Gesamtschule mit innovativem Konzept„Hier haben wir Schüler das Sagen, und nicht die Lehrer“

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Die Schüler Til (13), Mia (14)  und Marvin (15) im „Grünen Kiosk“ der Gesamtschule Pulheim

Till (13), Mia (14) und Marvin (15) sind stolz auf die nachhaltigen Produkte, die im Rahmen der Projektarbeiten entstanden sind.

Von wegen, Schule ist weltfremd! In Pulheim sind Schüler für die Umwelt und die Gemeinschaft aktiv. 125 Projekte laufen derzeit. Ein Besuch.

Es herrscht viel Getümmel am „Grünen Kiosk“ auf dem Schulhof der Gesamtschule Pulheim. Stolz stehen der 15-jährige Marvin und der 13-jährige Till in der kleinen Holzhütte und präsentieren die schuleigenen Produkte, die es hier öffentlich zu kaufen gibt. Das sind etwa Saatgut-Tütchen, Insektenhotels, Kerzen oder Gürtel aus Autoreifen – alles nachhaltig und selbst hergestellt von der Schülerschaft. „Der eingelegte Mangold stammt aus unserem Schulgarten“, schwärmt Marvin. „Wir haben schon Lob bekommen, wie gut der schmeckt“, freut sich Till, „es ist ein tolles Gefühl, Sachen zu verkaufen, die wir selbst angebaut haben.“

Lernformat „Frei-Day“: Schüler wollen in der Welt etwas bewegen

Selbst etwas zu tun und zu verändern, das ist hier an der Schule Programm – und steht sogar fest auf dem Stundenplan. An drei Unterrichtsstunden in der Woche arbeiten alle Schülerinnen und Schüler an selbst gewählten, fächerübergreifenden Projekten im Bereich Nachhaltigkeit und Gemeinschaft. Das „Projekt Zukunft“ wird hier in Pulheim bereits seit drei Jahren erfolgreich umgesetzt – angelehnt an das alternative Lernformat „Frei-Day“, das auch bundesweit immer bekannter wird.

Die Idee dahinter: Junge Menschen entdecken ihre eigenen Fähigkeiten, suchen selbst Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit und gehen diese aktiv an. „Sie sollen spüren, dass sie Teil der Welt sind und viele Themen der Gegenwart auch etwas mit ihnen zu tun haben“, sagt Johanna Seigerschmidt, die didaktische Leiterin der Schule. „Sie sollen erfahren, dass sie etwas bewegen können.“ Dazu brauche es aber unbedingt den Bezug zur realen Welt. „So etwas kann nicht im herkömmlichen Fachunterricht vermittelt werden.“

In den wöchentlichen Projektstunden sind deshalb die Schüler am Ruder. Die Lehrenden sind hier Lernbegleiter, sie beraten und unterstützen bei Bedarf. Während es für die Fünftklässler erst einmal darum geht, eigene Stärken kennenzulernen, werden in der Sechsten bereits kleine Projekte innerhalb der Klasse verwirklicht. Teamarbeit und Inklusion sind dabei wichtige Bausteine. Im Jahrgang sieben sollen die Schüler dann soziale Verantwortung übernehmen. „Sie engagieren sich zum Beispiel im Seniorenheim oder an der Grundschule“, sagt Lehrerin Ingvilt Marcoe. Ab der Achten starten dann die größeren Projekte. Jetzt geht es um die Fragen: Was will ich verändern? Und wie setze ich das um?

Ingvilt Marcoe und Johanna Seigerschmidt von der Gesamtschule Pulheim

Lehrerin Ingvilt Marcoe (l.) und die didaktische Leiterin, Johanna Seigerschmidt, koordinieren zusammen die „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ und das „Projekt Zukunft“ an der Gesamtschule Pulheim.

Mini-Windrad, Avocadozucht, Klima-Konferenz

Wie vielfältig und kreativ die Antwort darauf aussehen kann, zeigt der Blick auf die Projekte, die derzeit parallel an der Schule laufen – insgesamt sind es 125. „Eine zehnte Klasse beschäftigt sich mit dem Bau eines Miniatur-Windrads zum Aufladen von Handys“, erzählt Marcoe, „eine andere züchtet Avocados und erstellt Tutorials zum Nachzüchten.“ Andere Schüler stellten plastikfreies Shampoo her oder arbeiteten an einem saisonalen Kalender. „Sie schöpfen aus alten Lehrplänen und Heften neues Papier und machen daraus Kalenderblätter, die mit passenden Naturmotiven bemalt werden.“ Den Kalender kann man später im „Grünen Kiosk“ kaufen.

Auch Kunst- und Theater-Projekte oder Spendenaktionen wurden bereits realisiert. „In der Oberstufe haben Schüler zuletzt sogar eine lokale Klima-Konferenz auf die Beine gestellt“, sagt Ingvilt Marcoe. Andere engagierten sich in den Projektstunden ehrenamtlich außerhalb der Schule. „Sie helfen im Jugendhaus ‚Zahnrad‘ aus oder unterstützen talentierte Künstler mit Beeinträchtigungen im ‚kaethe:k Kunsthaus'.“ Eine Klasse biete Bingo und Handyberatung im Seniorenheim an. „Die Kinder gehen mit Freude hin und übernehmen Verantwortung, weil sie wissen, dass sie gebraucht werden.“

Marvin (15) arbeitet im Schulgarten.

