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Interview

Jan van Aken
„Wir machen guten Populismus, keinen der nach unten tritt“

6 min
"Ich übertreibe leider nicht": Linkenchef Jan van Aken glaubt, dass eine Wehrpflicht der nächste Schritt sein wird.

„Ich übertreibe leider nicht“: Linkenchef Jan van Aken glaubt, dass eine Wehrpflicht der nächste Schritt sein wird.

Am 1. Januar tritt der zunächst freiwillige Wehrdienst in Kraft. Linken-Vorsitzender Jan van Aken ist überzeugt, dass es dabei nicht bleibt. 

Linken-Chef Jan van Aken musste zuletzt teils herbe Kritik einstecken – auch vom RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Dabei ging es vor allem um seine Angriffe auf den neuen Wehrdienst. Dennoch wirkt der 64-Jährige beim Interview im Karl-Liebknecht-Haus sehr gelassen.

Herr van Aken, Sie haben sich kürzlich mit einer Lostrommel gezeigt und damit CDU-Abgeordnete für den Schützengraben ausgelost. War das nicht arg populistisch?

Das ist Populismus, ja. Aber es ist ein guter Populismus, keiner der nach unten tritt, sondern der sich mit denen da oben anlegt. Er sagt mit klaren, einfachen und schnellen Worten oder Bildern das Richtige, ohne zu lügen oder zu verfälschen.

Aus unserer Sicht haben Sie doppelt verfälscht: Weil Sie den Eindruck erweckt haben, das Losverfahren sei beschlossene Sache. Dabei ist es bis zur Bundestagswahl sehr unwahrscheinlich, dass es dazu kommt. Und weil Sie so taten, als müssten 18-Jährige im Kriegsfall gleich in den Schützengraben.

Das Losverfahren ist beschlossene Sache! Die gesetzliche Grundlage dafür wurde jetzt geschaffen. Und ja: Ausgebildete Soldaten müssen im Kriegsfall kämpfen. Das ist die unangenehme Wahrheit. Ich habe zum Beispiel in Afghanistan einen Soldaten getroffen, der meiner Generation entstammt. Er ist in den 1980er Jahren zur Bundeswehr gegangen und sagte: „Ich hätte nie gedacht, dass ich in den Krieg muss. Und jetzt bin ich hier in Afghanistan, weil meine Alternative Hartz IV ist. Dabei will ich das gar nicht.“ Daran sehen Sie, wie sich Dinge verändern können. Zunächst ist nur die Musterung verpflichtend. Später kommt die Wehrpflicht mit Losverfahren. Und dann heißt es plötzlich: An die Front!

Sie glauben, das ist eine Rutschbahn, und deshalb dürfen Sie heute schon übertreiben?

Ich übertreibe ja leider nicht. Im Grundgesetz steht zwar das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Aber nicht jeder kann es jederzeit in Anspruch nehmen, nicht wenige Anträge auf Kriegsdienstverweigerung werden auch heute noch regelmäßig abgelehnt. So habe ich das früher auch selbst erlebt. Deshalb bin ich jetzt auch emotional sehr berührt.

Trotzdem bliebe immer noch die Tatsache, dass wir so eine Art Vorkriegssituation haben in Form einer Bedrohung durch Russland, das Drohnen fliegen, spionieren und sabotieren lässt. Zugleich lassen die USA die Europäer teilweise im Regen stehen und kooperieren über die Köpfe der EU und der Ukraine hinweg mit Russland. Braucht es da nicht eine Ertüchtigung der Bundeswehr, um in diesem neo-imperialen Spiel der großen Mächte nicht unterzugehen?

