Streit der WocheSind Fahrverbote das richtige Mittel gegen Motorradlärm?

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Viele Motorräder sind sehr laut und führen deshalb zu Diskussionen. 

  • Die Debatte um Motorrad-Lärm nimmt an Intensität zu.
  • Sind lokale Fahrverbote für Motorräder an Sonn- und Feiertagen die Lösung?
  • Bundesweit protestieren die Motorradfahrer.

Unsere beiden Redakteure Jonah Lemm und Michael Lenzen diskutieren im Streit der Woche über Fahrverbote für Motorräder aufgrund des Lärms der Maschinen.

Pro: Freiheit bedeutet nicht das Recht, auch mal Billy the Kid spielen zu dürfen

von Jonah Lemm

Was haben Immanuel Kant und ein Motorrad gemeinsam? Beide stehen für eine Idee von dem, was Freiheit für den Einzelnen bedeuten kann. Und was unterscheidet Immanuel Kant von einem Motorrad? Na ja, vieles natürlich. Aber hauptsächlich, so scheint es in diesen Tagen: die Vernunft.

Es nervt natürlich, bei einer Diskussion über Maschinen mit zwei Rädern direkt philosophische Binsenweisheiten bemühen zu müssen. Nur hat leider die Motorradlobby selbst die Grundsatzdebatte begonnen: Verbände sprechen von einer „Diskriminierung“ von Millionen Motorradfahrern, sollte ihnen verboten werden, sonntäglich mit ihrem Gerät über die Straßen dieses Landes zu heizen. Von unverhältnismäßiger Einschränkung der persönlichen Freiheit ist zu lesen.

Oh weh, die persönliche Freiheit also, Grundrecht per Grundgesetz, kann man die denn den Motorradfahrern einfach entziehen?

Ja, natürlich. Denn diese Freiheit bedeutet nicht das Recht darauf, auch mal Wyatt Earp und Billy the Kid spielen zu dürfen, ohne Rücksicht auf den Rest der Gesellschaft. Sondern, frei nach Kant: „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.“

An vielen beliebten Motorradstrecken muss die Freiheit der Fahrer mit jedem Ortseingangsschild neu enden. Dort wohnen nämlich Menschen, die ein Recht auf Ruhe und Erholung haben, vor allem am Sonntag. Auch das steht übrigens im Grundgesetz, sowie im Sonn- und Feiertagsgesetz der Länder. Deswegen darf man am Sonntag nicht Rasen mähen, Altglas wegwerfen, laut Klavierspielen. Dass Motorradfahrer anscheinend ihre Wochenendtour für ein Sonderrecht halten, zeugt von mangelnder Rücksichtnahme.

Wenn die eigene Vorliebe gleichzeitig die Lebensqualität anderer stark beeinträchtigt, müssen neue Regeln her. Für alle. Denn es liegt nicht nur an den paar Krawallbrüdern. Ausnahmslos jeder Motorradlärm am Sonntag ist unnötig, wenn er nur dem Zweck der persönlichen Freude dient.

Dann aber gefälligst konsequent sein und alles verbieten, was noch so Lärm macht, auch Sportwagen und Quads – oder? Nein, das Problem sind leider doch vor allem die Motorräder. Eine Anwohnerin einer beliebten Strecke im Schwarzwald berichtete kürzlich in der Tagesschau, sie habe über 150 Motorräder gezählt, die in einer Stunde an ihrem Haus vorbeigefahren seien. Mal grob geschätzt: Ganz so viele Ferraris waren es wohl nicht.

Natürlich gäbe es Alternativen zum Fahrverbot. Viele haben sich Motorradliebhaber aber in der Vergangenheit selbst verbaut. Vielbefahrene Strecken zu sperren wäre eine, allerdings hat sich gezeigt, dass Fahrer einfach ausweichen und eben andere Anwohner den Lärm ertragen müssen. Auch könnten Hersteller einfach aufhören, Modelle zu bauen, die schon serienmäßig abartig laut sind. Viele Motorräder schaffen es – ganz ohne Tuning – auf über 100 db(A). Und die sind sehr beliebt, und viele davon werden noch ein paar Jährchen gefahren werden.

