Wechsel mitten im KriegRustem Umerow: Wer ist der neue Verteidigungsminister der Ukraine?

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Rustem Umerow folgt als ukrainischer Verteidigungsminister auf Oleksij Resnikow.

Rustem Umerow folgt als ukrainischer Verteidigungsminister auf Oleksij Resnikow. (Archivbild)

Resnikow musste nach Skandalen gehen, nun übernimmt Rustem als Verteidungsminister. Wer ist der 4Mann ohne militärische Erfahrung?

„Herr Umerow bedarf keiner weiteren Vorstellung“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj, als er den 41-jährigen Rustem Umerow als neuen Verteidigungsminister der Ukraine präsentierte. Während Umerow im Ausland kaum bekannt ist, zählt der Finanzexperte in der Ukraine zu den prominenten Gesichtern. Der Angehörige der Krimtataren hat seit dem Kriegsbeginn eine Schlüsselrolle in den Verhandlungen mit Russland gespielt.

Umerow gehört der Oppositionspartei Holos (Stimme) an und ist ein erfahrener Verhandlungsführer an der Seite Selenskyjs. Er war laut ukrainischen Medien Stipendiat eines US-Programms für künftige Führungskräfte (FLEX). Der Politiker hatte nach einem Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und einem Master im Finanzwesen im Projektmanagement gearbeitet. Bevor er 2019 ins ukrainische Parlament einzog, war er im Management einer Investmentfirma, die neue Technologien in den Bereichen Kommunikation, IT und Infrastruktur finanziert.

Selenskyjs Unterhändler

„Umerow war eine Überraschung“, sagt Hanna Shelest vom Foreign Policy Council „Ukrainian Prism“ in Kiew zu Selenskyjs Entscheidung. Es seien viele Namen im Gespräch gewesen, aber Umerow nicht, erklärte sie im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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International hat sich der 41-Jährige vor allem während der Kriegsverhandlungen mit Russland einen Namen gemacht, wo er zunächst an den Friedensgesprächen und später maßgeblich an den Gesprächen über das Getreideabkommen beteiligt war. „Er war von Tag eins an dabei“, so Shelest. Außerdem war Umerow am Austausch von Kriegsgefangenen, politischen Gefangenen, Kindern und Zivilisten sowie an der Evakuierung von Zivilisten aus besetzten Gebieten beteiligt.

„Angesichts seiner aktiven Beteiligung an den Verhandlungen im März 2022 ist die Kommunikation mit den internationalen Partnern eine seiner Stärken“, bestätigt Stepan Rusyn vom Transatlantic Dialogue Center in Kiew dem RND.

Umerow als Unternehmer erfolgreich

Umerow stammt von der Krim, gilt als erfolgreicher Investor, Unternehmer und Parlamentsabgeordneter. An etwa 100 Gesetzentwürfen soll er beteiligt sein, den Schwerpunkt seiner Arbeit legt er auf die Krim. Seit einem Jahr leitet Umerow den Staatsfonds der Ukraine, der die Privatisierung von Staatseigentum überwacht, und ist im Umgang mit internationalen Partnern versiert.

Umerow soll auch gute Verbindungen zu Spitzenpolitikern in der Türkei und der arabischen Welt haben. „Er verfügt über einen soliden Hintergrund in der Verwaltung von Staatseigentum, das historisch gesehen eine der größten Korruptionsquellen in der Ukraine ist“, sagt Rusyn. „Ich erwarte, dass er sich darauf konzentrieren wird, die Korruptionsrisiken innerhalb des Ministeriums zu minimieren und die bürokratischen Prozesse zu straffen.“

Vorgänger Resnikow trat nach Serie von Skandalen zurück

Sein Vorgänger Oleksij Resnikow hatte am Montag den Rücktritt als Verteidigungsminister eingereicht. Bereits am Freitag war bekannt geworden, dass er wegen des mutmaßlichen Kaufes überteuerter Uniformen kurz vor der Ablösung stehe. Hintergrund waren Vorwürfe, wonach das Verteidigungsministerium Winteruniformen zu überhöhten Preisen aus der Türkei gekauft haben soll. Außerdem soll es sich um Sommer- anstatt um Winterbekleidung gehandelt haben. Schon im Februar dieses Jahres hatte es einen Korruptionsskandal um die Beschaffung von Lebensmitteln für die Armee gegeben.

Experte Rusyn geht davon aus, dass Resnikows Rücktritt nicht nur mit den Berichten zu überteuerten Uniformen zu tun hat. „Der Rücktritt ist das Ergebnis einer Reihe von Korruptionsermittlungen, die sich auf die Beschaffung von Rüstungsgütern konzentrierten“, sagte er dem RND. Das Hauptproblem seien Verträge, die 2022 in aller Eile abgeschlossen wurden, um den unmittelbaren Bedarf der ukrainischen Streitkräfte zu decken.

