„Russen haben Angst vor ihr“Die Panzerhaubitze 2000 in der Ukraine – auf Socken ins Gefecht

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Niedersachsen, Munster: Eine Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr  während einer Übung.

Niedersachsen, Munster: Eine Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr während einer Übung.

Welten liegen zwischen der deutschen Waffe und sowjetischen T-64-Panzern, mit denen andere ukrainische Einheiten ins Gefecht ziehen. 

Die beiden Panzerhaubitzen 2000 aus Deutschland stehen im ostukrainischen Donbass in einem Waldstück, umgeben von schlammigem Acker. Auch wenn die Bäume noch keine Blätter tragen, sind die mächtigen Geschütze aus der Entfernung kaum auszumachen. Vom Versteck aus fahren die ukrainischen Besatzungen die Haubitzen in ihre Feuerstellungen. Dort werden die Granaten abgeschossen, die eine Reichweite von 30 bis 40 Kilometern haben. Sie können russische Stellungen weit hinter der 18 Kilometer entfernten Front treffen. Im Idealfall ist die Panzerhaubitze schon wieder weg, wenn russische Artillerie das Feuer erwidert.

14 Panzerhaubitzen hat Deutschland der Ukraine bislang geliefert

„Die Panzerhaubitze macht einen großen Unterschied“, sagt Bordschütze Olexander. „Die Russen haben viel Angst vor ihr.“ 14 dieser Panzerhaubitzen – von den Herstellern als modernste ihrer Art angepriesen – hat Deutschland der Ukraine bislang geliefert. Die jeweils 57 Tonnen schweren Ungetüme sehen aus wie Kampfpanzer, fallen aber nicht in diese Waffengattung: Es sind selbstfahrende Artilleriegeschütze, deren Panzerung die fünfköpfige Besatzung schützen soll.

Sein Kamerad Wladislaw steuert eine der Haubitzen aus dem Waldstück. Vier Wochen lang sei er in Deutschland ausgebildet worden, sagt der 27-Jährige. Der Soldat lobt Geschwindigkeit und Mobilität des Waffensystems. „Wenn man in der Feuerstellung ist, dauert es nur eineinhalb Minuten, bis man schießen kann.“ Bei Haubitzen aus sowjetischer Produktion vergingen dafür fünf Minuten. „Nach dem Beschuss kann man in 40, 45 Sekunden wegfahren, um nicht selbst zum Ziel zu werden.“

Das Geschütz sei sehr effektiv, durch die Intensität der Gefechte aber manchmal überfordert, sagt Wladislaw. In solchen Fällen könne die Elektronik der Waffenanlage überhitzen, die das Rohr automatisch auf das Ziel ausrichtet. Dann müsse die Besatzung die Berechnungen auf einem Tablet-Computer ausführen und die Kanone manuell steuern.

Bordschütze: „Wir brauchen mehr Geschosse“

Bordschütze Olexander sagt, es sei nicht ungewöhnlich, dass eine der Panzerhaubitzen an diesem Frontabschnitt 180 Geschosse binnen 24 Stunden abfeuere. Wegen der extremen Schussfrequenz sei der Verschleiß groß. „Wir brauchen mehr Geschosse“, sagt Olexander. „Und wir haben nicht genug Ersatzteile.“

Die Ersatzteillogistik ist für die ukrainische Armee in diesem Krieg eine große Herausforderung, weil sie unterschiedliche Waffensysteme aus verschiedensten Nationen am Laufen halten muss. Seit dem russischen Einmarsch vor gut einem Jahr haben etliche westliche Länder gepanzerte Fahrzeuge geliefert oder versprochen: Auf den Straßen im Donbass fahren Dingos aus Deutschland, Spartans aus Großbritannien oder Kosaks aus heimischer Produktion, die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Der Innenraum muss sauber bleiben – jedes Besatzungsmitglied hat daher eigene Socken

Auf die Leopard-Panzer aus Deutschland warten die Ukrainer mit großer Ungeduld. Bislang setzen sie vor allem alte Kampfpanzer ein – beispielsweise den T-64 aus der längst untergegangenen Sowjetunion. Zwischen der Panzerhaubitze 2000 und dem T-64 liegen Welten, was sich für Laien an einem ganz profanen Detail zeigt: In dem deutschen Geschütz zieht die ukrainische Besatzung beim Eintritt durch die Heckklappe die dreckigen Stiefel aus, sie geht in Haussocken ins Gefecht.

