Fragen und AntwortenWas Marder für die Ukraine bedeuten – und was aus der Lieferung folgt

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Ein Schützenpanzer der Bundeswehr vom Typ Marder bei einer Übung in Munster

Ein Schützenpanzer der Bundeswehr vom Typ Marder bei einer Übung in Munster

Nun also doch: Deutschland liefert der Ukraine rund 40 Schützenpanzer des Typs Marder. Doch was bedeutet das? 

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und US-Präsident Joe Biden haben am Donnerstagabend in einer gemeinsamen Erklärung bekannt gegeben, dass sie Schützenpanzer der Marken Bradley und Marder in die von Russland angegriffene Ukraine liefern werden. Außerdem wird Deutschland eine Batterie des Luftabwehrsystems Patriot an die Ukraine abgeben. Wie kam es dazu? Und was folgt daraus? Wir liefern Antworten.

Was ging der Ankündigung voraus?

Die Ukraine fordert praktisch seit Beginn des Krieges schwere Waffen, insbesondere Panzer. Sie wusste dabei die Grünen und Teile der FDP hinter sich. Tatsächlich ist Deutschland diesen Forderungen nach anfänglichem Zögern teilweise nachgekommen. So hat die Ukraine Gepard-Flugabwehrpanzer bekommen, die Panzerhaubitze 2000 sowie das Luftabwehrsystem Iris-T. Schützen- und insbesondere Kampfpanzer, so sagte der Kanzler immer wieder, werde man aber „nicht im Alleingang“ schicken, sondern nur abgestimmt mit den Verbündeten.

Nachdem sich auf diesem Feld lange nichts bewegte, ging es in den vergangenen Tagen plötzlich sehr schnell. Am Mittwoch hieß es, Frankreich werde der Ukraine „leichte Kampfpanzer“ liefern. Das habe Präsident Emmanuel Macron seinem ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj mitgeteilt. Dabei muss man wissen, dass Macron in der Vergangenheit in die Kritik geraten war, weil er angeblich zu viel Rücksicht auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin nehme. Bald folgten Meldungen, die US-Regierung ziehe die Lieferung von Bradley-Schützenpanzern in Erwägung. Das brachte Scholz unter Zugzwang.

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Wie ist die offizielle deutsche Darstellung dazu?

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Freitag, das Vorgehen der drei Staaten sei eng miteinander koordiniert. Und das, was nun von deutscher Seite geschehe, stehe im Einklang mit dem, was das Kanzleramt von Anfang an gesagt habe. Die wesentlichen Kriterien der Ukraine-Politik seit Kriegsbeginn seien nämlich, dass Deutschland das Land unterstütze, aber nicht zur Kriegspartei werden wolle und sich über alles Wesentliche im Bündnis abstimme.

Der Schützenpanzer Marder wurde vor mehr als 50 Jahren für die Bundeswehr entwickelt.

Der Schützenpanzer Marder wurde vor mehr als 50 Jahren für die Bundeswehr entwickelt.

Allerdings, so Hebestreit weiter, sei die Kriegssituation hoch dynamisch. Und mit dem nahenden Frühling sei mit wieder zunehmenden Kämpfen zu rechnen. Bei den Patriots wiederum sei es so, dass die USA anlässlich des jüngsten Selenskyj-Besuchs in Washington eine Batterie in Aussicht gestellt hätten. Das ändere die Lage. Die Vorbereitungen für die Intensivierung der Waffenlieferungen seien jedenfalls schon länger im Gange, unterstrich der Regierungssprecher. So etwas mache man ja „nicht aus der hohlen Hand“.

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Hellmich, versuchte schon am Donnerstagabend, den Eindruck einer deutschen Isolation zu zerstreuen. „Im Laufe der vergangenen Wochen ist unter den Bündnispartnern natürlich unter Einschluss des Bundeskanzlers intensiv über die weitere Unterstützung der Ukraine gesprochen worden, auch über die Lieferung von Panzern“, sagte er da. Deshalb kämen „die Ankündigungen aus Paris und Washington nicht überraschend“.

Wie ist es wirklich?

In Wahrheit ist es so, dass das Verhältnis von Scholz und Macron äußerst angespannt ist. Der Franzose hatte den Deutschen bei einem EU-Gipfel im Herbst offen kritisiert. Die deutsch-französischen Regierungskonsultationen platzten. Als Scholz später nach Paris reiste, tat Macron ihm nicht den Gefallen einer gemeinsamen Pressekonferenz. Mit anderen Worten: Der Kanzler und der Präsident können nicht miteinander. Die einseitige Ankündigung von Panzerlieferungen durch Macron ist ein weiteres Indiz dafür und brachte Scholz absichtsvoll in die Bredouille.

Darauf deutet auch die Kommunikation der Bundesregierung am Freitag hin. Zwar sagte der Regierungssprecher, man werde etwa 40 Marder bis Ende März an die Ukraine abgeben, nachdem man ukrainische Soldaten in Deutschland an dem System ausgebildet habe. Gleiches gelte für die Patriot. Details dazu, ob die Marder von der Industrie oder aus der Bundeswehr stammen und wie es mit der Finanzierung läuft, musste er indes nachreichen.

Der Sprecher des Verteidigungsministeriums ergänzte, woher die Marder kämen, damit werde man sich noch beschäftigen. Die Lieferung der Patriot-Batterie sei im Übrigen „für uns ein Kraftakt und eine besondere Anstrengung“, unter anderem weil deutsche Patriots in der Slowakei stationiert sind und Polen ebenfalls welche bekommen soll. Aus der Bundeswehr verlautet ohnehin seit längerem, dass die Truppe eigentlich nichts mehr abgeben könne, weil sie das Material selbst brauche.

