Wer folgt auf Boris Johnson?Showdown im Rennen um die Downing Street am Montag

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Boris Johnson Hände

Im Juli musste Boris Johnson seinen Rücktritt erklären.

London – London hat viele Sehenswürdigkeiten zu bieten: Westminster Abbey, die Tower Bridge oder auch „The London Eye“, das berühmte Riesenrad an der Themse. Eine weitere Attraktion für Besucher aus aller Welt ist die Downing Street Nummer 10, der offizielle Regierungssitz des britischen Premierministers. Täglich pilgern hunderte Menschen dorthin, um von der durch gusseiserne Tore geschützten Straße einen Schnappschuss zu machen. Vergangene Woche ließ sich auch Boris Johnson zusammen mit seiner Frau Carrie und den beiden gemeinsamen Kindern vor der berühmten schwarz gestrichenen Tür mit der weißen Zehn fotografieren, wie eine zu verlässliche Quelle gegenüber dieser Zeitung berichtete – vermutlich fürs Familienalbum. Denn Johnson, der schon als Kind „König der Welt“ werden wollte, muss am Dienstag nach nur etwa drei Jahren im Amt gehen, nachdem er im Juli widerwillig seinen Rücktritt erklärt hatte.

Truss oder Sunak: Wer macht das Rennen?

Nachfolgen wird dem 58-Jährigen allen Umfragen zufolge die 47-jährige Liz Truss. Die Außenministerin hat sich in den letzten Wochen gegen acht offizielle Kandidaten und zuletzt wohl auch gegen Rishi Sunak, dem einstigen Finanzminister, durchgesetzt. Dabei überzeugte sie die geschätzt rund 180.000 Mitglieder der konservativen Partei, die männlicher, wohlhabender und weißer sind als der Durchschnitt der Bevölkerung und online oder per Brief bis vergangenen Freitag über den Nachfolger entschieden haben, insbesondere mit ihrer Zusage, die Steuern senken zu wollen.

Ferner inszenierte sie sich im Rahmen der sogenannten „Hustings“, wie die Wahlveranstaltungen für die Basis der Partei genannt werden, als eine Fortsetzung der einstigen Premierministerin Margaret Thatcher, die ihrem Ruf nach auch unangenehme Entscheidungen mit harter Hand durchsetzte und das Land in den 80er-Jahren durch neoliberale Reformen gehörig umgekrempelte.

Erste Reise geht nach Schottland

Wenn sich die Umfragen bestätigen, wird Truss heute zur Parteichefin und am morgigen Dienstag schließlich offiziell zur neuen Premierministerin Großbritanniens ernannt. Sie wäre dann die dritte Frau in diesem Amt nach Thatcher und Theresa May, der Vorgängerin Johnsons, die bis 2019 in der Downing Street Nummer 10 wohnte. Königin Elizabeth II. sollte den neuen Parteichef dann am kommenden Dienstag im Buckingham-Palast empfangen. Dort ersucht dieser, der Tradition folgend, die Erlaubnis der Queen, eine neue Regierung bilden zu dürfen.

Sunak und Truss

Rishi Sunak und Liz Truss: Beide wollen Boris Johnsons Amt übernehmen.

Dieses Mal jedoch wird das Protokoll geändert. Denn da die Monarchin aufgrund ihres Alters und „episodischer Mobilitätsprobleme“, wie es vonseiten des Palastes hieß, nicht nach London kommen kann, muss die zukünftige Premierministerin oder der künftige Premierminister knapp 800 Kilometer nach Schloss Balmoral in Schottland reisen, die Queen treffen, um daraufhin wieder in die Hauptstadt zu fliegen. Es ist ein ungewöhnlicher Schritt.

Es warten gewaltige Aufgaben

Zurück in London wird der neue Premierminister, also vermutlich Truss, am späten Dienstagnachmittag eine Rede vor der Downing Street Nummer 10 halten. Hier wird sie Beobachtern zufolge auch auf die großen Herausforderungen zu sprechen kommen, mit denen sie sich in den kommenden Monaten und Jahren konfrontiert sieht. Schließlich verzeichnet das Land mit einem Preisanstieg von über 10 Prozent seit dem vergangenen Jahr die höchste Inflation unter den G7-Staaten, der Preisdeckel für Gas- und Energie liegt ab Oktober für private Haushalte bei umgerechnet rund 4100 Euro, Tendenz steigend. Jeder vierte Brite hat deshalb laut Umfragen angekündigt, im Winter die Heizungen nicht mehr anstellen zu wollen, um Geld zu sparen.

Truss hat im Rahmen der „Hustings“, neben Steuersenkungen gezielte Hilfe für bedürftige Haushalte angekündigt. Wie diese Maßnahmen genau aussehen, ist jedoch noch nicht bekannt. Der Druck, schnell und umfassend zu helfen, ist jedoch massiv. Weitere Herausforderungen sind die Krise des öffentlichen Gesundheitssystems NHS sowie die Tatsache, dass der Brexit längst nicht „done“, erledigt ist. Überdies muss der neue Premierminister das Vertrauen der Bevölkerung in die konservative Regierung wieder herzustellen. Denn dieses hat unter dem von Lügen und Halbwahrheiten geprägten Regierungsstil Boris Johnsons extrem gelitten.

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