Weihnachten ist auch ein Ort. Die Frage ist nur: Wo liegt er? Über den richtigen Zeitpunkt, mit alten Traditionen zu brechen, um neue zu schaffen.
Die OptimistinDie jährliche Weihnachtsfrage: Wo ist eigentlich Bescherung?

Wohin kommt der Weihnachtsmann? Immer noch an den Ort Ihrer Kindheit? Oder haben Sie eine neue Tradition etabliert?
Copyright: Tom Steinicke
Weihnachten ist für mich immer noch: Ich wache auf, weil meine Mutter den kleinen Schranksekretär in meinem Zimmer aufklappt und direkt neben meinem Bett mit den Kaffeetassen klappert. Das Betreten des Wohnzimmers war für uns Kinder am Tag, an den sich der Heilige Abend anschloss, streng verboten. Es war abgeschlossen, schließlich sollte das Christkind nicht gestört werden. Manchmal hatten wir den Eindruck, dass wir die vorbereitete Bescherung inklusive grünem Weihnachtsbaumschimmer durch die milchige Glastür erahnten. Das Christkind haben wir dabei nie entdeckt.
Nun existierte in unserer Wohnung aber nur ein Esstisch – und der stand ja für uns unerreichbar im Wohnzimmer. Das Frühstücksproblem lösten meine Eltern auf der Schranktischklappe in meinem Zimmer. Wir waren vier, die Klappe höchstens zwei Schallplattenhüllen groß, aber wir mussten quasi alle im Bett sitzen und hatten eh wenig Hunger vor Aufregung und so war alles sehr gemütlich.
Mein Gehirn ist an der Zeit des Notfrühstücks hängengeblieben
Was den Ort des Weihnachtsfestes angeht, ist mein Gehirn an dieser Klappe hängengeblieben. Auch wenn die Zeit dieses Notfrühstücks viele Jahrzehnte zurück liegt und der Festplattenschrank, in dem mein Gehirn die Weihnachtsorte speichert, wirklich reichlich neue Erinnerungskostbarkeiten hinzufügen musste. Das eine Jahr im österreichischen Schnee, als wir bis zur Bescherung Schlitten fuhren und dann etwas geruchsbelästigt, aber sehr stimmungsvoll in einer Ferienwohnung neben dem Kuhstall das Gloria sangen. Ein paar gottlose Jahre in der Kneipe zwischendurch, in einem Abschnitt des jungen Erwachsenenlebens, als man es im Freundeskreis schick fand, keine Kerzen, sondern sich selbst die Lampen anzuzünden. Das erste Fest als eigene Familie mit süßem, wenn auch brüllendem Christkind auf dem Schoß. Die Jahre bei der Schwiegerfamilie, die zwischenzeitlich auf derlei monströse Größe anwuchs, dass über einen Anbau für solche Festivitäten nachgedacht wurde.
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Trotzdem ahne ich jedes Jahr, wenn das große Fest naht, dass ich diesen vielleicht letzten Schritt ins Erwachsenenleben bislang nicht gegangen bin: Selbst einen Weihnachtsort zu schaffen. Denn mein wahrer Weihnachtsort liegt ja immer noch im Haus mit der Schrankklappe. Ich weiß natürlich, dass ich langsam selbst mal in den Aufbruchsmodus kommen muss. Wer zu lange an Traditionen festhält, vergisst, dass sie ohne neuen Impuls irgendwann einfach aussterben. Und wo ist eigentlich der nostalgische Ort für meine Kinder, mittlerweile Enkel, wenn ich mich an Traditionen klammernd versäumte, diese Heimeligkeit neu für sie zu schaffen? Um ehrlich zu sein, habe ich sie bislang immer durch die Republik geschleift, um sie an den Traditionsorten ihrer Eltern unter den geschmückten Baum zu setzen.
Und dann gesellt sich bei derlei Nachlässigkeit in der originellen Schaffenskraft auch immer die Schwierigkeit der Logistik hinzu, die von Generation zu Generation an Komplexität zunimmt. Denn natürlich hat der Mann auch einen Weihnachtsort (wenn auch ohne Klappe, das will ich betonen). Aber auch der Schwager, die Schwägerin, die Freunde der Kinder, Expartner sowie Großeltern der Stiefkinder werfen ihre Traditionsorte mit in den Ring. Und dann steht man da jedes Jahr und zerrt an der Frage: Wo wird eigentlich gefeiert? Immerhin kann ich meine Neigung zur Rückwärtsgewandtheit musikalisch untermauern. „Driving home for Christmas“ von Chris Rea ist seit Jahrzehnten einer der meistgedudelten Songs vorm Fest.
Aber ich will die Vorweihnachtszeit nicht derart problembehaftet starten und diese Kolumne, die ja die Optimistin heißt, erst recht nicht so enden lassen. Und deshalb halte ich mich an die Sätze meiner Kinder, die sich zuletzt nach einer Diskussion zwischen uns Eltern mit liebevollem Pragmatismus zur Sache äußerten: „Wo, ist doch ganz egal. Hauptsache, wir feiern zusammen.“ Wahrscheinlich ist Weihnachten am Ende gar kein Ort.



