Vergewaltigungen durch Bielefelder ArztStaatsanwaltschaft informiert weitere Opfer

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Die Staatsanwaltschaft Duisburg ermittelt seit September 2021 im Fall des Serienvergewaltigers Philipp G.

Düsseldorf – Im Fall des Bielefelder Serienvergewaltigers Philipp G. hat die Staatsanwaltschaft Duisburg weitere Opfer informiert. Das teilte das Justizministerium am Mittwoch im Rechtsausschuss des Landtages mit und bezog sich damit auf einen Bericht, den die Staatsanwaltschaft an Minister Benjamin Limbach (Grüne) geschickt hat.

Bei den informierten Personen handelt es sich zu einem großen Teil um Frauen, die außerhalb des Klinikums missbraucht wurden, in dem G. arbeitete. Da Philipp G. Geschlechtskrankheiten hatte, kontaktierten die Ermittler auch Frauen, mit denen G. offenbar einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte.

„Opfer müssen informiert werden, Opfer brauchen Klarheit über ihren Status“, betonte Nordrhein-Westfalens Opferschutzbeauftragte Elisabeth Auchter-Mainz im Ausschuss. Die Staatsanwaltschaft Duisburg habe die Informierung der Frauen mit ihrem Team abgesprochen: zuerst bezüglich der Frauen, die im Klinikum missbraucht wurden, im zweiten Schritt auch wegen der Betroffenen außerhalb des Klinikums.

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Staatsanwaltschaft identifiziert elf weitere Frauen aus G.s Videos

Der Assistenzarzt Philipp G. hat Dutzende Frauen betäubt, gefilmt und vergewaltigt. Laut dem im Ausschuss diskutierten Bericht waren 32 Frauen zum Tatzeitpunkt Patientinnen im Bielefelder Klinikum Bethel. Bisher hatte die Staatsanwaltschaft von 29 Opfern gesprochen. G. beging nach seiner Verhaftung im September 2020 Suizid. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld ermittelte daraufhin gegen seine Vorgesetzten, stellte das Verfahren jedoch ein, ohne die im Klinikum vergewaltigten Frauen über die Taten zu informieren.

Das geschah größtenteils erst im Januar 2022, nachdem das Justizministerium Bielefeld den Fall entzogen und an die Staatsanwaltschaft in Duisburg übertragen hatte. Eine Recherche des „Kölner Stadt-Anzeigers“ und des ARD-Politmagazin „Kontraste“ ergab vor zwei Wochen, dass die Staatsanwaltschaft Duisburg noch immer keine der Frauen informiert hatte, die außerhalb des Klinikums von G. missbraucht wurden. Die SPD-Fraktion im Landtag beantragte daraufhin einen Bericht des Justizministeriums im Rechtsausschuss, die Staatsanwaltschaft nahm in einer Pressemitteilung zu der Berichterstattung Stellung. 

Die Informierung der Frauen holt die Staatsanwaltschaft Duisburg offenbar nach. Von 16 Frauen, die auf den von Philipp G. außerhalb des Klinikums erstellten Videos zu sehen sind, haben die Ermittler mittlerweile elf identifiziert. Bei fünf der Frauen zeigen die Videos mutmaßliche Sexualstraftaten. Alle elf identifizierten Frauen werden nun von der Polizei über die Videos, über die möglichen Straftaten und über die Geschlechtskrankheiten des Täters informiert. „Die Identifizierung weiterer Frauen erscheint zwar möglich, jedoch ist bei der überwiegenden Anzahl nach derzeitigem Stand davon auszugehen, dass eine Identifizierung nicht sicher gelingen wird“, heißt es im Bericht an das Ministerium.

G. führte eine Namensliste von Frauen mit der Spalte „aktiv“

Als die Staatsanwaltschaft Duisburg im September 2021 den Fall übernahm, habe die Identifizierung der im Klinikum missbrauchten Frauen im Vordergrund gestanden, sagte Christian Burr, Leiter der Abteilung Strafrechtspflege, im Rechtsausschuss. Ein weiterer Schwerpunkt seien die Ermittlungen gegen G.s Vorgesetzte, die im Frühjahr 2021 auch zu einer Durchsuchung im Klinikum Bethel führten. „Im dritten Schwerpunkt wird es nun darum gehen, auch diejenigen in den Blick zu nehmen, die außerhalb des Krankenhauses von dem legalen Sexualleben und von weiteren Straftaten betroffen sein können“, so Burr. „Die Ermittlungen dauern an.“

Auf einer Festplatte von G. hatten die Ermittler im September 2020 hunderte Videos und Fotos von Philipp G.s Taten entdeckt. Dazu fanden sie eine Liste, die G. führte, mit 80 Frauennamen. Manchmal notierte G. dort den vollen Namen der Frauen, manchmal nur Spitznamen oder Berufsbezeichnungen. Die Ermittler gehen mittlerweile nicht mehr davon aus, dass alle Frauen auf dieser Liste Opfer von Straftaten wurden. Neben der Liste fügte G. eine Spalte mit der Überschrift „aktiv“ ein: Verging er sich an einer bewusstlosen Frau, trug er dort ein Minus ein. Neun Kästen in dieser Spalte markierte er mit einem Minus, 69 mit einem Plus. Die Liste ist nicht vollständig: Laut dem Bericht des Ministeriums taucht nur der Name eines Opfer aus Bethel darauf auf.

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Von den 32 Frauen, die G. im Klinikum Bethel missbrauchte, konnten die Ermittler 30 identifizieren. Bei einem Opfer dauert die Identifizierung noch an, „scheint aber nicht aussichtslos“,  das Ministerium. Bei einem Opfer scheint eine Identifizierung unwahrscheinlich.

Hinterbliebener eines Opfers erst jetzt informiert

29 der 30 identifizierten Frauen wurden von der Polizei im Januar 2022 über Philipp G.s Taten informiert. Eine im Klinikum missbrauchte Frau starb bereits im November 2020 an einer tödlichen Krankheit. Erst vergangene Woche rief die Kriminalpolizei Bielefeld bei ihrem Ehemann an und informierte ihn anschließend in einem persönlichen Gespräch darüber, was seiner Frau im Klinikum Bethel widerfahren war. Noch im Januar dieses Jahres habe sich die Staatsanwaltschaft dagegen entschieden, die Hinterbliebenen der Frau zu informieren, schreibt die Staatsanwaltschaft in dem Bericht ans Ministerium. Ein Fehler, wie die Behörden nun einräumen.

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Stefanie Höke, Rechtsanwältin.

Nach dem Gespräch mit der Polizei wandte sich der Ehemann an die Opferanwältin Stefanie Höke, die auch acht weitere Opfer G.s vertritt. „Es irritiert mich schon sehr“, sagte Höke. Die Staatsanwaltschaft habe bisher beteuert, alle Betroffenen informiert zu haben – nun stelle sich heraus, dass dem nicht so war. „Ferner verwundert es, dass die Staatsanwaltschaft Duisburg die Vorschrift im Strafgesetzbuch übersehen haben will, wonach auch Hinterbliebene zu informieren sind, um ihre Rechte geltend zu machen“, sagte Höke. Dies stünde schließlich nur ein paar Paragraphen hinter der Norm, nach der die Staatsanwaltschaft auch alle anderen betroffenen Frauen informiert hat. Der Ehemann hat sich den Strafanzeigen gegen Philipp G.s Vorgesetzte im Klinikum Bethel angeschlossen.  

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