Gespräch„Männer sind nicht grundsätzlich das Problem, Frauen nicht immer die Lösung“

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Gleichberechtigung macht so manchem Mann zu schaffen.

  • Der Journalist Tobias Haberl wirbt in seinem neuen Buch „Der gekränkte Mann“ für Geduld mit Männern, die sich an die Errungenschaften der Emanzipation noch gewöhnen müssen.
  • Auf Twitter provozierte er damit ein Shitstorm, Haberl wurde u.a. als misogyn und erbärmlich beschimpft.
  • Dabei sei sein Buch ein Vermittlungsversuch und Gesprächsangebot. Wir haben es angenommen und versucht, daraus kein Streitgespräch werden zu lassen.

Köln/München – Herr Haberl, die teils bitterbösen Reaktionen auf Ihr Buch haben gezeigt: Nicht nur Frauen sind gekränkt, wenn sich ein gekränkter Mann in die Debatte um den feministischen Kultur- und Wertewandel einbringt – und ihn in Teilen sogar bejammert.

Tobias Haberl: Der Titel das Buches provoziert, ganz klar. Aber bevor man das Internet vollschimpft, sollte man erstmal weiter-, vielleicht sogar das komplette Buch lesen. Vielen Reaktionen sieht man leider an, dass das nicht passiert ist. Es ist eine Krankheit unserer Zeit, sich reflexhaft zu empören, um Beachtung zu finden.

Als Feminist geben Sie sich aber im Laufe des Buches nicht gerade zu erkennen.

Vielleicht nicht als Superfeminist, aber ich differenziere und stelle den Feminismus keineswegs in Frage, im Gegenteil: Ich bin für gleiche Chancen, gleiche Rechte und gleiches Einkommen. Wir brauchen auch nicht darüber zu diskutieren, dass es jetzt mal reicht mit der männlichen Alleinherrschaft und sexualisierter Gewalt sowieso. Nur weil ich traditionelle Männlichkeit in Teilen verteidige, heißt das nicht, dass Männer sich nicht selbstkritisch mit ihren Privilegien und Vorurteilen gegenüber Frauen und Minderheiten auseinander setzen sollten...

... dass aber das traditionelle Männerbild, wie es manche Helden Ihrer Jugend verkörpern, gar nicht so übel wie sein Ruf und erhaltenswert ist, worauf der Untertitel Ihre Buches „Verteidigung eines Auslaufmodells" einen Hinweis geben könnte?

Auch ich mag keine Männer, die wie Feldherren durchs Leben marschieren, dominant, rücksichtslos und selbstverliebt. Trotzdem wirkte es in den vergangenen Jahren so, als seien Männer grundsätzlich ein Problem und Frauen immer die Lösung. Das glaube ich nicht, es wäre auch naiv und ideologisch. Denken Sie an die lästige Debatte um den alten weißen Mann. Erst bezog sie sich nur auf einen Habitus, irgendwann diffamierte man sämtliche ältere weiße Männer als Mängelwesen. Zu Beginn der Pandemie rief die Band K.I.Z. bei einem Konzert nur für Frauenins Publikum, dass man keine Angst vor dem Virus haben müsse, davon stürben nur alte weiße Männer. Der Saal brach in Jubel aus. Das ist geschmacklos und zynisch. 

Einem Kapitel widmen Sie den Film-Titel der Coen-Brothers: „No Country for old Men", haben Sie Mitleid mit den alten Männern?

Nicht nur. Es schrillen einfach sämtliche Alarmglocken. Wir wollen doch eine gerechte Gesellschaft und keine verletzten Seelen. Wäre es da nicht sinnvoller, diese Männer auf eine anstrengende Reise einzuschwören als pausenlos zu beschimpfen? Wir können diese Generation, die eher keine Achtsamkeitskurse besucht hat, doch nicht mit dem Wissen von heute entwerten. Das treibt sie nur in die Enge, macht sie unsicher, wütend, hilflos – und wenn sie dann noch ihren Job oder ihre Familie verlieren, ziehen sie vors Kapitol. Die Kabarettistin Lisa Eckhart hat mal gesagt: So mancher alte weiße Mann sucht verzweifelt nach den Privilegien, die ihm die ganze Zeit unterstellt werden. Was ich damit sagen will: Nicht jeder Mann fährt Porsche und begrapscht Frauen.

