In Sachen Liebe„Mein Mann ist todkrank, darf ich mit einem anderen schlafen?“

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Wenn ein Ehepartner erkrankt, ist das für den anderen belastend.

  • Im Wechsel beantworten unsere Experten und Schauspielerin Annette Frier in der Kolumne „In Sachen Liebe” Ihre Fragen rund ums Liebesleben, Sex und alles, was Paaren begegnet.
  • Wer eine Lebenskrise gemeinsam bewältigt, geht gestärkt daraus hervor.
  • Nicht jedem Paar gelingt das – doch oft stimmte dann schon vorher in der Beziehung etwas nicht, meint Psychologe Peter Wehr.

Köln – Mein Mann hat Krebs. Die Ärzte geben ihm nur noch wenige Jahre. Ich bin mir sicher, dass ich bei ihm und unseren Kindern bleiben muss. Manchmal komme ich mir vor wie eine „Pflegerin aus Liebe“. Ein Sexualleben haben wir schon lange nicht mehr. Nun bemüht sich neuerdings ein Mann um mich. Ich merke, ich mag ihn. Aber dauernd sagt mir mein Gewissen: Das geht nicht, Fremdgehen schon gar nicht! Darf ich eine solche Beziehung eingehen, um wenigstens wieder mit einem Mann zu schlafen? Immer wieder habe ich Menschen begleitet, die mit einer lebensbedrohenden Krankheit konfrontiert waren, Betroffene sowie deren Partner. Wenn Paare die entstandene Lebenskrise gemeinsam bewältigen konnten, wenn sie sich auf der seelischen Ebene gegenseitig unterstützten, entwickelte sich daraus eine starke Ressource, eine große Entlastung für beide, eine tiefere Liebe, die nicht nur alles erträglich, sondern sogar das gemeinsame Leben wieder lebenswert machte.

Pflegerin aus Pflichtgefühl?

Beim Nachdenken über Ihre Frage bleibe ich immer wieder an Ihrer Aussage „Pflegerin aus Liebe“ – in Anführungszeichen – hängen. Meinen Sie das wortwörtlich? Dann verstehe ich nicht, weshalb Sie sich für eine Außenbeziehung öffnen, dort Entlastung suchen und Sex wünschen. Das passt für mich irgendwie nicht zusammen.  Oder bedeuten die Anführungsstriche, dass Sie sich eher wie eine Pflegerin aus Pflichtgefühl – ohne Anführungsstriche – fühlen, weil sich die Liebe schon seit Längerem, schon vor der Diagnose  verändert hat, Sie schon länger darunter leiden, auch unter dem fehlenden Sex. Und dass Sie bei Ihrem Mann nur deshalb bleiben, weil er an Krebs erkrankt ist und weil Sie denken, Sie dürften ihn jetzt nicht alleine lassen? Oder hat sich die Beziehung während der Krebserkrankung in einer Weise verändert, dass die Situation für Sie inzwischen unerträglich geworden ist? Womöglich haben Sie aber auch den Schock nach der ärztlichen Prognose, ihr Mann habe nur mehr einige Jahre zu leben, sowie die dadurch entstandene Krise noch nicht überwunden.

Die Lebenskrise überwinden

Letzteres erscheint mir naheliegend und alles andere eher spekulativ. Daher möchte ich die Überwindung der Lebenskrise in den Mittelpunkt stellen, in die Betroffene und ihre Partner durch eine existenziell bedrohliche Krebsdiagnose fast immer hinein geraten. Manche fühlen sich zunächst ohnmächtig, andere reagieren wütend und kämpferisch, und wieder andere möchten – ich vermute, wie Sie – am liebsten vor Angst weglaufen. Erst wenn dieser erste Schock überwunden ist, beginnt die wirkliche Verarbeitung und im guten Fall die Bewältigung dieser Krise. Am besten kann es Ihnen gemeinsam mit Ihrem Partner gelingen. Denn auch er hat ja diesen Schock erlebt, auch er ist in eine schwere Lebenskrise geraten. Welchem der genannten Impulse folgte er: Erstarrung, Kampf, Flucht? 

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Nach Lösungen suchen

Mir scheint, Sie beide haben sich in der Krise verloren, Sie können nur noch die überfordernde körperliche Pflege sehen. Nun gilt es, den Blick wieder zu erweitern, sich neu zu finden. Dazu brauchen Sie Zeit mit Ihrem Mann. Sprechen Sie offen und ehrlich über Ihre Gedanken und Gefühle, wie zum Beispiel Ihre Ängste, Ihre Hoffnungslosigkeit, Ihre Überforderung, Ihre Verletzung – und über ihre Wünsche. Um dann nach Lösungen zu suchen, die Ihnen helfen, einen guten Umgang mit Ihrer Situation zu finden. All das kann Ihre Liebe zueinander wieder aufleben lassen und in all der erlebten Unsicherheit eine emotionale Sicherheit, einen Halt schaffen. Auf dieser Grundlage kann Ihr Zusammenleben wieder an Tiefe gewinnen, wenn auch ganz anders als bisher. Darin liegt eine große Chance. Selbst wenn Sie jetzt denken: Das schaffe ich nicht, ermutige ich Sie, es zu versuchen. Dabei kann der Kontakt zu einer Beratungsstelle oder vielleicht sogar therapeutische Unterstützung helfen – um eine chronische Überforderung zu vermeiden. Glauben Sie mir, Ihr angedeuteter Weg einer (heimlichen) Außenbeziehung ist langfristig nicht weniger anstrengend.

Vor allem ist überhaupt nicht absehbar, was daraus folgen wird. Es würde jedenfalls  einen Vertrauensbruch darstellen, der Ihnen die zuvor entworfenen Möglichkeiten vermutlich versperren würde. Denn selbst wenn Sie eine andere Beziehung verschweigen würden – die Beziehung zu ihrem Mann würde sich verändern – wahrnehmbar.

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