Flaschensammler und Multimillionär erzählenWie viel Geld ist eigentlich genug?

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Mareice Kaiser im schwarzen Rollkragen-Pillover vor einer Wand mit Zimmerpflanzen.

Mareice Kaiser hat selbst eine ambivalente Beziehung zu Geld. 

Geld ist nicht alles? Aber ziemlich viel, gerade jetzt, zu Zeiten von Inflation und Entlastungspaketen. Geld ist Macht, Status, Lebensgrundlage und bedeutet zugleich Freiheit und Sicherheit. Geld ist auch Grund für Scham, Neid und Angst. Wie viel Geld brauchen wir wirklich? Wie viel ist genug? Wie viel zu wenig und wie viel zu viel? Diese Fragen hat die Journalistin Mareice Kaiser ganz unterschiedlichen Menschen gestellt, vom Flaschensammler bis zum Multimillionär. Auch sie selbst spricht sehr ehrlich über ihre eigene ambivalente Beziehung zu Geld. 

Mareice Kaiser sagt über sich selbst, dass sie Geld hasst und es gleichzeitig haben will. Und weiß, dass es noch immer ein Tabu ist, über Geld zu sprechen, egal ob man viel oder wenig davon hat. Wie schwierig das wirklich ist, hat sie bei einer Lesung aus ihrem Buch „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ gemerkt, die unter der Überschrift „Tabu“ stand. „Ich hatte gar kein Problem damit, über Sex zu sprechen, aber das Kapitel Geld war mir total unangenehm und ich fing an zu schwitzen. Als Autorin weiß ich mittlerweile, dass es auch anderen meist so geht, wenn ich so ein Unwohlsein fühle. Dem wollte ich auf den Grund gehen und das Thema zugänglich machen“, erzählt sie.

Wie viel Geld ist viel? Und wie viel Geld ist wenig?

Geld geht jeden etwas an, egal ob man nun viel oder wenig davon hat. Aber wie viel Geld ist überhaupt viel oder wenig? Kaiser versucht das in ihrem Buch „Wie viel. Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht“ im Gespräch mit sehr unterschiedlichen Menschen herauszufinden, liefert aber auch einen theoretischen Teil zum Thema.

Zum Weiterlesen

Titel des Buchcovers

Mareice Kaiser: Wie viel. Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht. Rowohlt-Polaris, 208 Seiten, 17 Euro

Darin geht es um Geschichte und Funktion von Geld und darum, wer mehr davon haben sollte, wer weniger und wie es gerechter verteilt sein könnte. Sie regt dazu an, sich selbst im Gefüge der Klassen einzuordnen und stellt die Frage, ob es möglich ist, diese zu wechseln und aufzusteigen. Ihre Antwort: „Es ist nicht unmöglich, wird aber schwieriger. Und: Man kann von außen betrachtet ein Aufsteiger sein, sich innerlich aber nie so fühlen und immer unsicher bleiben.“

85-jähriger Flaschensammler föhnt abends das Bett in seiner Wohnung warm

Der spannendste Teil ist aber die Sammlung der Porträts. Sie besucht unter anderem den 85-jährigen Erwin, der in Berlin in einer Wohnung lebt, in der die Ofenheizung nicht funktioniert. Jeden Abend föhnt er sein Bett an, damit es nicht so kalt ist. Seine kleine Rente stockt er mit dem Sammeln von Pfandflaschen auf. Einen Tag ist sie in Frankfurt mit António auf dem Rad unterwegs und liefert Essen für Lieferando aus – meist in die Wohnung von reichen Menschen, die sie kaum beachten. Sie lernt Sara kennen, die die Wohnungen von anderen Familien in Ordnung hält, um ihrer eigenen Tochter kaufen zu können, was sie sich wünscht, zum Beispiel einen Gameboy. Für sie ist genug Geld da, wenn sie alle Rechnungen bezahlen kann und keine Schulden hat. Wer mehr Geld haben sollte? „Menschen, die jeden Tag aufstehen und arbeiten. Menschen, die fleißig sind.“

Multimillionär Sven kann nicht beantworten, ob viel oder wenig Geld glücklicher macht

Sie trifft auch ihren früheren Arbeitskollegen Sven wieder, der einst DJ war und es jetzt als Makler zum Multimillionär gebracht hat. Er kann sich kaufen, was immer er will, sagt aber: „Die Menschen wollen immer reich sein und wissen gar nicht: ‚Warum will ich das und was mache ich mit dem Geld?‘“ Er weiß, wie es ist, mit wenig und mit viel Geld zu leben, kann aber nicht klar beantworten, ob Geld glücklicher macht. Kaiser spricht auch mit Marlene, die Millionen erben wird und jetzt schon reich ist. Weil ihr dieser Reichtum unangenehm ist, setzt sie sich für eine gerechtere Besteuerung ein.

