Geschockte Menschen, verstörte Tiere, Seuchen„Hier wird alles sterben“ – Wasser steigt nach Staudamm-Zerstörung weiter

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Das Wasser in dem Gebiet rund um den Kachowka-Staudamm ist am Mittwoch um fünf Meter gestiegen. Menschen und Tiere leiden. 

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine sind insgesamt mehr als 3000 Menschen evakuiert worden. Angaben der ukrainischen Rettungsdienste zufolge wurden auf der von der Ukraine gehaltenen Seite des Flusses Dnipro „mehr als 1750 Menschen“ evakuiert. 1600 Rettungskräfte und Polizisten wurden demnach mobilisiert. 29 Orte seien überflutet worden, davon zehn unter russischer Kontrolle, erklärte das Ministerium.

Die von Moskau eingesetzten Besatzungsbehörden meldeten die Evakuierung von 1274 Menschen auf der anderen Seite des Flusses. Von den ukrainischen Rettungsdiensten hieß es, es gebe bislang keine Informationen über Tote oder Verletzte.

Zerstörung des Kachowka-Staudamms: Wasserspiegel in Cherson um fünf Meter gestiegen

In der Millionenstadt Cherson war die Lage besonders dramatisch. Rettungsteams holten Menschen in Schlauchbooten aus ihren überfluteten Häusern. „Wir haben keinen Strom, kein Gas, kein Wasser“, sagte die 52-jährige Iryna weinend gegenüber der Nachrichtenagentur afp.  „Unsere Gemüsegärten sind überschwemmt.“ Die Bewohnerin von Cherson soll wie 17.000 andere Menschen ihre Heimat verlassen. „Hier wird alles sterben“, erklärte ein anderer Bewohner namens Serhij.

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In  Cherson ist der Wasserpegel seit der Zerstörung des Staudamms um fünf Meter gestiegen. Nach Angaben ukrainischer Beamter müssen tausende weitere Menschen ihre Häuser verlassen. Zahlreiche täten dies bereits.

Ein von Moskau eingesetzter Besatzungsbeamter in Holaja Pristan im Süden der Ukraine sagte, bis zu 1500 Menschen würden am Mittwoch aus der Stadt evakuiert. Mehr als 200 Menschen seien bereits „herausgebracht“ worden.

Auch Haus- und Wildtiere sind von der Flut in der Region betroffen. Bereits am Dienstag kursierten in den sozialen Netzwerken Fotos und Videos von Tieren in misslicher Lage.

Cherson nach der Katastrophe: Menschen und Tiere leiden unter meterhoher Flut

So rettete die ukrainische Polizei einen im Wasser gefangenen Hund, der sich in Geäst verfangen hatte. Andere Bilder zeigten verängstigtes Damwild, das sich auf eine Betonfläche zurückgezogen hat, um sich vor den Wassermassen zu schützen.

Durch die Flut sind zudem Wildtiere ins Stadtgebiet von Cherson geschwemmt worden. Aufnahmen zeigten einen großen Biber, der durch die Straßen der Stadt irrte.

Andere Videos sollen unzählige verendete Fische an Ufern des Stausees oberhalb der nun zerstörten Staumauer zeigen. Auch ein Zoo auf der von Russland besetzten Seite des Dnipro soll überflutet worden sein, Berichten zufolge sind alle Tiere dabei ertrunken. 

Das ukrainische Gesundheitsministerium teilte in einem Facebook-Post am Mittwoch mit, dass es in den nächsten Tagen zu einem Massen-Fischsterben kommen werde, wenn der Wasserstand in den kommenden drei bis fünf Tagen wieder sinkt. Deshalb sei der Verzehr von Fischen kategorisch verboten worden, um das Risiko von Botulismus (eine lebensbedrohliche Nervenvergiftung) zu verringern.

Generell sollen die Anwohnenden in Cherson beim Verzehr von Wasser vorsichtig sein. Das Ministerium warnt vor der Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen – durch das Hochwasser könnten Chemikalien und Krankheitserreger in die Brunnen der südlichen Regionen gelangen. In der Region sollten zur Behandlung von Darminfekten die Antibiotika-Vorräte aufgestockt werden. Experten analysieren vor Ort derzeit Wasserproben.

Laut der Hilfsorganisation „CARE“ seien bereits etwa 150 Tonnen Öl in den Fluss Dnipro gelangt – es bestehe die Gefahr, dass weitere 300 Tonnen austreten könnten. Das würde dazu führen, dass das 80.000 Hektar große Naturschutzgebiet Nyzhniodniprovskyi zerstört wird.

Minengefahr in Cherson

Zudem hat das Hochwasser laut ukrainischen Behörden Minen vom Ufer des Dnipro weggeschwemmt. Das führe zu erhöhter Lebensgefahr für die Zivilbevölkerung, sagte der stellvertretende Leiter der Regionalverwaltung von Cherson, Jurij Sobolewskyj, der staatlichen Nachrichtenagentur Ukrinform am Mittwoch.

Andere Regionen der Ukraine hätten bereits Sprengstoffexperten in die Gegend entsandt, um bei der Beseitigung der Minengefahr zu helfen. Das bestätigte auch die Hilfsorganisation „CARE“.

Cherson: Tierschutzorganisation PETA will bei Rettung von Menschen und Tieren helfen

Die Tierschutzorganisation PETA kündigte am Mittwoch an, die lokale Partnerorganisation „Animal Rescue Kharkiv“ in der Ukraine mit Booten, Medizin, Nahrung und anderen lebensnotwendigen Gütern unterstützen zu wollen, um Menschen und Tiere aus den überschwemmten Gebieten zu retten. Auch Organisationen des Bündnisses „Aktion Deutschland Hilft“ unterstützen die Menschen vor Ort.

Der in russisch besetztem Gebiet liegende Kachowka-Staudamm am Dnipro in der Ukraine war bei einer Explosion in der Nacht zum Dienstag teilweise zerstört worden, große Mengen Wasser traten aus. Die Ukraine und Russland machen einander für die Explosion verantwortlich.

Westliche Regierungen gehen unterdessen bisher davon aus, dass Russland für die Sprengung verantwortlich ist. Experten halten die Angaben aus Moskau für Propaganda. (das/rxa/dpa/afp)

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