Umerow soll wieder Ruhe ins Ministerium bringen

„Einige der Waffen und Ausrüstungen aus diesen Verträgen wurden überhaupt nicht geliefert, andere zu einem höheren Preis als marktüblich“, so Rusyn. Diese Fälle müssten noch gerichtlich untersucht werden, und die persönliche Rolle des Ministers sei nicht ganz klar. „Aber der öffentliche Druck ist bereits sehr hoch.“ Dagegen könne sich Umerow nun als neuer Minister ohne Skandale in der Vergangenheit voll und ganz auf seine Arbeit konzentrieren.

Nicht viele Menschen sind bereit, in Kriegszeiten das Verteidigungsministerium leiten zu wollen.
Hanna Shelest vom Foreign Policy Council „Ukrainian Prism“

Dass die Wahl auf Umerow fiel, hat nach Einschätzung von Expertin Shelest drei Gründe: „Zuerst die Frage, wer überhaupt Verantwortung übernehmen will. Denn nicht viele Menschen sind bereit, in Kriegszeiten das Verteidigungsministerium leiten zu wollen.“ Der zweite Faktor sei das notwendige Vertrauen des Präsidenten und des Leiters des Präsidialamtes in Umerow. „Denn in diesen Tagen bedeutet Loyalität sehr viel, und Umerow steht in guten Beziehungen zu beiden.“ Der dritte Faktor sei, dass Umerow bisher in keine Skandale verwickelt war. Insgesamt sei er also eine ziemlich gute Wahl.

Krimtatar Umerow mit klarer Linie zur Zukunft der Krim

Umerow ist stellvertretender Vorsitzender der Krim-Plattform – eines jährlichen Forums, das sich der Wiedereingliederung der Halbinsel in die Ukraine widmet. Nach einem Treffen mit Selenskyj im Herbst sagte er, beide teilten die Position, kein ukrainisches Territorium an Russland abzutreten. Die Donbass-Region in der Ostukraine und die Krim seien „unsere roten Linien“, erklärte Umerow. „Wir werden weder unser Volk noch unser Land aufgeben.“ Die Ernennung zum Verteidigungsminister könne nun auch den symbolischen Charakter haben, so Expertin Shelest, dass man bei der Krim auch weiterhin keine Zugeständnisse macht. Sie verweist darauf, dass Selenskyj vor einigen Monaten erst sagte: Alles habe auf der Krim begonnen, und alles ende auch auf der Krim.

Zu viel Bedeutung sollte man auf die krimtatarische Herkunft des neuen Verteidigungsministers nicht legen, meint Shelest. „Aber viele Experten scherzen jetzt hier: Mal sehen, wie jemand in Washington oder in Berlin zu einem Krimtataren sagt, dessen Familie vor 70 Jahren von der Krim deportiert wurde: ,Nein, Sie haben kein Recht auf die Krim, und kehren Sie bitte nicht dorthin zurück.‘ Das wird politisch sehr interessant werden.“

Umwerows wird vor allem diplomatische Aufgaben übernehmen

Umerow wurde 1982 in Usbekistan geboren. 1944 hatte Sowjetdiktator Stalin die Krimtataren nach Zentralasien deportiert, darunter auch Umerows Familie. Erst nach mehr als 40 Jahren kehrte sie auf die Krim zurück. Umerow war damals ein Kind. Anders als sein Vorgänger Resnikow diente der Finanzexperte aber nie beim Militär. Allerdings ist der Verteidigungsminister in der Ukraine nicht in die aktive Kriegsführung eingebunden. Er kann zwar Einfluss auf die militärische Strategie nehmen, erfüllt aber vorwiegend administrative und diplomatische Aufgaben. Er wirbt beispielsweise bei den internationalen Partnern um Waffen.

Expertin Shelest sagt: „Der Krieg ist das Geschäft von General Walerij Saluschnyj – Umerows Geschäft ist es, die richtigen Verträge abzuschließen, Lebensmittel und Munition zu bekommen und die Logistik zu organisieren.“ Aber er sollte liefern, so Shelest, was Saluschnyj braucht.

2019 trat Umerow in die Holos-Partei ein und war Sekretär im Ausschuss für Menschenrechte, Befreiung und Wiedereingliederung vorübergehend besetzter Gebiete. Im August 2021 überreichte Selenskyj ihm einen Orden für seine Verdienste um das Vaterland.

Jetzt stehen dem neuen ukrainischen Verteidigungsminister große Aufgaben bevor: Er muss die Versorgung mit allem Notwendigen für den Winter organisieren und den Korruptionsskandal seines Vorgängers aufklären. „Die Menschen in der Ukraine erwarten Antworten“, sagt Shelest. Und dann stehe schon bald sein erstes Ramstein-Treffen an. Ob er dort erfolgreicher neue Waffenlieferungen aushandeln kann als sein Vorgänger?

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