Ich verstehe völlig, dass ganz viele Menschen Angst haben. Deutschland und die anderen europäischen Staaten müssen sich verteidigen können. Aber von einer Vorkriegssituation würde ich derzeit nicht sprechen. Und die Formulierung, wir dürften im neo-imperialen Spiel der großen Mächte nicht untergehen, finde ich gefährlich. Ich möchte keine EU, die wie Russland oder die USA Weltpolizei spielen und andere Länder überfallen kann. Im Übrigen hat die Europäische Union 1,5 Millionen Soldaten, und Russland ist denen mit 1,3 Millionen Soldaten unterlegen. Mir hat noch niemand erklären können, warum diese 1,5 Millionen gegen die 1,3 Millionen nicht ausreichen.

Die Bundeswehr hat derzeit rund 184.000 Soldaten. Nur: Kämpfen könnte davon Experten zufolge maximal die Hälfte.

Das ist in jeder Armee so, auch in der russischen. Außerdem geht es nicht nur um Truppenstärke, sondern auch um Technik und Logistik. Abgesehen davon möchte ich ja, dass nicht Deutschland allein, sondern die EU zusammen verteidigungsfähig ist.

Aber wir sehen doch allein im Verhältnis zu den USA, dass Europa ohne eine relevante militärische Stärke politisch abhängig, also machtlos ist.

Das ist eine Erzählung, die nicht stimmt. Zum einen ist niemand politisch machtlos, nur weil er keine militärische Stärke hat. Japan hat Jahrzehnte keine Waffen exportiert und keine Auslandseinsätze gemacht, aber die waren ganz sicher nicht politisch machtlos. Nein, politische Macht kommt nicht aus militärischer Stärke, dieses Denken führt in die Katastrophe. Zum anderen ist es auch nicht so, dass wir militärisch blank dastehen. Die Europäer geben für das Militär mehr Geld aus als Russland, und sie haben mehr Soldaten. Wenn das nicht reicht, wird das Geld falsch ausgegeben – etwa für internationale Kampfeinsätze. Das ist auch der Unterschied zwischen uns auf der einen sowie CDU, SPD und Grünen auf der anderen Seite: Wir wollen ein starkes und selbst bestimmtes Europa, aber sie wollen eine Weltmacht Europa, die zugleich eine militärische Weltmacht ist.

Das heißt, die Bedrohung durch Russland ist gar nicht so groß, und wir können alle ruhig schlafen.

Nein, das habe ich nicht gesagt. Russland hat ein Nachbarland überfallen. Deswegen brauchen wir eine Verteidigung der EU. Da sind wir uns völlig einig. Die Frage ist: Wie kommen wir dahin? Indem wir jetzt noch ganz viele junge Leute zur Armee zwingen und noch viel mehr Geld in die Hand nehmen? Oder indem wir uns europäisch koordinieren? Und wenn es heißt, wir haben gerade mal genug Patriot-Raketen, um Berlin zu verteidigen, aber nicht München und Hamburg, dann scheint da der Fehler zu sein. Die Bundesregierung hat doch über Nacht hunderte Milliarden fürs Militär freigegeben. Gelder für Fregatten, die 365 Tage im Jahr keinen Heimathafen anlaufen müssen, empfinde ich als schwachsinnig investiert.

Uns wundert, dass Sie so wenig alarmiert wirken. Immerhin gibt sich die Linke ja stets als antifaschistische Partei. Und jetzt sind wir eingezwängt zwischen einem autoritären Russland und den immer autoritärer werdenden Vereinigten Staaten von Amerika, die beide mit der überwiegend rechtsextremistischen AfD kooperieren – und vom Antifaschismus der Linken ist nichts zu sehen.

Das weise ich wirklich von mir, meine erste Reise als Parteivorsitzender war in die Ukraine. Ich habe Kiew gesehen und die Gräber in Butscha. Ich sage seit fast vier Jahren, dass es sich in der Ukraine um den imperialistischen Angriff eines Autokraten handelt. Ich kritisiere auch Wladimir Putin und Donald Trump dafür, dass sie ihre Staaten zu Autokratien umgebaut haben oder im Begriff sind, das zu tun.

