70 Essen zuzubereiten. Dafür habe ich meinen Küchenchef und meine fünf Frauen in der Küche, die alle sehr gescheit sind. Ich fühle mich eher als Wirt, weil ich dabei auch meine Gäste beobachten kann. Aus psychologischer Perspektive ist Wirt ein hochinteressanter Beruf, genauso übrigens wie Kellner. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber nach zehn Jahren als Kellner entwickelt man schon einige psychologische Kenntnisse. Da kommt so mancher Facharzt nicht mit. Und das macht die Sache spannend.

Was machen Sie mit diesem Wissen?

Ich nutze es für lebenspraktische Fragen. Etwa wenn ich durch Venedig gehe: Woran erkenne ich, in welches Restaurant ich gehen soll?

Das möchte ich auch gern wissen.

Ich sehe dann oft durchs Fenster: Möchte ich dort sitzen, wo lauter Baseballkappen hocken? Oder entdecke ich dort richtig freudige Leute mit roten Wangen? Man muss natürlich schauen, ob das Restaurant zum eigenen Geldbeutel passt. Aber ansonsten gilt mein Tipp: Gucken Sie durch die Fensterscheiben, wer dort sitzt.

Und dann?

Dann sehen Sie im Optimalfall Menschen, die eine genießerische Haltung und damit eine gewisse südliche Prägung haben. Damit will ich jetzt überhaupt nicht Menschen einteilen. Es gibt ja in Hamburg auch fantastische Genießer, und man sieht es ihnen an. Aber im Süden steht der Genuss schon an einer höheren Stelle als bei vielen Deutschen.

Das heißt, Sie gucken in der Angelegenheit auf die Figur?

Nein, aufs Gesicht. Es gibt Menschen, die können sich hinter einer Bohnenstange umziehen und haben trotzdem eine unglaubliche Essensfreude. Aber so manche, gerade bei den Teutonen, sind erst richtig satt und zufrieden, wenn ihnen schlecht wird. Der wirkliche Genießer weiß aber, wann es genug ist.

Sie haben für Ihre Bücher bereits unter anderem Paris und Wien beschrieben. Nun sind Sie durch Venedig und das Veneto gereist. Was fasziniert Sie daran besonders?

Eindeutig in erster Linie die Kultur der Renaissance und der Gotik. Das ist einfach ein Augenschmaus. Ich habe in meinem Buch versucht, den normal Flanierenden die Möglichkeit zu geben, sich erst einmal ein Grundverständnis der Stadt anzueignen – und das stressfrei. Er oder sie hat dann schon einmal ein Fundament, das zu jeder Zeit ausbaubar ist.

Die Auswahl an Kunstwerken und Kulturgütern in Venedig ist doch aber unüberschaubar.

Deswegen empfehle ich ja in meinem Buch, wie man sich auf die Kunst dort einlässt. Man geht dort zum Beispiel in eine ganz normale Kirche, und dann hängt da meinetwegen ein Tizian. Wenn wir in Stuttgart auch nur einen einzigen davon hätten, wären wir schon Weltkulturerbe. In Venedig stehen 120 Kirchen, und mindestens 80 davon sind mit Gemälden gefüllt, die eigentlich nicht mehr bezahlbar sind.

Aber wie lässt man sich auf diese Masse an Kunst ein, ohne von ihr erschlagen zu werden?

Das ist tatsächlich die Gefahr. Wenn du durch den Dogenpalast gehst, wirst du doch besoffen vor lauter großartiger Kunst. Da musst du dich mindestens vier Wochen lang einschließen lassen, um alles halbwegs zu bewältigen. Deswegen halte ich es so: Ich suche mir in einer venezianischen Kirche, einem Museum oder einer Galerie ein, zwei Bilder aus, und die schaue ich mir genauer an. Wenn ich versuchen würde, alle Kunstwerke an einem Tag zu betrachten, und dafür durchs Museum hetze, ist es so wie bei einem 16-Gänge-Menü: Da weißt du am nächsten Tag auch nicht mehr, was du alles gegessen hast.

Gibt es etwas, was Sie von einem Tizian oder einem Michelangelo für Ihre eigene Arbeit im Restaurant mitnehmen können?

Ich befinde mich in der glücklichen Lage, dass ich zwei Leidenschaften habe – das Kochen und die Kunst –, und beides schöne Angelegenheiten sind. Das ist auch meine Lebenshaltung. Natürlich kümmere ich mich auch um Flüchtlinge in der Ukraine, und es bewegt mich. Aber wenn es sich um meinen Beruf dreht, geht es bei mir um Schönheit, und bei Kunst ist das genauso. Ich habe das Glück, dass es Städte gibt, in denen Kochen und Kunst auf höchstem Niveau zusammentreffen. Eine davon ist Venedig.

