Politologe Jackson Jane im Interview„Das Spiel ist noch nicht zu Ende“

Donald Trump – ist er für vier weitere Jahre gewählt?
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- Jackson Janes, geboren 1947, ist Politologe und Soziologe.
- Er war Präsident des „American Institute for Contemporary German Studies“ (AICGS) an der Johns Hopkins Universität in Washington D.C. und ist Senior Fellow des „German Marshall Fund“
Herr Janes, mit welchem Gefühl gehen Sie in diesen Tag?
Auch wenn es in den frühen Morgenstunden nach einem Sieg für Donald Trump aussah: Es gibt noch eine Galgenfrist. Das Spiel ist noch nicht zu Ende.
Warum?
Die Ergebnisse einiger weniger Bundesstaaten für den Gesamtausgang der Wahl sind von entscheidender Bedeutung. Diese haben das Recht, sich noch einige Tage Zeit für die Auszählung der Stimmen zu nehmen. Natürlich wird man irgendwann zu Potte kommen müssen. Aber ein belastbares Endergebnis liegt damit zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vor. In manchen wichtigen Bundesstaaten sieht es nach einer ausgemachten Sache aus. Florida zum Beispiel ist wieder an Trump gegangen. Daran herumzudeuteln, hat wohl wenig Sinn. Trotzdem müsste man Vorbehalte haben, wenn schon am Mittwochmorgen ein Gewinner der Präsidentschaftswahl ausgerufen werden würde.
Es hatte im Vorfeld der Wahl geheißen, Trump würde sich in aller Eile selbst zum Sieger erklären und damit die Schlacht um die Deutungshoheit eröffnen, noch bevor in allen Bundesstaaten die Wahlzettel ausgezählt sind.
Während wir hier sprechen, hat er das noch nicht getan. Ich wüsste auch nicht, warum er das tun sollte. Er hat es jedenfalls nicht nötig. Ein Vorpreschen hätte ja vor allem in dem Moment Sinn gehabt, in dem sein Sieg zweifelhaft ist und das Zünglein an der Waage sich auf Joe Bidens neigt. Nach dem Stand der Auszählungen kann Trump aber auf einen Vorsprung hoffen. Also wäre es das Cleverste, die Dinge abzuwarten und zuzuschauen, wie der Sieg auf ihn zuläuft. Er kann sich die Krone zwar noch nicht aufsetzen, aber sie liegt auf dem samtenen Kissen vor ihm. Und schon im Lauf des Tages könnte er dann danach greifen.
Und bis dahin?
Wahrscheinlich wird in den nächsten Stunden heftig darum gekämpft werden, wie weit man es mit der Auszählung noch treiben kann. Trump wird die Armada seiner Anwälte in Marsch setzen, um in jenen Bundesstaaten Druck zu machen, die eine Verlängerung der Auszählung grundsätzlich erlauben. Aber mit dem Vorsprung, wie er sich im Lauf des Wahlabends dargestellt hat, braucht er es – den Sieg vor Augen – auch da nicht bis zum Äußersten zu treiben. Zumindest nicht bei rationaler Betrachtung. Aber natürlich könnte er Krawall schlagen und sagen, „wenn der Wahlausgang doch klar ist, warum ihn noch mit taktischen Spielchen hinauszögern?“ Mit Anfechtungen des Auszählungsvorgangs ist also durchaus zu rechnen.
Es scheint sich jetzt zu wiederholen, was wir schon 2016 erleben: Damals gingen wir in Deutschland mit einer Präsidentin Hillary Clinton zu Bett und wachten mit Donald Trump auf. Diesmal schliefen wir mit Biden ein und hatten morgens wieder Trump. Wie erklären Sie sich diese Kluft zwischen Prognosen und Ergebnissen?
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Wenn ich das sagen könnte! (seufzt) Also, mein Gefühl ist, dass die Spaltung des Landes zu tief, der Riss durch die Gesellschaft zu breit ist und die Brücken von der einen auf die andere Seite zu schwach und zu schmal sind. Die Wechselbewegungen, die den Sieg Bidens hätten bewirken können, sind nicht in dem erforderlichen Maße eingetreten. Abermillionen von US-Amerikanern glauben an Trump als denjenigen, der am ehesten ihre Interessen vertritt.
