Im Krieg in der Ukraine entstehen Waffensysteme, die an Science-Fiction erinnern – und die selbst ihre Entwickler in Furcht versetzen: Einer von ihnen spricht von einer „neuen Atombombe“. Westliche Staaten wie Deutschland sind dagegen völlig abgehängt.
Krieg der Roboter„Wir schaffen ein Monster – aber wir werden dazu gezwungen“

Krieg der Roboter: Ein unbemanntes Drohnenfahrzeug in der Ukraine. .
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Der Droid TW-12.7 ist eine Killermaschine, die wie aus einem Terminator-Film entsprungen scheint. Auf dem Testgelände nahe der Front in der Ostukraine wälzt sich die ferngesteuerte Bodendrohne – die englische Abkürzung UGV steht für Unmanned Ground Vehicle, unbemanntes Bodenfahrzeug – auf Panzerketten über den sandigen Boden.
Schütze Temnyi (21) nimmt das Ziel auf einem Tablet-Computer ins Fadenkreuz, das Geschoss aus dem Maschinengewehr zerfetzt den anvisierten Reifen. Kampfdrohnen am Boden sind nach solchen in der Luft und im Wasser der nächste Schritt im Hightech-Krieg in der Ukraine – in dem sich unbemannte Systeme rasend schnell entwickeln.
Drohnen steuern mit dem Playstation-Controller
Der Droid TW-12.7 ist jeweils knapp eineinhalb Meter lang und hoch. Er besteht aus einer Metallplattform mit Kettenantrieb und einer Trägerkonstruktion, auf die die Waffe montiert wird. Dahinter ist ein erhöhtes Gestell, in dem die Kamera für den fernsteuernden Fahrer und Computer untergebracht sind. Gebaut wird die Maschine von dem Startup DevDroid in der westukrainischen Region Lwiw. Der Firmenname ist eine Kombination aus Development (Entwicklung) und Droid, letzteres in Anlehnung an die Droiden aus der Star-Wars-Reihe: fiktive Roboter, die über Künstliche Intelligenz (KI) verfügen.
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Auch der Droid TW-12.7 ist mit KI-Funktionen ausgestattet. Der Bordcomputer kann Menschen erkennen und bewegliche Ziele automatisch verfolgen. Der Bediener – der per Satelliten-Internet, Funk oder Handynetz verbunden ist und theoretisch überall auf der Welt sitzen kann – muss nur den Feuerbefehl geben.
„Alles andere macht der Computer“, sagt Chefentwickler Oleg (42), der wie andere Gesprächspartner nur mit Vornamen oder (im Fall von Soldaten) mit Spitznamen zitiert werden will. Das Waffensystem und der Computer greifen auf drei eigene Kameras unterhalb des Maschinengewehrs zurück: Eine verfügt über ein Weitwinkel-, die zweite über ein Teleobjektiv. Die dritte Kamera mit Wärmebildfunktion liefert nachts Bilder. Menschen können mit der KI-Funktion bis auf 500 Meter Entfernung identifiziert werden.
Die Bilder laufen auf einem Tablet auf, gesteuert wird die Drohne mit handelsüblichen Playstation-Controllern. „Die sind sehr widerstandsfähig, weil sie darauf ausgelegt sind, dass auf Partys schon mal Cola darauf gekippt wird“, sagt DevDroid-Geschäftsführer Yurii Porytskyi (31).
In der Werkhalle des Startups stehen Dutzende Bodendrohnen. Im Februar hat die Produktion begonnen, bislang wurden mehr als 200 hergestellt. „Die meisten davon sind bereits auf dem Schlachtfeld“, sagt Chefentwickler Oleg. Bis Jahresende will DevDroid den ukrainischen Streitkräften insgesamt 500 der tödlichen Roboter liefern.
