VerfassungsschutzberichtEpidemie des Irrsinns bedroht die Demokratie

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Mitglieder der „Bruderschaft Deutschland“ im September 2018 bei einer Veranstaltung in Mönchengladbach – dort war zuvor ein Mitstreiter tot aufgefunden worden.

Mitglieder der „Bruderschaft Deutschland“ im September 2018 bei einer Veranstaltung in Mönchengladbach – dort war zuvor ein Mitstreiter tot aufgefunden worden.

Düsseldorf – Die Familien, die sich im Mai auf dem Burgplatz in Düsseldorf versammelten, wollten Ihrer Wut über die Schließung der Kitas wegen der Corona-Krise Luft machen. Unter die Eltern und ihre Kinder mischten sich auch Demonstranten, die die Initiatoren nicht erwartet hatten. Mitglieder der „Bruderschaft Deutschland“ unterstützten den Protest gegen die Pandemie-Auflagen. Die „BSD“ ist eine rechtsextreme Gruppierung, die für ihre Hetze gegen Migranten bekannt ist. „Wir erleben immer häufiger, dass sich Mischszenen aus Hooligans, Rockern, Rechtsextremisten, Wutbürgern, aber eben auch ganz normalen Bürgern bilden, die sich Sorgen machen“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul.

Der CDU-Politiker stellte am Dienstag in Düsseldorf den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2019 vor. Danach ist Zahl der Rechtsextremisten in NRW um 25 Prozent auf den höchsten Stand seit zehn Jahren gestiegen. Eine Ursache dafür sei in der Meinungsmache in den sozialen Netzwerken zu finden. Das Internet sei die „Radikalisierungsmaschine des 21. Jahrhunderts“, sagte Reul.

Verschwörungsideologien seien mitverantwortlich dafür, dass extremistische Ansichten über das Internet „in die Mitte der Gesellschaft sickern“ würden. Die Bildung von Mischszenen habe sich durch die Corona-Krise verstärkt. Reul nannte Beispiele von Verschwörungstheorien, die seiner Meinung nach eher einen Fall für den „Nervenarzt als für den Verfassungsschutz“ darstellen. „Es gibt Menschen, die glauben, der Feminismus sei eine Erfindung zu dem Zweck, dass weiße Frauen weniger Kinder bekommen und somit die weiße Bevölkerung ausgetauscht wird“, erklärte der NRW-Innenminister. Andere glaubten an eine Macht-Elite, die angeblich seit Jahrzehnten Experimente an Kindern durchführe, um aus ihnen ein Lebenselixier zu gewinnen, das wieder jung machen könne.

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Die vermeintliche „Wahrheit“ erkannt

„Dann sollen auch Zuwanderung und Asylrecht Bestandteile eines großen Plans sein, nach dem die weiße Bevölkerung entmachtet und ausgetauscht werden soll“, sagte Reul – die massive Verbreitung „dieses Irrsinns“ werde unterschätzt. Verblendete Einzeltäter gäben häufig an, einer „höheren Sache“ dienen zu wollen. Sie hätten eine vermeintliche „Wahrheit“ erkannt und sähen sich als aufrechte Kämpfer gegen eine internationale Verschwörung.

Reul wies auf den Attentäter von Hanau hin, der am 19. Februar 2020 zehn Menschen tötete und behauptet, er sei als Kind angeblich Opfer einer Chip-Einpflanzung geworden.

Mit dem Begriff „Verschwörungstheorien“ sei man dem „kollektiven Wahn“ bereits teilweise auf den Leim gegangen. Es handele sich schließlich nicht um Theorien, aufgrund von wissenschaftlichen Beweisen ihre Anhänger finden würden, sondern um einen „Verschwörungsglauben“. Die „epidemische Verbreitung“ des Unsinns sei eine massive Gefahr für die Demokratie.

„Jemand, der glaubt, dass die Corona-Pandemie eine große Lüge sei, um Bürgerrechte einzuschränken, und dies im Kollektiv von den Medien mitgetragen werde, wird sich kaum mehr durch Bürgerengagement und Teilnahme an Wahlen in den demokratischen Prozess einbringen“, betonte Reul.

Die Bedrohung von rechts sei nach wie vor die größte Gefahr für sich Sicherheit in NRW. Parteien wie „Die Rechte“, die NPD, „Der Dritte Weg“, aber auch lose organisierte Gruppen, die Propaganda und Hetze betreiben, seien „im Grunde Mittäter“ von schweren Straftaten. Eine besondere Rolle spielten die „Identitäre Bewegung“ und der rechtsextremistische „Flügel“ der AfD, die die Theorie vom Bevölkerungsaustausch propagiere. Der Täter, der vor einem Jahr den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschoss, hatte dem CDU-Politiker vorgeworfen, er wolle Deutsche durch Migranten ersetzen.

Rechtsextreme mit intellektuellem Anstrich

Marc Lürbke, Innenexperte der FDP im Landtag, erklärte, Rechtsextreme tarnten ihre menschenverachtende Ideologie besser als früher. „Sie versuchen, sich einen intellektuellen Anstrich zu geben, der weniger nach Springerstiefeln aussieht und besorgte Bürger anspricht“, so der Liberale. Vor Extremismus schützten keine Aluhüte, sondern nur gut ausgestattete Sicherheitsbehörden .

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