Was aus Sicht seiner Gegner so schwer zu verstehen ist…
Das stimmt. Ich habe vorhin einige Stimmen von Wählern gehört, die gerade aus dem Wahllokal kamen und den Reportern erzählt haben, aus welchem Grund sie Trump gewählt haben. Der Tenor war durch die Bank: Es war die Wirtschaft. Es ging nicht um Corona, es ging nicht um die Bedrohung durch die Pandemie. Biden hat im Wahlkampf stark auf die Coronakrise und Trumps katastrophales Management gesetzt, um die Leute von einer Wiederwahl des Präsidenten abzubringen. Das hat natürlich bei einem Teil der Wählerschaft gefruchtet. Aber nicht bei denen, die ohnehin treu und unverbrüchlich zu Trump stehen. Für diese Menschen geht es um eine Frage ihrer Identität: Wer repräsentiert mich? Wer verkörpert das Bild, das Image, das ich von mir selber habe. Das verbindet sich sehr mit einem Moment von Stärke – und den „starken Mann“, den gibt Trump nun mal auf eine unnachahmliche Weise.
Aber bis kurz vor der Wahl sah es so aus, als hätte eine Mehrheit doch genug davon.
Ja, aber gerade in den letzten Tagen vor der Wahl hat Trump noch einmal sehr massiv auf die Karte gesetzt, die ich gerade skizziert habe. In seinen Veranstaltungen waren eine Menge Leute, die dieses Moment der Stärke suchten und bejubelten. Nun, man muss wohl einsehen und zugestehen, dass es das ist, was dieses Land nach wie vor prägt. Das wird die nächsten vier Jahre umso schwieriger machen.
Sie stellen sich also innerlich doch schon auf „four more years“ – vier weitere Jahre – ein?
Meiner Meinung nach wird Biden nicht von sich aus sagen, „ich gebe mich geschlagen“. Aber wenn sich das Votum in einigen der Ausschlag gebenden Staaten – Michigan, Ohio, Wisconsin, Pennsylvania, North Carolina, dazu womöglich noch Arizona, Iowa, Virginia, Nevada, Oregon, Washington oder auch Hawaii – in der noch laufenden Auszählung oder der Nachauszählung nicht doch noch zu Bidens Gunsten dreht, dann ist Trump durch, in der Tat.
Und dann? Was erwarten Sie im Fall einer zweiten Amtszeit vom alten und neuen Präsidenten?
Es ist anzunehmen, dass er mit dem Rückenwind der Bestätigung „durch das amerikanische Volk“ mit voller Kraft in die Richtung marschieren wird, aus der er gekommen ist. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er sich eine neue Mannschaft zusammenstellen würde. Wenn man nur wüsste, was er dann vorhätte, etwa in der Außenpolitik! Manche Szenarien sind vorstellbar und sogar wahrscheinlich: ein noch aggressiverer Kurs gegen China und auch gegen die Europäer. Aber man kann es nicht genau sagen, weil Trumps Politik nie den normalen Gang geht.
Sondern?
Der Normalfall wäre Konsultation, wäre Beratung mit den Fachministerien – in der Außenpolitik natürlich insbesondere mit dem State Department. Der Normalfall wären nachvollziehbare Abläufe und abgestimmte Entscheidungen. Aber Trump tut so etwas nicht. Es war das größte Problem dieser Regierung, dass der Präsident alles an sich reißt und sagt, „ich weiß es besser“. Nehmen Sie einen Fall, der Sie in Deutschland unmittelbar betrifft: den Abzug von Teilen der US-Truppen. Das hat Trump durchgezogen, ohne mit der Bundesregierung zu reden. Das ist ganz typisch: Er setzt sich Dinge in den Kopf, von denen er glaubt, dass sie im amerikanischen Interesse sind, und dann zieht er sie durch.
Und das würde er jetzt noch verstärkt tun, ungehemmt und „völlig losgelöst“?
Davon gehe ich aus. Wieso sollte er sich mit 74 plötzlich anders benehmen? Dazu käme dann schon noch die offene Frage: Wer steht um Trump herum, um das zu exerzieren, was ihm in den Sinn kommt? Wir würden wahrscheinlich einige bekannte Gesichter wieder vorfinden, Außenminister Mike Pompeo zum Beispiel. Aber ich vermute, er würde noch mehr auf Leute setzen, die in striktester Loyalität zu ihm stehen – aus dem Gefühl heraus, „ich habe alles richtig gemacht, und die Wähler haben es mir bescheinigt“. Kein rosiger Ausblick, mit dem ich Sie in diesen Tag entlasse. Es tut mir leid.
Das Gespräch führte
Joachim Frank