Moskauer PatriarchWar „Putins Messdiener“ ein KGB-Agent?

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Der russische Präsident Wladimir Putin (l) und der Vorsteher der Russischen-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I.

Der russische Präsident Wladimir Putin (l) und der Vorsteher der Russischen-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I.

Im Schweizer Bundesarchiv existiert ein Dossier über einen „Monsignor Kirill“, der für den Sowjet-Geheimdienst gearbeitet habe. Der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche spricht von „Fantasiegeschichten“.

Die russische Botschaft in Bern reagierte gereizt: Wieder so ein Beispiel für „Russophobie“, die sich auch in der Schweiz immer mehr ausbreite. Sollte der Moskauer Patriarch und Putin-Freund Kyrill I. während des Kalten Krieges Agent des sowjetischen Geheimdienstes KGB gewesen sein?

Mehrere Medien berichten, der heute oberste Repräsentant der Russisch-Orthodoxen Kirche habe unter dem Decknamen „Michailow“ im Auftrag des KGB den in Genf ansässigen Weltkirchenrat ausspioniert. Reporter der Schweizer „SonntagsZeitung“ hatten im Berner Bundesarchiv ein Dossier über einen „Monsignor Kirill“ ausgegraben, der für den KGB gearbeitet habe. Die Schweizer Bundespolizei habe die Existenz und Echtheit entsprechender Akten bestätigt, die sie in den 1970er Jahren angelegt und inzwischen freigegeben hat.

Kyrill war in den 1970er Jahren Vertreter beim Weltkirchenrat

Tatsächlich hat Wladimir Gundjajew, wie der heute 76 Jahre alte Patriarch Kyrill bürgerlich heißt, tatsächlich Anfang der 1970er Jahre in Genf gelebt. Ganz offiziell, entsandt von seinem kirchlichen Vorgesetzten, Metropolit Nikodim von Leningrad. Der 24 Jahre alte Absolvent der Kirchlichen Akademie wäre zwar lieber zum Studium nach Oxford gegangen, aber sein Chef hatte ihn als offiziellen Vertreter der Moskauer Patriarchats beim Weltkirchenrat in Genf ausersehen: „Du musst arbeiten.“

In einem aufschlussreichen Gespräch mit der russischen Zeitschrift „Kirche und Zeit“, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Übersetzung vorliegt, berichtet Gundjajew freimütig über die Besonderheiten seines Einsatzes in Genf. „Ein Priester, besonders wenn er im kirchlich-diplomatischen Dienst stand, musste dem Staat gegenüber loyal bleiben.“ In diesen Jahren, rechtfertigte er sich, „war unsere kirchliche Tätigkeit ein Rettungsring, der die Kirche über Wasser hielt“.

Kyrill I., Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche, kreuzigt sich während eines Gottesdienstes am Ostermontag in einem Frauenkloster.

Kyrill I., Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche, kreuzigt sich während eines Gottesdienstes am Ostermontag in einemFrauenkloster.

Der Weltkirchenrat, dem rund 350 christliche Gemeinschaften aus allen Kontinenten mit Ausnahme der römisch-katholischen Kirche angehören, schweigt sich bislang über eine   Rolle Kyrills als sowjetischer Agent aus. Kyrill selbst weist die Vorwürfe als „Fantasiegeschichten“ zurück. Der evangelische Kirchenhistoriker Gerhard Besier macht auf die Tradition aufmerksam, dass die obersten Kirchenführer der russischen Orthodoxie in der Zeit der Sowjetunion beim KGB „angebunden“ gewesen seien. Bei Auslandsreisen habe der Geheimdienst stets seine Hände mit im Spiel gehabt.

Der spätere Patriarch liebte teure Uhren, das Skifahren und das Genfer Flair

Und schon der junge Gundjajew reiste gern und viel. Auch viel später, als seine Mission in Genf eigentlich längst beendet war, zog es ihn laut dem Dossier im Berner Bundesarchiv regelmäßig in die schöne Schweiz – insgesamt etwa 40-mal. Gundjajew liebte teure Uhren, das Skifahren und das internationale Genfer Flair. Für seine konspirative Tätigkeit soll er eine repräsentative Wohnung in einer kleinen ruhigen Straße, der Rue de Beaumont, angemietet haben. Sein Auftrag: Den Weltkirchenrat in seiner Kritik an der fehlenden Religionsfreiheit in der UdSSR zu mäßigen und gleichzeitig die Politik der USA anzuprangern.

In Genfer Diplomatenkreisen galt es damals als offenes Geheimnis, „dass die Vertreter des orthodoxen Moskauer Patriarchats allesamt Spione sind“, berichtet einer, der die Zeit erlebt hat. Ohne den KGB, ergänzt der Historiker Besier, sei es zu Sowjetzeiten praktisch unmöglich gewesen, in der russisch-orthodoxen Kirche Karriere zu machen. Und Kyrills Karriere verlief rasant: Mit 23 war er Diakon, mit 29 bereits Bischof, obwohl das Mindestalter fürdieses Amt eigentlich 35 Jahre betrug.

Mutmaßungen über Kyrill haben nun sozusagen ein amtliches Siegel

In ukrainischen Medien waren immer wieder einmal Mutmaßungen über eine frühere Agententätigkeit des verhassten Moskauer Kirchenfürsten aufgetaucht, den Papst Franziskus im Mai 2022 davor warnte, „Putins Messdiener“ zu werden. Nun aber haben die Berichte sozusagen ein amtliches Siegel.

In der Schweiz wenden sich inzwischen auch Menschen von Kyrill ab, die – wie die Theologieprofessorin Barbara Hallensleben von der Universität Fribourg –   lange nicht den Stab über ihn brechen wollten. Hallensleben, die Kyrill mehrfach persönlich begegnet war, hielt ihn für einen Reformer, der scheinbar Unmögliches möglich gemacht habe und „eigentlich kein böser Mensch“ sei. Wohl aber unbelehrbar. Er lebe einsam in einer „postsowjetischen Binnenwelt“, sagt sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. 

Der Patriarch rühmt die Herrschaft des Kreml-Chefs weiter als „Wunder Gottes“ und lobt dessen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. „Nicht immer waren die Zaren so orthodox wie jetzt unser Präsident.“ So Kyrill im O-Ton Anfang Februar, zum 14. Jahrestag seiner „Inthronisation“ als Patriarch.

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