Der Wirtschaftswissenschaftler Boris von Heesen rechnet in seinem Buch „Was Männer kosten“ sehr eindrücklich vor, dass männliche Eigenschaften, die das Patriarchat als erstrebenswert verkauft, unserer Gesellschaft 63 Milliarden Euro bescheren - für von Männern verursachte Kriminalität, für Verkehrsunfälle, Süchte und klimaschädliches Verhalten.

Es ist wichtig, solche Fakten zu benennen, eine gesamte Männergeneration mit ihren Sünden, Fehlern und damit einhergehenden strukturellen Ungerechtigkeiten zu konfrontieren. Um beim Titel meines Buches zu bleiben: Es gibt Kränkungen, die müssen Männer runterschlucken, weil es sich um Korrekturen früherer Fehler handelt. Das heißt aber nicht, dass sie sich alles gefallen lassen müssen.

Woran denken Sie, immerhin sind es vor allem Männer, die verbale und physische Gewalt ausüben.

Die Feministin Pauline Harmange schreibt in ihrem Buch Ich hasse Männer, dass wir nun mal feige, faul, egoistisch und gewalttätig seien. Was soll das bringen? So überzeugt man doch niemanden. Ich muss immer wieder an meinen Vater denken, eher konservativ, erfolgreicher Arzt, Oberhaupt der Familie, aber eben auch ein sehr herzlicher, verantwortungsbewusster Mensch, der vielleicht mehr Liebe und Wärme in die Welt gebracht hat als manche, die ihn heute als alten weißen Mann beschimpfen. Im Moment hat man den Eindruck, dass ein paar Leute permanent mit dem Feldstecher Ausschau halten, ob sich wieder mal ein Mann danebenbenommen hat. Diese destruktive Lust macht mich stutzig. Es darf doch nicht darum gehen, immer wieder aufs Neue herauszufinden, dass Männer aus dem Ruder laufen können, statt dafür zu sorgen, dass es möglichst wenige tun. Und das gelingt nur, wenn man ihre Nöte und Ängste ernstnimmt. 

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Eine Idee, wie das konkret vonstatten gehen sollte?

Wir sollten den Aufstieg von Frauen und die Findungsprozesse von Männern parallel denken. Das eine geht nicht ohne das andere. Mein Buch ist ein Gesprächsangebot an Männer und Frauen: Schimpft nicht übereinander im Netz, sondern redet im echten Leben miteinander. Wenn wir nicht begreifen, dass wir die Herausforderungen der Zukunft nur gemeinsam bewältigen können, gilt, was der Schriftsteller Stanislaw Lem mal geschrieben hat: „Die Menschheit ist wie Passagiere auf der Titanic, die sich gegenseitig bekriegen, um noch mal kurz vor der Katastrophe das Steuer halten zu dürfen.“

Aber meinen Sie nicht auch, dass die bestehenden Verhältnisse nur überwunden, Wandel nur herbeigeführt werden kann, wenn Feminismus übertreibt, laut und für Männer unbequem ist? 

Lange Zeit hatte ich Verständnis dafür, schließlich waren die patriarchalen Strukturen so festgefahren, dass Frauen sehr laut schreien mussten, damit sie sich um zwei Zentimeter verschieben. Aber inzwischen ist eine Grundaufmerksamkeit vorhanden, vieles bewegt sich in die richtige Richtung – wie der Anteil von Frauen in Parlamenten und Vorständen. Kurz: Das Patriarchat stirbt vor sich hin, unsere Gesellschaft ist vielfältiger geworden.

Aber es ist immer noch sehr viel nicht erreicht. Zu früh also, die Zügel locker zu lassen, oder was meinen Sie?  

