Widerstand trotz hoher StrafenWie Russinnen und Russen gegen den Krieg protestieren

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Demonstrantin St. Petersburg

27. Februar 2022: Demonstrantin in St. Petersburg 

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine schreibt Anastasia jeden Morgen eine Anti-Kriegs-Botschaft auf. „Glaubt die Propaganda im Fernsehen nicht, lest unabhängige Medien!“ ist auf einem der Zettel zu lesen, die die 31-jährige Lehrerin täglich am Eingang ihres Mehrfamilienhauses in der Industriestadt Perm aufhängt.

„Gewalt und Tod begleiten uns seit drei Monaten – passt auf Euch auf“, steht auf einem anderen. Sie habe nach einer sicheren und einfachen Methode gesucht, eine Botschaft zu vermitteln, erklärt die junge Frau aus dem Ural, die aus Sicherheitsgründen nur ihren Vornamen nennen will.

„Ich konnte nichts Großes und Öffentliches tun“, sagt sie der Nachrichtenagentur AP in einem Telefoninterview. „Ich will, dass die Menschen anfangen nachzudenken. Und ich finde, wir sollten auf jede mögliche Art und in jedem möglichen Umfeld Einfluss nehmen.“

Kreml geht massiv gegen Protest vor

Anastasia gehört zu jenen Russinnen und Russen, die trotz des massiven Vorgehens der Regierung gegen jede Form von Protest ihre Stimme gegen den Krieg erheben – und sei es auf einfachste Art und Weise. Einige haben dafür einen hohen Preis bezahlt. In den frühen Wintertagen der Invasion im Februar lösten die Behörden Demonstrationen auf und nahmen Teilnehmer fest, selbst wenn diese nur weiße Schilder hochhielten. Kritische Medien wurden geschlossen und politische Gegner diskreditiert.

Das Parlament verbot im Eilverfahren die Verbreitung von „falschen Informationen“ über die Invasion, die der Kreml als „militärische Spezialoperation“ bezeichnet, sowie Verunglimpfungen der Streitkräfte. Diese neuen Mediengesetze werden gegen alle angewandt, die sich gegen den Krieg aussprechen oder über mutmaßliche Gräueltaten russischer Truppen äußern.

Während sich der Krieg in den Sommer zog, fragten sich Kritiker wie Anastasia, ob sie nicht trotz der Gesetze mehr unternehmen können. Als die russischen Truppen am 24. Februar in die Ukraine einrückten, sei ihr erster Gedanke gewesen, ihr Hab und Gut zu verkaufen und ins Ausland zu ziehen, erzählt die 31-Jährige. Sie habe sich aber schnell umentschieden: „Es ist mein Land, warum sollte ich weggehen? Mir wurde klar, dass ich bleiben und von hier aus helfen muss.“

Künstler Besow druckt Anti-Kriegs-Poster

Auch der Buchdrucker und Künstler Sergej Besow aus Moskau hatte das Gefühl, nicht schweigen zu dürfen. Schon vor der Invasion hatte der 45-Jährige Plakate mit politischen Botschaften in der russischen Hauptstadt aufgehängt. Auf einem davon aus dem Jahr 2020 stand nur ein Wort in roter Schrift: „Dagegen“. Kurz zuvor hatte sich Präsident Wladimir Putin per Verfassungsänderung die Möglichkeit auf zwei weitere Amtszeiten nach 2024 gesichert.

Während der Unruhen in Belarus vor zwei Jahren nach einer umstrittenen Präsidentschaftswahl druckte Besow Poster mit dem Wort „Freiheit“. Nach Beginn des Ukraine-Kriegs fing er mit seinem Projekt Partisan Press an, Plakate mit dem Slogan „Nein zum Krieg“ zu produzieren. Ein Video vom Druck verbreitete sich auf Instagram. Die Nachfrage nach Kopien war dann so hoch, dass sie kostenlos ausgegeben wurden.

Doch dann zeigten Demonstranten auf dem Roten Platz die Poster, einige von ihnen wurden festgenommen. In diesem Moment sei ihm klar geworden, dass die Polizei früher oder später nach ihm suchen würde, sagt Besow. Die Beamten kamen tatsächlich, allerdings, als der Künstler nicht da war. Gegen zwei seiner Beschäftigten wurde Anklage erhoben, der Prozess zieht sich schon seit mehr als drei Monaten hin. Besow druckt deshalb inzwischen keine „Nein-zum-Krieg“-Poster mehr, sondern wich auf subtilere Botschaften wie „Angst ist keine Entschuldigung für Untätigkeit“ aus.

Er hält es weiter für wichtig, Widerstand zu leisten. „Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wo die Grenzen gezogen werden“, sagt er. „Es ist bekannt, dass sie Menschen für bestimmte Dinge verfolgen können, aber manche schaffen es, unter dem Radar zu fliegen. Es ist sehr schlimm und wirklich schwierig.“

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Sascha Skotschilenko gelang es nicht, unter dem Radar zu bleiben. Der 31-jährigen Künstlerin und Musikerin aus St. Petersburg drohen schwere Konsequenzen für eine Protestaktion, die sie eigentlich für relativ sicher gehalten hatte: Sie wurde festgenommen, weil sie in einem Supermarkt fünf Preisschilder durch kleine Etiketten mit Anti-Kriegs-Slogans ersetzt hatte.

„Die russische Armee hat eine Kunstschule in Mariupol bombardiert. Etwa 400 Menschen hatten dort vor den Angriffen Schutz gesucht“, stand auf einem der Aufkleber, „Russische Wehrpflichtige werden in die Ukraine geschickt. Die Leben unserer Kinder sind der Preis dieses Krieges“ auf einem anderen.

Wegen des Vorwurfs, Falschinformationen über die russische Armee verbreitet zu haben, könnte Skotschilenko nun mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. „Es war ein Schock für uns, dass sie ein Strafverfahren eingeleitet haben, das eine ungeheure Gefängnisstrafe von fünf bis zehn Jahren bedeuten kann“, sagt ihre Partnerin Sophia Subbotina. „Auf Mord stehen in unserem Land kürzere Haftstrafen.“ (RND/ap)

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