Im Schulgarten kann Marvin nicht nur richtig mit anpacken, sondern auch viele neue Dinge anstoßen.

Schüler setzen eigene Ideen um und übernehmen Verantwortung

Nicht immer sei der Weg zu einem Projekt leicht. „Gerade Jugendliche habe manchmal Mühe, Ideen und Motivation zu finden“, sagt Johanna Seigerschmidt. Durch Ausprobieren und Austausch entdeckten sie aber oft ganz neue Interessen. „Wenn sie dann ein Projekt gefunden haben, sind sie meist mit Herzblut bei der Sache“, berichtet sie, „es ist so ein schöner Moment, wenn sie anfangen zu strahlen und stolz sind auf das, was sie verändern konnten.“

Begeisterung ist im Gespräch mit den Schülern auf jeden Fall zu spüren. „Wir können hier eigene Ideen umsetzen und haben schon viele neue Pläne“, erzählt Marvin, der seit kurzem Vorstand des Schulgartens ist, „am Ende eines Schultags bin ich oft sehr zufrieden, weil ich ein gutes Stück geschafft habe.“ Sogar in den Ferien würden Schüler hier freiwillig den Gießdienst übernehmen. Man merkt, sie fühlen sich mit diesem Ort Schule weit über den Unterricht hinaus verbunden. „Genau darum geht es auch“, sagt Seigerschmidt, „die Kinder sollen spüren, dass auch die kleinen Dinge zählen und alles miteinander verbunden ist.“

Rad reparieren und Schulfirma leiten

Und auch neue praktische Fähigkeiten werden ihnen vermittelt, zum Beispiel in der Fahrradwerkstatt im Schulkeller. Die Projektteilnehmer lernen hier Grundlagen der Fahrradreparatur. „Wir möchten die Schülerschaft für Handwerk und Technik begeistern“, sagt Lehrer Christian Zimmermann, der an der Schule auch für Mobilität zuständig ist. „Das ist eine sehr gute Art zu lernen, weil man mit den eigenen Händen etwas tut und nicht nur etwas aufschreibt“, sagt der 15-jährige Maciej, „und es ist ein gutes Gefühl, wenn andere ihr Fahrrad abholen, das ich repariert habe.“

Schülerin Mia (14) und Lehrer Christian Zimmermann
in der Fahrradwerkstatt

Mia (14) und Lehrer Christian Zimmermann in der schuleigenen Fahrradwerkstatt

Auch die 14-jährige Mia hilft in der Fahrradwerkstatt mit. Vor allem aber ist sie Vorsitzende der kürzlich gegründeten Schülerfirma „GE-Productions“, durch die die Produkte vertrieben werden, die bei den schulischen Projektarbeiten entstehen. Der Erlös fließt unter anderem in den Förderverein der Schule. Für Mia ist der Posten eine besondere Aufgabe. „Es war anfangs schon Überwindung, ich muss ganz viel organisieren und managen“, erzählt sie, „aber es macht auch viel Spaß und ist super interessant – denn hier haben wir Schüler das Sagen, und nicht die Lehrer.“


Der „Grüne Kiosk“ und die Fahrradwerkstatt an der Gesamtschule Pulheim sind auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Alle sind willkommen. Der Kiosk hat mittwochs und donnerstags zwischen 13:15 Uhr und 14:15 Uhr geöffnet. Adresse: Kastanienallee 2, 50259 Köln


Die Schüler Til (13) und Marvin (15) am Eingang des Schulgartens

Gemeinschaftlich etwas bewegen, das macht Till (l.) und Marvin besonders viel Spaß.

Lernen fürs Leben nach der Schule

Echte Beteiligung und Mitwirkung, das ist genau das Ziel des „Projekt Zukunft“. Es soll den jungen Leuten helfen, mehr Vertrauen in eigene Fähigkeiten zu entwickeln und sie fit machen für das Leben nach der Schule. „Ich bin sehr stolz auf meine Arbeit im Schulgarten, mein Team vertraut mir“, sagt Marvin, „ich kann mir vorstellen, auch beruflich in Richtung Gartenbau zu gehen.“ Auch Mia kann von vielen positiven Erfahrungen berichten: „Ich habe festgestellt, dass man mir zuhört und ich trete jetzt selbstbewusster auf“, sagt sie, „in den Projekten habe ich auch festgestellt, was ich richtig gut kann.“

Dass alternative Lernformen fruchten, kann man in Pulheim wunderbar erleben. Zuletzt wurde die Schule dafür erneut mit dem Label „Schule der Zukunft“ ausgezeichnet. In der Region hat sie Vorbildcharakter. Denn noch ist diese Art des Lernens die Ausnahme in unserem Schulsystem. Das Interesse an Veränderung ist aber groß. „Viele wollen unseren Rat und sehen, wie wir arbeiten“, sagt Johanna Seigerschmidt, „wir können uns vor Hospitationsanfragen kaum retten.“

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