Es klingt vielleicht doof nach 5000 Jahren Patriarchat, aber ohne Geduld wird es nicht gehen. Eingefahrene Muster und Rollen lassen sich nicht ein- und ausknipsen wie eine Nachttischlampe. Der Feminismus muss drängeln, klar, aber drängelt er zu sehr, schwächt er sich selbst, indem er ideologisch wird, absurde Forderungen stellt oder Männer in die Reaktanz treibt. Ich bin für Realpolitik statt Symboldebatten, für mutige Gesetze statt Gendersternchen, weil ich nicht glaube, dass Frauen weniger belästigt werden oder leichter beruflich aufsteigen, indem wir Sternchen in Texte malen.

Was mich irritiert, ist der Titel Ihres Buches, der so verstanden werden könnte, als ginge es um Sie, den gekränkten Mann. Es ist aber mehr als eine Innenschau: Es geht um Männer, die verunsichert und orientierungslos sind, weil sie Privilegien abgegeben müssen und sich die Vorstellung von Männlichkeit geändert hat. Wäre „Der verunsicherte Mann“ nicht der treffendere Titel gewesen? 

Finde ich nicht. Ein Titel muss prägnant sein. Vielleicht auch provozieren. Außerdem handelt es sich um ein Zitat von Alice Schwarzer, die in einem Spiegel-Interview sagte: „Rechtsradikale und Islamisten sind im Grunde gleich toxisch, es geht um den gekränkten Mann". Dieser Satz ließ mich nicht mehr los und brachte mich schließlich dazu, dieses Buch zu schreiben. Nach Jahren, in denen der Feminismus sehr laut war, wollte ich Bilanz ziehen: Was habe ich gelernt? Welche Fehler bereue ich? Und welche roten Linien möchte ich nicht überschreiten, weil ich mich selbst nicht verleugnen möchte. Als Mann nicht und als auch nicht als Mensch.

Seitdem Sind Sie auf der Suche nach einer für Sie akzeptablen Männlichkeit, schreiben Sie in Ihrem Buch. Sind Sie fündig geworden?

Es ist irgendetwas dazwischen, eine Männlichkeit, die sich nicht verleugnet, aber auch nicht anbiedert. Ich bin in den 80er Jahren groß geworden, mit Rocky Balboa und rebellierenden Rockstars. Es ist gar nicht so einfach, wenn auf einmal alle Männer nur noch Grünteegeschichten erzählen und Katzenbabys in die Kamera halten, weil die auf Instagram am besten geklickt werden.

Als Bild für diesen Typ modernen Mann verwenden Sie in Ihrem Buch gerne den Hafermilch-Cappuccino-trinkenden Ringelshirt-Träger – auch nicht gerade sehr differenziert.

Sicher gibt es auch coole Typen mit Ringelshirt. Der Hafermilch-Cappuccino-Trinker dient nur als Symbol für Männer, die den Zeitgeist übererfüllen, die jede Forderung mitmachen, die man an sie richtet, die immer artig und nie laut oder überraschend sind. Mir sind widersprüchliche Männer nun mal lieber als eindeutig vernünftige. Dazu kommt: Viele inszenieren sich als Super-Feministen, wenn es nichts kostet. Sie posten feministische Kalendersprüche, wollen damit aber nur Applaus bekommen. Diesen „Label“-Feminismus, der das Bekenntnis zu Diversität und Gleichberechtigung lediglich als Marketinginstrument einsetzt, mag ich nicht.  

Sie sagen, Ihr Buch sei ein Vermittlungsversuch und Gesprächsangebot, ich nehme es an: Wie sollte ich als Frau zu einer Ihrer Meinung nach konstruktiv gearteten Auseinandersetzung beitragen?

Kämpfen Sie mutig für Ihre Rechte. Aber haben Sie bitte auch Verständnis für die Seelenlage von Männern, die sich in der neuen Ordnung erst zurechtfinden müssen. Erklären Sie ihnen immer wieder, dass auch sie gewinnen, wenn sie Macht abgeben, nämlich neue Freiheiten. Und unterscheiden Sie zwischen unbeholfenen, altmodischen und bösen Männern. Empathie, Humor und Souveränität sind wichtig. Dass man nicht bei jedem schiefen Halbsatz gleich in die Luft geht. Wir werden das Patriarchat nur zu Fall bringen, wenn die meisten es für richtig halten, und nicht, weil es gerade im Trend liegt.

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