Bereits zum Einsatz kommen sie etwa bei der dritten Sturmbrigade im Osten der Ukraine, die über einen eigenen UGV-Zug verfügt. Stan ist einer der Soldaten dieses Trupps, der 37-Jährige steht auf einem Hof inmitten eines ganzen Fuhrparks an Bodendrohnen. In seinem zivilen Leben vor dem russischen Überfall auf seine Heimat hat er Computerspiele mitentwickelt. Drohnen aus der Entfernung am Bildschirm zu steuern, könne sich ähnlich wie ein Videospiel anfühlen, sagt er. „Es steht aber etwas anderes auf dem Spiel: Es geht um wirkliche Menschenleben.“
Moderne Kriegsführung mit der Drohne
Bislang verwenden die ukrainischen Streitkräfte vor allem unbewaffnete Bodendrohnen, die oft nicht viel mehr als ferngesteuerte, einfache Fahrzeuge zum Lastentransport sind. Sie liefern Soldaten an der Front Nachschub und bringen Verwundete von dort zurück. „Fast unsere ganze Frontlogistik hängt davon ab“, sagt Stan. Die Versorgung mit bemannten Fahrzeugen sei wegen der russischen Kamikazedrohnen aus der Luft – die in der Ukraine verallgemeinernd als FPV-Drohnen (First-Person-View-Drohnen) bezeichnet werden – zu gefährlich geworden. „Sie werden nahezu sicher von FPV-Drohnen attackiert.“ Auch die logistischen Bodendrohnen würden zwar regelmäßig zum Ziel. „Aber das kostet uns keine Menschenleben.“
Während die logistischen Drohnen ihren festen Platz im Kampfgeschehen gefunden hätten, müssten sich die neueren Kampfdrohnen dort erst noch bewähren. Dennoch glaubt auch Stan: „Wahrscheinlich ist das die Zukunft der modernen Kriegsführung.“ Die russischen Feinde seien bei der Entwicklung von Bodendrohnen ebenfalls nicht untätig. „Die Russen warten normalerweise darauf, was bei uns funktioniert, und kopieren es dann. Noch sind sie uns etwas hinterher, aber ich glaube nicht, dass das lange so sein wird.“

Ukrainische Soldaten der 66. Brigade nehmen an einer Gefechtsübung in der Region Donezk teil.
Copyright: Dan Bashakov/AP/dpa
Frank kommandiert einen UGV-Angriffszug. Der 40-Jährige ist einer der Pioniere beim Einsatz von Kampfdrohnen auf dem Schlachtfeld in der Ukraine und weltweit. „Wir lernen jetzt von den Erfahrungen im Gefecht“, sagt er. Bei logistischen Drohnen habe der Lernprozess ungefähr ein Jahr in Anspruch genommen. „Die Kampfdrohnen sind seit einem halben Jahr im Einsatz, da brauchen wir noch etwas Zeit. Ich glaube, sie werden schon nächstes Jahr ziemlich weit verbreitet sein.“
Zwar blieben Infanteriesoldaten an der Front unverzichtbar. Ziel sei aber, so viele menschliche Truppen wie möglich durch Roboter zu ersetzen. Frank glaubt, dass die Bodendrohnen irgendwann eine ebenso bedeutende Rolle spielen werden wie heute die Kamikazedrohnen aus der Luft. „Krieg wirkt wie ein gigantischer Technologie-Beschleuniger.“
Wie rasant die Entwicklung verläuft, hat sich kürzlich auf der Hightech-Rüstungsmesse Defense Tech Valley in der westukrainischen Stadt Lwiw gezeigt. Kurz nach Beginn des russischen Einmarschs im Februar 2022 bastelten ukrainische Soldaten in obskuren Bombenwerkstätten mit Quadrokoptern aus dem Elektromarkt und Sprengstoff aus Handgranaten improvisierte Kamikazedrohnen. Heute produzieren in der Ukraine mehr als 500 Unternehmen Flugdrohnen, von denen manche 150 Kilogramm schwere Sprengsätze transportieren können. „Roboter sind nicht die Zukunft, sie sind die Front“, steht an einem Messestand geschrieben. Und an einem anderen: „Krieg ist der härteste Job der Welt. Überlassen wir ihn den Robotern.“
Ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Russland und der Ukraine
Die Entwicklung ähnelt einem Katz-und-Maus-Spiel, bei dem eine Innovation die nächste auszustechen versucht. In der Ausstellungshalle der Defense Tech Valley finden sich Bodendrohnen, die Minen legen, und solche, die sie räumen. Als Reaktion auf die frühen Kamikazedrohnen hat sich die elektronische Störtechnik, mit der Funkverbindungen unterbrochen werden, deutlich weiterentwickelt.
Inzwischen sind Kamikazedrohnen aber immer häufiger per Glasfaserkabel mit dem Soldaten an der Fernbedienung verbunden. Sie benötigen kein Funksignal mehr und können daher nicht mehr elektronisch gestört werden. Neue KI-gestützte Bodendrohnen allerdings können diese Glasfaser-Drohnen mit ihren Kameras erkennen - und ohne menschliches Zutun abschießen.