Was bedeuten die Lieferungen für die Gefechtslage in der Ukraine?

Nach dem russischen Überfall am 24. Februar vergangenen Jahres war im Westen erwartet worden, dass die Ukraine nicht lange würde standhalten können. Eine Fehleinschätzung: Am 20. Dezember – dem 300. Tag des Krieges – hatten ukrainische Streitkräfte Angaben des britischen Verteidigungsministeriums zufolge mehr als die Hälfte der Gebiete zurückerobert, die die russischen Truppen seit dem Überfall besetzt hatten. Russland kontrollierte zu dem Zeitpunkt noch 18 Prozent des international anerkannten Territoriums der Ukraine. Diese Fläche beinhaltet die 2014 völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim und die bereits vor dem Überfall besetzten Regionen im ostukrainischen Donbass. Die ukrainische Regierung argumentiert seit Monaten, dass sie mehr schwere Waffen aus dem Westen benötigt, um die russischen Truppen ganz zu verdrängen.

Was bringt der Schützenpanzer Marder der Ukraine?

Vor allem mehr Sicherheit für Soldaten. „Wenn sie bisher Infanteristen auf Pickups und in ungeschützten Fahrzeugen mobil gemacht haben, dann haben sie mit dem Marder einen viel besseren Schutz, das hat eine ganz andere Qualität“, sagt der frühere Inspekteur des Heeres, Generalleutnant a.D. Bruno Kasdorf, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) über die ukrainische Armee. Da der Marder ein Kettenfahrzeug ist, sei er „sehr gut einsetzbar in schwerem Gelände“. Seine Bewaffnung ermögliche es Soldaten, aus dem Panzer heraus zu kämpfen. Die Infanterie werde wirksamer und beweglicher. Der Marder bringe „eine deutliche Kampfwertsteigerung“, sagt Kasdorf. „Es kommt aber darauf an, dass sie genügend Fahrzeuge haben. Und der Marder entwickelt seine volle Kapazität nur gemeinsam mit Kampfpanzern. Die ergänzen sich ideal auf dem Gefechtsfeld.“

Was ist der Unterschied zwischen dem Marder und dem Kampfpanzer Leopard 2?

Die beiden Panzer sind für unterschiedliche Zwecke konzipiert. Mit dem Schützenpanzer Marder bekämpfen Panzergrenadiere vor allem feindliche Infanterie. Der Leopard 2 mit seiner 120-Millimeter-Kanone kann dagegen andere Panzer bekämpfen – dafür ist der Marder mit seiner 20-Millimeter-Bordmaschinenkanone nicht gedacht. Der Leopard 2 kann außerdem weiter schießen. „Er ist viel effektiver gegen gepanzerte Ziele“, sagt Kasdorf. „Der Leopard 2 ist die ideale Duellwaffe, um andere Panzer zu bekämpfen.“ Kasdorf spricht sich daher auch für eine Lieferung der Leopard 2 an die Ukraine aus. „Rein militärisch würde eine Lieferung sehr viel Sinn machen. Es wäre ein deutlich größerer Qualitätszuwachs, wenn der Marder gemeinsam mit dem Leopard 2 eingesetzt würde.“

Was bringen die Patriots?

Das Luftabwehrsystem hat eine Reichweite von etwa 68 Kilometern und kann fünf Geschosse gleichzeitig bekämpfen, also etwa Drohnen oder Marschflugkörper. Die Patriots können damit einen weiteren Beitrag dazu leisten, die russische Luftüberlegenheit einzudämmen und auch die von Russland angegriffene Infrastruktur der Ukraine besser zu schützen.

Was fordert die Ukraine über das nun zugesagte Kriegsgerät hinaus?

Der stellvertretende Außenminister und frühere Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, machte deutlich, dass die „Panzerwende“ aus Sicht der Ukraine nur ein Anfang sein könne. Die Lieferung schwerer Waffen durch westliche Verbündete müsse nun „ohne jegliche rote Linien“ erfolgen, sagte er dem RND.

„Es geht um all die sofort lieferbaren schweren Waffen wie Kampfpanzer, Kampfflugzeuge, Kampfdrohnen, Kriegsschiffe, U-Boote, ballistische Raketen. Diesen Schritt müsste man schon morgen auf den Weg bringen.“ Um Kremlchef Putin zur „Kapitulation“ zu drängen, benötige die Ukraine Militärhilfen besonders der USA und Deutschlands in einer Größenordnung, die vergleichbar wäre mit jener der US-Waffenlieferungen an die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Melnyk betonte: „Die Ukrainer erwarten diese mutige Entscheidung unserer westlichen Alliierten, um den imperialistischen Größenwahn Russlands zu stoppen und eine nachhaltige Friedensordnung in Europa zu sichern.“

Wie geht es weiter?

Experten wie der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München erwarten, dass auch die Lieferung von Mardern und Patriots noch nicht das letzte Wort sind. „Dieses ganze Gerede von „Putin eskaliert, wenn wir bestimmte Waffensysteme liefern„, ist jetzt endgültig vom Tisch“, sagte er dem RND. „Das öffnet auch die Tür für andere Waffenlieferungen. In zwei Monaten reden wir möglicherweise über Kampfflugzeuge und Kampfpanzer.“

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