Bundesregierung widerspricht Johnsons VorwurfDeutschland soll schnelle Niederlage für Ukraine favorisiert haben

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Boris Johnson, ehemaliger Premierminister von Großbritannien, geht die Downing Street entlang.

Boris Johnson, ehemaliger Premierminister von Großbritannien, hat Kritik an mehreren europäischen Regierungen geübt. (Archivbild)

Seit seinem Rücktritt als englischer Premierminister wurde es still um Boris Johnson. Nun hat sich der Brite mit brisanten Aussagen zu Wort gemeldet.

Der ehemalige englische Premierminister Boris Johnson hat der Bundesregierung vorgeworfen, vor dem drohenden russischen Einmarsch am 24. Februar eine schnelle militärische Niederlage für die Ukraine favorisiert zu haben. Johnson betonte zwar, dass die EU-Staaten und auch Deutschland sich später eindeutig hinter die Ukraine gestellt hätten, die anfängliche Haltung Berlins habe er jedoch für eine „katastrophale Sichtweise“ gehalten.

„Die deutsche Sichtweise war zu einem bestimmten Zeitpunkt, dass es besser wäre, wenn die ganze Sache schnell vorbei wäre und die Ukraine aufgeben würde“, sagte Johnson im Gespräch mit dem US-Sender CNN. „Ich konnte das nicht unterstützen, ich hielt das für eine katastrophale Sichtweise. Aber ich kann verstehen, warum sie so dachten und fühlten“, fuhr Johnson fort. Es habe „wirtschaftliche Gründe“ für diese Perspektive gegeben.

Bundesregierung wiederspricht Johnsons Version

Die Äußerungen von Johnson sorgten am Mittwoch auch in Berlin für Aufsehen. Regierungssprecher Steffen Hebestreit trat der Behauptung mit den Worten entgegen: „Wir wissen, dass der sehr unterhaltsame frühere Premier immer ein eigenes Verhältnis zur Wahrheit hat - das ist auch in diesem Fall nicht anders.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Bundesregierung insgesamt hätten sich für substanzielle Waffenlieferungen an die Ukraine entschieden, von daher „sprechen die Fakten gegen diese Unterstellung“.

Boris Johnson: „Die Länder hatten sehr unterschiedliche Perspektiven“

Boris Johnson hatte erklärt, die verschiedenen Länder hätten sehr unterschiedliche Perspektiven gehabt. So hätte die französische Staatsführung die Kriegsgefahr durch Russland „bis zum letzten Moment geleugnet“.

Auch die anfängliche Reaktion Italiens kritisierte Johnson. In „einer Phase“ habe Rom mitgeteilt, dass es „die Position, die wir einnehmen, nicht unterstützen kann“. Grund dafür sei eine „massive“ Abhängigkeit von russischen Kohlenwasserstoffen gewesen.

Boris Johnson über Wladimir Putin: „Mit diesem Mann kann man nicht verhandeln“

Erst als Russland seine Drohungen wahrgemacht habe und in die Ukraine einmarschiert sei, hätten sich die Einstellungen in ganz Europa schnell geändert. „Jeder – Deutsche, Franzosen, Italiener, jeder, auch Joe Biden – sah ein, dass es einfach keine andere Möglichkeit gab. Denn mit diesem Mann kann man nicht verhandeln“, erklärte Johnson mit Blick auf Wladimir Putin.

Mittlerweile müsse er Europa jedoch ein Lob aussprechen, führte Johnson aus. In ihrer Opposition zu Russland sei die EU seither „brillant“ gewesen. „Nach all meinen Befürchtungen zolle ich der Art und Weise, wie die EU gehandelt hat, meinen Respekt. Sie war geeint. Die Sanktionen waren hart“, fuhr Johnson fort.

Boris Johnson lobt Wolodymyr Selenskyj: „Ein sehr mutiger Mann“

Vor seinem Rücktritt im Juli gehörte Johnson zu den engagiertesten Unterstützern der Ukraine und des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. „Er ist ein sehr mutiger Mann. Ich glaube, die Geschichte dieses Konflikts wäre ganz, ganz anders verlaufen, wenn er nicht da gewesen wäre“, lobte Johnson seinen ehemaligen Amtskollegen in Kiew.

Der Ukraine rät Johnson unterdessen zum Eintritt in die Europäische Union. „Wenn die Ukraine sich für eine Mitgliedschaft in der EU entscheidet, sollte sie es tun. Ich denke, es wäre eine gute Sache für die Ukraine.“

Von der Bundesregierung liegt bisher keine Stellungnahme zu Johnsons Aussagen vor. Auch in Paris und Rom reagierte man bisher nicht auf die Worte des Engländers, der nach einigen Skandalen im Juli als Premierminister zurückgetreten war. (das mit dpa)

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