Vergiftungsgerüchte und Koma-BerichtRätselraten um Ramsan Kadyrow: „Für Putin wäre es der Super-GAU“

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Gute Stimmung: Kremlchef Wladimir Putin und Tschetschenen-Anführer Ramsan Kadyrow bei einem Treffen im März in Moskau. Derzeit gibt es viele Spekulationen um den Gesundheitszustand Kadyrows.

Gute Stimmung: Kremlchef Wladimir Putin und Tschetschenen-Anführer Ramsan Kadyrow bei einem Treffen im März in Moskau. Derzeit gibt es viele Spekulationen um den Gesundheitszustand Kadyrows.

Wurde der „Bluthund“ vergiftet? Droht ihm Prigoschins Schicksal? „Unruhen“ könne Putin eigentlich nicht wollen, sagt der Kölner Politologe Thomas Jäger. 

Der Gesundheitszustand des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow sorgt weiterhin für Spekulationen. „Wir haben keine Informationen“, erklärte Dmitri Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, am Montag. Die Präsidialverwaltung könne keine Auskunft zu Kadyrows Gesundheitszustand geben, führte Peskow aus und versicherte, es habe kein Treffen zwischen dem tschetschenischen Anführer und Kremlchef Putin gegeben.

Kadyrow gilt als Unterstützer Putins und wird seit längerer Zeit als „Bluthund“ des russischen Präsidenten bezeichnet.

Rätselraten um Ramsan Kadyrow: „Putins Bluthund“ soll im Koma liegen - oder bereits tot sein

Zuvor hatten ukrainische Quellen am Freitag (15. September) behauptet, Kadyrow sei im Koma und befinde sich zur Behandlung in Moskau. Am Wochenende hieß es dann in mehreren Telegram-Kanälen, der Tschetschenen-Anführer sei bereits gestorben.

Am Sonntag wurden jedoch schließlich zwei Videos in Kadyrows Telegram-Kanal veröffentlicht. Eines zeigt „Putins Bluthund“, mit deutlich aufgedunsenem Gesicht, angeblich bei einem Spaziergang. Auf einem weiteren veröffentlichten Video spricht Kadyrow zunächst Tschetschenisch und fügt dann auf Russisch hinzu: „Treibt Sport“. Wann die Videos aufgezeichnet wurden, ist allerdings unklar. Unabhängig überprüft werden kann Kadyrows Aufenthaltsort und Zustand derzeit ebenfalls nicht.

Unklarheit um Kadyrows Zustand weckt Erinnerungen an Prigoschins Tod

Das Rätselraten um „Putins Bluthund“ hat allerdings Erinnerungen an den Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin geweckt. Der Söldnerchef war bei einem Flugzeugabsturz getötet worden – nachdem er beim Kreml nach einem Beinahe-Putsch in Ungnade gefallen war. Putin könnte mit Kadyrow den letzten Inhaber einer Privatarmee beseitigen, ist nun eine vielfach geäußerte Vermutung.

Was genau hinter den Berichten über den Gesundheitszustands Kadyrows oder seines Todes stecke, wisse „außer den Beteiligten“ derzeit „niemand“, erklärte der Politikwissenschaftler Thomas Jäger am Montag im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Lage sei durchaus „verwirrend“, da Kadyrow zwar ab und an die russische Armee kritisiert habe, im Gegensatz zu Prigoschin aber stets loyal Putin gegenüber gewesen sei.

Steckt der Kremlchef hinter Kadyrows Erkrankung? „Es geht darum, ob Putin sich darauf verlässt“

„Es geht darum, ob Putin sich darauf verlässt, dass einer, der noch über so eine Art Privatarmee in Russland verfügt, sich ruhig verhält oder nicht“, so Jäger. Kadyrow „vorsichtshalber herauszunehmen“, werfe allerdings die Frage nach seiner Nachfolge auf, führte der Professor für „Internationale Politik“ an der Universität zu Köln aus. Schließlich habe die Familie Kadyrow seit den Tschetschenien-Kriegen als „russische Statthalter“ agitiert.