Ukrainische Soldaten des Verteidigungsnachrichtendienstes bereiten den Start der Langstreckendrohne An-196 Ljutyj an einem ungenannten Ort in der Ukraine vor.
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Auch Norda Dynamics ist auf der Defense Tech Valley vertreten, das Startup nahm im Februar vergangenen Jahres die Arbeit auf. Das Team von Geschäftsführer und Mitgründer Nazar Bihun (36) hat eine Technologie entwickelt, die Kamikazedrohnen die sogenannte letzte Meile – tatsächlich sind es bis zu zwei Kilometer – selbstständig ins Ziel führt. Das gilt selbst dann, wenn sich dieses Ziel bewegt und die Funkverbindung unterbrochen ist. Rund 50.000 Drohnen mit dieser Technologie seien an der Front bereits eingesetzt worden, sagt Bihun – und die Trefferquote sei dadurch enorm gestiegen. „Früher traf nur etwa jede zehnte Drohne, heute sind es über 80 Prozent.“
Und die Entwicklung schreitet rapide voran. Bihun sagt, in den kommenden Monaten würden die ersten Drohnen auf dem Schlachtfeld eingesetzt, die dank der KI-Technologie seines Startups Ziele selbstständig erkennen könnten: „Etwa mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit einen russischen Panzer, mit 85 Prozent eine Infanterieeinheit. Der Pilot muss das Ziel nur noch bestätigen.“
Norda Dynamics arbeitet bereits an der nächsten Stufe der Drohnentechnologie – eine, die Bihun nach seinen Worten selbst Angst macht und in den nächsten Jahren Realität werden dürfte: autonome Drohnenschwärme. „Wer zuerst einen Schwarm autonomer Drohnen einsetzt, hat die neue Atombombe in der Hand“, meint Bihun. „Stellen Sie sich einen Schwarm von 50 autonomen Drohnen vor, von denen jede genau ihr Ziel kennt. Wir glauben, dass das die nächste Waffe ist, die einen riesigen militärischen Vorteil verschafft.“
Vollständig autonome Schwarm-Missionen könnten dann nach Darstellung des Unternehmers so aussehen: „Man plant am Laptop die Ziele – Panzer, Infanterie, Artillerie –, klickt auf Start und die Drohnen orten, priorisieren und zerstören die Ziele selbstständig, ohne Bestätigung durch den Menschen.“ Noch sei das Zukunftsmusik, „aber wir kommen sehr schnell voran“, sagt Bihun. „Wir entwickeln ein Monster. Aber wir sind dazu gezwungen – entweder wir oder sie.“ Denn die Russen arbeiteten ebenfalls an autonomen Systemen.
Ungefähr zur Zeit von Bihuns Firmengründung hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine eigene Teilstreitkraft für unbemannte Systeme ins Leben gerufen, die gleichrangig neben Heer, Luftwaffe und Marine steht und Flug-, Boden- und Seedrohnen integriert. Es ist eine der weltweit ersten in dieser Form. Deutschland hinkt im Vergleich dazu weit hinterher. Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer räumte im Frühjahr ein, die Bundesrepublik und die meisten anderen Staaten hätten die Entwicklung im Drohnenbereich „verschlafen“. Erst in diesem Jahr wollte die Bundeswehr mit der Erprobung von Kamikazedrohnen beginnen.
„In der Ukraine gibt es seit anderthalb Jahren eigene Drohneneinheiten, während westliche Armeen erst zögerlich mit Drohnen experimentieren“, sagt Bihun. „Westliche Generäle sind oft zu konservativ oder glauben, dass die Nato so stark sei, dass niemand sie herausfordern wird. Sie verstehen die Bedrohung nicht.“
Der Unternehmer ist überzeugt: „Es gibt keine Zukunft für eine Armee, die diese Technologie ignoriert. Der Krieg hat sich fundamental verändert.“ Bihun zieht einen drastischen Vergleich zwischen den alten und den neuen Technologien: „Stellen Sie sich vor, im Zweiten Weltkrieg wären Bogenschützen gegen Panzer angetreten“, sagt er. „Welche Chance hätten sie gehabt, den Krieg zu gewinnen?“
Mitarbeit: Yurii Shyvala