Jetzt haben wir über Kunst geredet, aber was macht die Küche von Venedig aus?

Venedig ist sehr preiswert, wenn man kein Fleisch isst. Man muss möglichst bei Fisch und dem ganzen Gewürm bleiben, das in der Lagune herumschwimmt. Also hauptsächlich Tintenfisch. In der venezianischen Küche gibt es auch oft Baccalà, den typischen getrockneten Kabeljau. Der kommt eigentlich aus Island oder von den Färöern, wird aber im ganzen Mittelmeerraum gekocht. Genau solche Armenküche muss man in Venedig suchen, denn sie ist fantastisch – für mich sogar eine höhere Küche als die Sterneküche. Und wenn man sich dann noch das Gemüse auf den Märkten anschaut, bekommen Sie als Deutscher einen Weinkrampf.

Warum das?

Weil wir da immer noch Diaspora sind, obwohl sich – das muss man auch mal sagen – schon sehr viel getan hat. Im Umfeld von Großstädten wie Berlin leben immer mehr junge Leute, die wirklich tolles Gemüse produzieren und sich spezialisieren.

Dann stellt sich doch die Frage: Wie ändert sich das? Müssten solche Themen in der Schule gelehrt werden?

Auf jeden Fall. Ich habe auf meiner Homepage eine Rubrik mit Überlebensrezepten. Ein Kind im Alter von zwölf Jahren braucht erst einmal vielleicht zwei Rezepte, die es kochen kann: Reisbrei und Spaghetti mit Tomatensoße zum Beispiel. Und dann kommt mit 15 ein Gericht mit Knödeln und dann vielleicht ein Karottengemüse hinzu. Insgesamt habe ich auf meiner Homepage knapp 20 Gerichte, die man können muss.

Aber das sind noch nicht genügend Rezepte, um durchs Leben zu kommen, oder?

Es ist dann so, wie ich es bereits über das Betrachten von Kunstwerken gesagt habe. Ich schaue einzelne Kunstwerke an und studiere sie ein bisschen. Dadurch schaffe ich mir eine Grundlage. Und auf diesem einen Bild oder auf der Fassade eines Palastes baue ich meine Begeisterung zum Beispiel für italienische Architektur oder für italienische Kunst auf. Das Gleiche gilt fürs Kochen: Ich muss erst einmal eine Basis schaffen, und darauf kann ich dann meine Leidenschaft aufbauen. Aber die meisten wollen am liebsten mit dem Kochen gleich da anfangen, wo der Profi gerade aufhört. Und so geht’s natürlich nicht.

Sie meinen: Diese Menschen wollen Erfolgserlebnisse in der Küche haben, ohne den beschwerlichen Weg zu gehen?

Der Weg ist gar nicht beschwerlich. Wenn Sie Spätzle selbst schaben, sehen die anfangs oft aus wie tote Mäuse. Aber dann probiert man es wieder und wieder, und plötzlich klappt es. Dann hat man schon mal etwas, womit man beim Kochen anfangen kann: Zwiebeln dazu, Käse drüber, ein prima Essen. So entsteht ein Erfolgserlebnis. Wichtig sind aber auch die Zutaten.

Wie steht es damit?

Wenn ich aus eingeschweißter Paprika, die mit Kunstdünger hochgejagt wurde, innerhalb von vier Wochen reif war und nach nichts schmeckt, eine gute Paprikasoße machen will, wird das nichts. Niemals! Oder wenn ich ein Kohlgemüse koche, ist es ein Riesenunterschied, ob dieser Kohl mit Blaukorn und Stickstoff auf Größe gebracht wurde, oder ob er natürlich und langsam gewachsen ist.

Aber gute Lebensmittel können sich viele Menschen einfach nicht leisten.

Das stimmt gar nicht. Hier bei mir in der Nähe sind fünf, sechs türkische Geschäfte, da kaufen alte türkische Frauen ein. Diese Frauen sind oft auch nicht reich, aber sie wissen genau, wo sie einkaufen müssen. Und dazu: Sie können kochen.

Was wird die nächste Stadt sein, über die Sie schreiben?

Das nächste, was ich machen werde, ist, die Gegend zu beackern, die ich am wenigsten kenne. Das ist das Schwabenländle – obwohl ich da ja lebe. Ich will Tagesausflüge zu Klöstern, zu Schlössern, in Wirtschaften machen. Meinen Lesern Deutschland näherzubringen, das ist mein großes Anliegen.

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