Zu den Haubitzen werden die Soldaten auf der Pritsche eines Lastwagens gefahren, der sich im Schritttempo durch den Acker quält. Schon nach den ersten Metern auf dem Schlammboden kleben riesige Dreckklumpen an den Stiefeln. „In Deutschland hat man uns nicht gesagt, dass wir die Schuhe auszuziehen sollen“, sagt Wladislaw. Die Panzerhaubitze sei aber so vollgestopft mit Technologie, dass der Innenraum unbedingt sauber gehalten werden müsse. Jedes Besatzungsmitglied lagert hier deswegen seine eigenen Socken, die von Olexander haben ein grau-pink-lila gestreiftes Strickmuster.

An einem Frontabschnitt weiter westlich stehen fünf T-64-Panzer in einem Waldstück, auch hier versinken die Stiefel im Schlamm. Der Kampfpanzer wird nicht komfortabel durch eine Heckklappe bestiegen, sondern durch enge Luken, die einzeln aufgeschraubt werden müssen. Der Fahrer schabt den Schlamm notdürftig von den Stiefeln, bevor er sich mit ihnen auf den Sitz stellt und seinen Körper von dort aus in den Panzer hinuntergleiten lässt. Am Hintern hat er ein schwarzes Styroporkissen umgeschnallt, das ihn von dem nasskalten Dreck auf dem Fahrersitz isolieren soll.

Alte Panzer waren für kleinere Menschen konstruiert

Der Innenraum der Panzerhaubitze wirkt verglichen mit dem des T-64 geradezu großzügig. Wer kein Panzerfahrer ist, bekommt klaustrophobische Anwandlungen, wenn die Luke über dem Sitz des sowjetischen Modells geschlossen wird. Der Panzer ist nach Angaben der Besatzung zwischen 50 und 60 Jahre alt, damals waren die Menschen noch kleiner. Der Fahrer, der in Fahrtrichtung links vor dem Geschützturm sitzt, kann nur durch ein schmales Sichtfenster aus Panzerglas nach draußen schauen, das vielleicht knapp so hoch und doppelt so breit wie ein quergestelltes Smartphone ist. Wie sich dieser Platz bei feindlichem Beschuss anfühlt, möchte man sich als Zivilist gar nicht vorstellen.

„Ich kann nicht sagen, dass diese Panzer schlecht sind“, sagt Bordschütze Wolodymyr (33). „Aber für eine Gegenoffensive sind sie nicht gut genug. Wir können uns damit verteidigen. Aber wir müssen die besetzten Gebiete befreien.“ Dafür würden die Leoparden benötigt. Pawlo (30) ist Vizekommandeur dieser Einheit aus zehn Panzern, er sagt: „Um diesen Krieg zu gewinnen, brauchen wir moderne Waffen, und viele davon. Sonst wird der Krieg noch sehr lange dauern.“

Wenn wir früher Hilfe bekommen hätten, hätten wir den Tod von vielen Ukrainern verhindern können
Hor, Kommandant eines T-64

Ihor ist Kommandant eines der T-64, der heute 55-Jährige hat schon in der Roten Armee gedient, in der DDR war er in Fürstenberg an der Havel stationiert. „Ich danke den Deutschen“, sagt er mit Blick auf die Waffenlieferungen. „Aber ich würde mir mehr Initiative und mehr Unterstützung aus Deutschland wünschen.“ Viele seiner Landsleute verstünden nicht, warum die Bundesregierung bei der Zusage von schweren Waffen jedes Mal so viel Zeit benötigen würde. „Wenn wir früher Hilfe bekommen hätten, hätten wir den Tod von vielen Ukrainern verhindern können.“

Jeden Tag fahren die Panzer mit ihren je drei Mann Besatzung an diesem Frontabschnitt Patrouille, wie Bordschütze Wolodymyr berichtet. Zwei bis drei Mal die Woche stünden sie im Gefecht. Pawlo sagt, die alten Panzer müssten vielleicht nicht nach jedem Kampfeinsatz repariert werden, aber doch sehr häufig. Der Fahrer lässt gerade den Motor eines T-64 an, der nach Angaben der Soldaten 430 Liter Treibstoff auf 100 Kilometer verbraucht. Bevor er losfahren kann, stoppt ihn der Mechaniker: Das Öl muss schon wieder gewechselt werden. Pawlo sagt: „Da sieht man, warum wir die Leoparden brauchen.“