Als Letzter kommt ihr Vater zu Wort, für den ehrliche und harte Arbeit die wichtigste Tugend ist. „Mein Vater ist der Mensch, den ich am meisten mit Geld verbinde. Nicht, weil er so viel davon hätte. Sondern weil es immer eine Rolle in unserer Beziehung gespielt hat, genau wie Arbeit. Ich habe meinen Vater nie beim Faulenzen gesehen“, schreibt Kaiser. Aus all diesen Gesprächen entsteht ein vielschichtiges Bild, das den Stellenwert von Geld von allen Seiten beleuchtet und zeigt, dass das Thema jeden angeht. Welche Begegnung am eindrucksvollsten war, kann Kaiser nicht sagen: „Mich haben alle einzelnen Menschen berührt und bewegt. Ich bin sehr dankbar, dass sie sich mir alle so geöffnet haben.“

Mareice Kaiser hat eine sehr ambivalente Beziehung zu Geld

Portraitfoto von Mareice Kaiser

Mareice Kaiser, Jahrgang 1981, arbeitet als Journalistin, Autorin und Moderatorin. Mit ihrem Essay „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ war sie für den Deutschen Reporter:innenpreis nominiert.

Auch sie selbst setzt sich im Buch intensiv und offen mit ihrer ambivalenten Beziehung zu Geld auseinander. Sie erzählt, dass ihr feste Arbeitsverträge immer noch Bauchschmerzen machen, weil sie sich dann von ihrem Arbeitgeber abhängig fühlt. Obwohl sie ein Kind zu versorgen hat, ist ihr Freiheit wichtiger als Sicherheit. Es macht sie nervös, mehr als 2000 Euro auf dem Konto zu haben. Dahinter steckt die tief verwurzelte Überzeugung, dass man nur auf den Schultern von anderen reich sein könne. „Das will ich nicht. Wenn ich Geld hätte, wäre ich noch mehr Teil dieses Systems der Ausbeutung“, erklärt sie. Für sie ist es genug Geld, wenn sie im Supermarkt immer mit der EC-Karte bezahlen kann, ohne Angst davor zu haben, dass das Konto nicht gedeckt ist. Das ist spätestens seit dem Tag so, an dem an der Kasse „Vorgang nicht möglich“ auf dem Kartengerät erschien und sie alle Einkäufe wieder zurücklegen musste, auch das Eis für ihre Tochter. „Seitdem packt sie ihr Eis immer erst dann aus, wenn alles sicher bezahlt ist.“ Kaiser verheimlicht auch nicht, dass sie sich schon oft Geld von Freunden leihen musste und dass ihr Konto schon einmal gepfändet wurde.

Mittlerweile ist sie als Autorin und Moderatorin erfolgreich, hat aber immer noch Angst, dass ihr jemand auf die Schulter tippt und sagt: „Du gehörst hier nicht hin.“ Dabei könnte sie durchaus stolz auf sich sein: Als Arbeiterkind hat sie Abitur gemacht, sich jedes Praktikum und jeden Job selbst besorgt und sehr viel gearbeitet. Oft traut sie sich trotzdem nicht, nach einem angemessenen Honorar zu fragen, weil sie denkt, dass ihr das nicht zusteht. Ein typisches Problem von Frauen, die meist von klein auf dafür gelobt werden, wenn sie sich selbst zurücknehmen.

Mit ihrem Buch möchte Kaiser genau diese Strukturen und Ungerechtigkeiten sichtbar machen. Sie sagt: „Das Problem an reichen Menschen ist ja nicht, dass sie reich sind, sondern dass Geld ungleich verteilt ist. Wenn wir Armut abschaffen wollen, müssen wir Reichtum abschaffen und durch Steuern umverteilen.“ Wichtig: Es geht ihr nicht um den Mittelstand, sondern um die Hyper-Reichen, denen es nicht wehtue, etwas abzugeben. Ziel müsse es sein, Ressourcen gerechter zu verteilen, nicht nur beim Geld, sondern auch in Bildung, Politik und Medien. „Damit es gerechter wird, müssen mehr Menschen beteiligt werden. Kapitalismus tut uns allen nicht gut. Wenn Geld gerecht verteilt wäre und alle den gleichen Zugang dazu hätten, würde sich auch mein eigenes Verhältnis zum Geld verbessern“, ist Kaiser überzeugt. 

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