Im März wird in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt, im September dann in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Für die Linke sieht es so gut aus wie nie zuvor. Was ist ihr Ziel?

Wir wollen in alle Landtage einziehen, in Berlin wollen wir die CDU ablösen und die Bürgermeisterin stellen. Für die Linke wäre das insgesamt nochmal ein ganz neues Level, in mehreren westdeutschen Flächenländern, vor allem in den süddeutschen, im Landesparlament vertreten zu sein. Wenn das klappt, sehe ich uns 2028 sogar in Bayern im Landtag. Wir sind auf dem Weg, uns bundesweit zu etablieren. Mein Ziel ist, mindestens 15 Prozent bei der nächsten Bundestagswahl zu erreichen.

Wen wollen Sie im Südwesten ansprechen? Man hört, die Linke mobilisiert hauptsächlich in den Studierendenstädten wie Freiburg, Heidelberg und Tübingen und vergisst den Daimler-Arbeiter, der um seinen Job fürchtet.

Ich weiß nicht, woher der Eindruck kommt. Wir wollen gerade nicht nur die jungen Städter organisieren, sondern vor allem auch für die Menschen, die wütend und verzweifelt sind, eine Alternative zur AfD sein. Und deswegen gehen wir nicht nur nach Heidelberg und Freiburg, sondern auch nach Mannheim und Pforzheim, und in Rheinland-Pfalz nach Kaiserslautern. Das sind die Gegenden, wo früher mal die SPD stark war und wo jetzt die AfD extrem stark ist. Da gehen wir massiv rein und sagen, wir wollen die Leute nicht der AfD überlassen. Dass die Leute verzweifelt sind, verstehen wir.

Heidi Reichinnek hat zur Wahl in Sachsen-Anhalt gesagt: „Ich persönlich bin zu sehr vielem bereit, bevor meine Heimat der AfD zum Fraß vorgeworfen wird“. Was bedeutet das für die Linke insgesamt?

Es kommt überhaupt nicht in Frage, die AfD an die Macht zu lassen. Dann haben sie Zugriff auf die Polizei und Justiz, das wäre fatal für Andersdenkende und Verteidiger der Demokratie. Wir sind uns alle einig, dass es noch zu verhindern ist. Ein Modell wäre eine konstruktive Opposition, wie wir sie in Thüringen und Sachsen praktizieren. Wenn die CDU keine parlamentarische Mehrheit zusammenbekommt, werden wir zwar nicht mit ihr in eine Koalition gehen. Wir machen nicht einmal eine formale Tolerierung. Aber unter der Bedingung, dass sie garantiert, keine Mehrheiten mit der AfD zu suchen, werden wir einzelne Dinge mit durchsetzen – wenn wir einzelne unserer Forderungen erfüllt sehen.

In Berlin wollen Sie mehr, nämlich die Abgeordnetenhauswahl gewinnen.

Wir wollen stärkste Partei in Berlin werden, nicht nur vor SPD und Grünen, sondern wir wollen auch die CDU ablösen. Wir werden Bürgermeisterin. Ich bin mir sicher: Unsere Spitzenkandidatin Elif Eralp wird die nächste linke Landesmutter und sie wird gewinnen, weil sie die Themen des Alltags der Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Und wen enteignet die Regierende Bürgermeisterin dann als Erstes?

Es gibt einen gültigen Volksentscheid, die Mehrheit der Berliner wollen große Immobilienkonzerne enteignen, und den gilt es umzusetzen.

Sie haben gerade gesagt, dass Sie im Bund 15 Prozent holen wollen. Wozu? Zum Regieren? Für Rot-Rot-Grün reicht auch das nicht.

Zurzeit nicht. Das kann sich ändern. Unsere Aufgabe ist es, Stimmen von denen zu holen, die Politik eigentlich für sich komplett abgeschrieben haben. Und dann schaun mer mal.