T-54 erinnert an Fahrzeuge aus der Filmreihe „Mad Max“

Im Fuhrpark von Serhij Tischtschenko würde der T-64 zu den jüngeren Modellen gehören. Tischtschenko ist Kommandeur eines Pionierbataillons im Donbass mit rund 200 Soldaten. Eines der Kettenfahrzeuge hier wird dazu genutzt, Schützengräben zu graben. Es ist ein modifizierter T-54, die Produktion dieses Sowjet-Panzers hat wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Am Heck ist eine riesige Stahlkralle angebracht, die über eine Kette bewegt wird und eine Schneise tief in die Erde gräbt. Das Monstrum erinnert an Fahrzeuge aus der Apokalypse-Filmreihe „Mad Max“.

Tischtschenko (36) sagt, seine Soldaten würden an ihrem Frontabschnitt vor den Schützengräben Stacheldraht- und Minensperren errichten. Russische Soldaten sollten dadurch beim Sturm auf ukrainische Stellungen gebremst und getötet werden. Die russischen Offiziere würden ihre Soldaten ohne Rücksicht auf Verluste ins ukrainische Feuer schicken und als Kanonenfutter verheizen. Bei jeder Angriffswelle sterbe rund die Hälfte der russischen Soldaten.

„Manchmal zählen wir 40, 50 getötete Feinde am Tag“, sagt Tischtschenko, der auf seinem Handy Fotos vom Schlachtfeld zeigt. Auf einem davon ist ein toter Angreifer zu sehen, der von den Ukrainern auf die Seite gedreht wurde, sein Bein steht nach oben weg – die Leiche ist gefroren.

Russische Offiziere lassen Gefallene zurück – bei Vermissten muss Moskau keine Entschädigung zahlen

Russische Offiziere würden ihre Gefallenen zurücklassen, sagt Tischtschenko. Gelte der Tote als vermisst, müsse die Regierung in Moskau keine Entschädigung an die Familie zahlen. Wenn es die Sicherheitslage erlaube, würden die ukrainischen Soldaten die toten Russen bergen und ins Leichenhaus bringen. Die ukrainische Eisenbahngesellschaft fährt auf dem Schlachtfeld zurückgelassene russische Leichen nach eigenen Angaben in Kühlwaggons zur Grenze.

Tischtschenko hat sich ursprünglich als Freiwilliger dem Asow-Regiment angeschlossen, die meisten Soldaten aus seinem Bataillon stammen aus der Elite-Einheit. Das Asow-Regiment sah sich in der Vergangenheit immer wieder Rechtsextremismus-Vorwürfen ausgesetzt, die allerdings mit der Eingliederung in die ukrainische Nationalgarde leiser geworden sind.

„Wir haben bei uns Menschen mit unterschiedlichen Religionen und politischen Vorstellungen“, sagt Tischtschenko. Wichtig sei, dass die Soldaten nicht für ihre Weltanschauungen Werbung betrieben – und vor allem, dass sie für die Ukraine kämpften. Rechtsextremismus-Vorwürfe bezeichnet er als Propaganda der Russen, die im Übrigen oft Nazis und Deutsche gleichsetzten. „Wenn die russischen Soldaten an ihren Funkgeräten über uns reden, nennen sie uns meistens Deutsche.“

Tischtschenko sagt, ohne die Unterstützung aus dem Westen wäre den ukrainischen Truppen schon im vergangenen Sommer Bewaffnung und Munition ausgegangen. „Dann wären von der Ukraine nur noch ein paar Regionen im Westen übriggeblieben, und Russland hätte wieder Jahre gewonnen, um einen Krieg gegen Polen oder ein anderes Land zu planen.“ Der Kommandeur glaubt, dass dieser Krieg nicht auf dem Schlachtfeld entschieden wird – sondern dann, wenn der russische Präsident Wladimir Putin stürzt. „Der Sieg wird nur möglich sein, wenn das Putin-Regime zusammenbricht.“

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