Am sinnvollsten erscheint eine Vorschrift mit Einschränkung: Fahrer, die nachweisen können, dass sie ihr Motorrad tatsächlich als Verkehrsmittel nutzen, um ein Ziel zu erreichen, das sich auf einer Karte und nicht im eigenen Übermut befindet, dürfen sonntags fahren. Alle anderen nicht. So zumindest wäre es vernünftig.

Kontra: Man nimmt  Motorradfahrer damit in Sippenhaft

von Michael Lenzen

Es klingt so logisch und einfach: Die Strecken für Motorradfahrer sperren und das Lärmproblem ist gelöst. Aber meistens sind die einfach klingenden Lösungen für komplexe Probleme gar keine. Das gilt auch beim Problem Verkehrslärm. Als langjähriger und begeisterter Motorradfahrer und Vorsitzender des Bundesverbandes der Motorradfahrer (BVDM e.V.) kenne ich die Diskussion über zu laute Motorräder seit mehr als 30 Jahren. Streckensperrungen wegen Lärm sind in den letzten Jahren immer wieder von Kreisen und Kommunen angeordnet worden, doch die Gerichte haben diese Fahrverbote in den allermeisten Fällen schnell wieder kassiert. 

Streckensperrungen lösen das Problem nicht, sie verlagern es nur. Auf andere Strecken mit anderen Anwohnern und zudem einseitig zu Lasten der Motorradfahrer. Wenn man das Prinzip weiterdenkt, würden immer mehr Strecken ausschließlich für Motorradfahrer gesperrt. Man nimmt die Motorradfahrer damit in Sippenhaft. Bei Autos kommt im Übrigen niemand auf die Idee, Fahrverbote wegen Lärm oder Raserei zu fordern. Man denke nur an die illegalen Autorennen in Köln und anderen Städten, die leider schon Menschenleben gekostet haben oder die Poser, die mit aufheulenden Motoren und voll aufgedrehter Musikanlagen auf den Partymeilen auffallen wollen.

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Hier wird völlig zu Recht ein großer Aufwand betrieben, um die Ursachen zu beseitigen, also die Fahrer, die das Problem verursachen, entsprechend zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn über Fahrverbote aufgrund von Lärm diskutiert wird, muss man das für alle Kraftfahrzeuge tun, also nicht nur für Motorräder, sondern auch für Pkw, Quads, Lkw und Landmaschinen.

Am Problem Motorenlärm gibt es nichts schönzureden. Die Motorräder sind im Realbetrieb, wie viele Sportwagen und SUVs auch, in den letzten Jahren lauter geworden. Klappensteuerungen in den Auspuffanlagen sorgen dafür, dass in dem für die Zulassung definierten Bereich die Grenzwerte eingehalten werden, darüber hinaus wird es laut, zu laut. Zudem gibt es insgesamt mehr motorisierten Freizeitverkehr. Der erzeugt Lautstärke gerade dort, wo Menschen Ruhe suchen.

Der Konflikt ist lange bekannt, nun ist er eskaliert. Anwohner gehen auf die Barrikaden, Lärminitiativen machen politisch Druck. Und zehntausende Motorradfahrer demonstrieren gegen mögliche Streckensperrungen. Die Anwohner haben ein Recht auf Schutz vor übermäßigem Lärm, die Motorradfahrer das Recht mit legalen Motorrädern vernünftig zu fahren. Um diesen Interessenskonflikt zu lösen, müssen zum einen die, die vorsätzlich Lärm verursachen, durch gezielte Kontrollen zur Rechenschaft gezogen werden. Zum anderen müssen die Zulassungsbestimmungen so geändert werden, dass technische Einrichtungen, die zur unnötigen Erhöhung der Lautstärke führen, verboten werden und es eine absolute Lärmobergrenze gibt. Auch bei Pkw. Zudem sollten die Hersteller bereits jetzt freiwillig leisere Motorräder anbieten und am allerwichtigsten: Die Motorradfahrer müssen mehr Rücksicht auf die Anwohner nehmen. Früher hochschalten, am Ortsausgang nicht voll beschleunigen. Fahrspaß hat mit Lautstärke nichts zu tun. 

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