Mir ist nicht bekannt, dass da irgendjemand nach Kadyrow übernehmen und sein Erbe antreten könnte.
Thomas Jäger

„Mir ist nicht bekannt, dass da irgendjemand aufgebaut wurde, der nach Kadyrow übernehmen und sein Erbe antreten könnte“, erklärt Jäger, warum die Lage weniger eindeutig erscheint als noch bei Prigoschin. „Für Putin wäre es der Super-GAU, wenn zusätzlich zu den Fehlern und Versäumnissen im Krieg es jetzt irgendwo im Inneren noch zu Unruhen käme.“

Andererseits könnte es für den Kremlchef auch verlockend erscheinen, nach der Wagner-Gruppe nun auch der zweiten großen Privatarmee in Russland „das Kommando zu nehmen“ und sie „aufzulösen“ wie Prigoschins Söldnergruppe. Das einzige, was für Moskau als Drahtzieher hinter Kadyrows Erkrankung spreche, sei, „dass man im Kreml sagt, man räumt jetzt alle ab, die es als Parallelstruktur in Russland neben den Streitkräften noch gab“, so Jäger.

Rätselraten um Kadyrow geht vorerst weiter: „Irgendjemand weiß es“

Allerdings habe sich Wagner-Chef Prigoschin vor seinem Tod geweigert, seine Söldnergruppe aufzugeben, führte Jäger aus. „Dann kam das Rad ins Drehen.“ Das könne bei Kadyrow „vielleicht“ ebenfalls der Fall sein, das sei aber derzeit noch völlig unklar, so der Politikwissenschaftler. „Irgendjemand weiß es. Nur wir wissen es nicht.“

Die genaue Situation rund um Ramsan Kadyrow bleibt also zunächst weiter rätselhaft. Die Gerüchte um eine schwere Erkrankung des Tschetschenen-Anführers folgten unterdessen auf unbestätigte Berichte, laut denen Kadyrow vergiftet worden sei – und deshalb seinen Leibarzt bei lebendigem Leib habe begraben lassen. In russischen Medien ist auch immer wieder von einem Drogenproblem Kadyrows die Rede.

Video von Ramsan Kadyrow: „Ich rate jedem, einen Spaziergang an der frischen Luft zu machen“

Kadyrow selbst hatte sich in dem am Sonntag auf seinen Telegram-Kanälen veröffentlichten Video zu Wort gemeldet. „Ich rate jedem, der Wahrheit und Lüge im Internet nicht unterscheiden kann, dringend einen Spaziergang an der frischen Luft zu machen und seine Gedanken zu ordnen“, zitierten russische staatliche Nachrichtenagentur Kadyrow.

Bereits nach Prigoschins Flugzeugabsturz hatte sich Kadyrow zu Mutmaßungen geäußert, auch sein Tod würde nun bevorstehen. Derartige Gerüchte dienten dafür, „Zwietracht in unserem Land zu säen“, hatte Kadyrow damals erklärt.

Kadyrow schwört Putin die Treue: „Auch wenn das Ergebnis der Tod ist“

Vor dem Tod habe er keine Angst, hatte der tschetschenische Anführer zudem versichert. „Putins Bluthund“ erklärte damals außerdem, er sei bereit, jeden Befehl des Kremlchefs auszuführen, „auch wenn das Ergebnis der Tod ist.“

Kadyrow steht seit 2007 an der Spitze der russischen Kaukasusrepublik mit mehrheitlich muslimischer Prägung. Menschenrechtsgruppen zufolge hat Kadyrow in Tschetschenien nach seiner Machtübernahme ein „totalitäres Regime“ errichtet. Die Gruppen verweisen auf Folterungen und außergerichtliche Tötungen. Am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind tschetschenische Einheiten beteiligt. 

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