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„Bewegung hat keine Altersgrenze“Warum Sportdiagnostik nicht nur etwas für Top-Athleten ist

5 min
Doris Pöttgen schlägt im Sportslab mit einem Tennisschläger Bälle an die Wand.

„Ich hoffe, ich kann noch ein bisschen Tennis spielen“, sagt die 84-jährige Kölnerin Doris Pöttgen.

Wenn Sport und Bewegung richtig durchgeführt werden, halten sie nicht nur fit, sondern beugen auch Schmerzen vor. In Sportlaboren können sich Kölner durchchecken lassen – ein Besuch in einer Lindenthaler Praxis

Neun Sensoren blinken an den Füßen, Waden und Oberschenkeln von Doris Pöttgen, während die 84-Jährige den gelben Tennisball wieder und wieder an die Wand drischt. Heute schwingt sie ihren Schläger nicht wie gewöhnlich auf dem Platz von Lese Grün-Weiss im Stadtwald. 

Stattdessen lässt sie sich in der Lindenthaler Orthopädiepraxis „Orthopädie em Veedel“ von Sportwissenschaftler Giordano Scinicarelli im Sportlabor vermessen. Sie habe zwei unterschiedlich lange Beine, zwei Zentimeter Differenz. „Ich muss irgendwas tun, damit ich nicht humpel und will es jetzt einmal richtig kontrollieren lassen“, sagt Pöttgen, auf der Suche nach neuen Einlagen für ihre Schuhe.

Schmerzen habe sie kaum. Dabei soll es im besten Fall auch bleiben. Viele in ihrem Alter seien schon ausgestiegen. „Ich hoffe, ich kann noch ein bisschen Tennis spielen“, sagt sie. Der Sport gebe ihr eine Aufgabe im Leben. „Man gehört dazu, man spielt und bewegt sich, bleibt fit.“ Zusätzlich mache sie Gymnastik. 

Diagnostik nicht nur für Leistungssportler

Ihre Fitness sieht man der 1,55-Meter großen Frau an. Während sie auf dem Laufband für die Ganganalyse einen Schritt vor den anderen setzt, filmt Scinarelli ihre Bewegungen mit drei Kameras, eine von vorne, eine von der Seite, eine von hinten. Die Sensoren, die an Pöttgens unteren Extremitäten kleben, erfassen währenddessen per EMG-Analyse – die Abkürzung steht für Elektromyographie – die elektrischen Signale ihrer Muskeln und übertragen sie in Echtzeit auf den Bildschirm vor ihr.

Gleiches Spiel während der Tennis-Simulation im 25 Quadratmeter großen Behandlungsraum. „Ein letzter noch“, ruft der Sportdiagnostiker ihr zu. Währenddessen erfasst er nicht nur die Muskelaktivierung, sondern auch Gelenkachsen und Schrittparameter. 

Judoka Miriam Butkereit bei der Gang- und Laufanalyse mit Sportwissenschaftler Giordano Scinicarelli

Judoka Miriam Butkereit bei der Gang- und Laufanalyse mit Sportwissenschaftler Giordano Scinicarelli

Bei der Auswertung kann Scinicarelli so Dysbalancen finden, ineffiziente Bewegungsmuster herausfiltern oder einen kritischen Aufsatzwinkel des Fußes feststellen. Im Anschluss stellt er in Absprache mit den Orthopäden Trainingsempfehlungen zusammen, die dann zum Beispiel bei der Physiotherapie, im Verein oder Zuhause umgesetzt werden können. „Wir suchen die mechanischen und muskulären Schwachpunkte, um sie im Anschluss zu bearbeiten“, so Scinicarelli, der Teilzeit in der Orthopädiepraxis arbeitet. Die andere Zeit  lehrt und forscht der Bewegungs­therapeut an der Deutschen Sporthochschule Köln, wo er auch promovierte. 

Scinicarelli arbeitet im Sportslab nicht nur mit Freizeitsportlern oder Patienten, die nach einer OP wieder in Gang kommen wollen. Direkt nach der Rentnerin Doris Pöttgen ist Judoka Miriam Butkereit an der Reihe. Eine Woche zuvor hat die Frechenerin bei den Weltmeisterschaften in Budapest die Bronzemedaille gewonnen, jetzt werfen sie und der Sportwissenschaftler einen Blick auf ihr Knie und die umliegende Muskulatur. Das Ziel: Verletzungsprävention auf der einen Seite, denn Butkereit hatte schon öfter Probleme in dem Bereich, und Leistungsoptimierung auf der anderen Seite.

Mehrere Sport- und Bewegungslabore in Köln

Das klassische „höher, schneller, weiter“ sei jedoch nur bei Ausnahmeathletinnen und -athleten die Marschroute, erklärt Christophe Lambert, der das Bewegungslabor in seiner Praxis in Lindenthal gemeinsam mit seinem Bruder Maxime eingerichtet hat. Damit sind sie nicht die einzigen in Köln. Rund eine Handvoll weitere Mediziner und Sportwissenschaftler bieten Lambert zufolge eine ähnliche, medizinisch abgesicherte Diagnostik in der Stadt an, das Ortho Sports Lab in Pulheim, das IFD Cologne im Mediapark und das Pro Motion Lab der Orthopädie am Gürzenich zum Beispiel. 

Bewegung hat ja keine Altersgrenze. Und wenn sie gut durchgeführt wird, kann sie auch jedem guttun.
Christophe Lambert, Orthopädie em Veedel

„Das Wichtige ist, dass Diagnostikangebote eben nicht nur etwas für Leistungssportler sind, sondern für alle“, so Lambert. „Bewegung hat ja keine Altersgrenze. Und wenn sie gut durchgeführt wird, kann sie auch jedem guttun.“ Fettleibigkeit, Diabetes oder Bluthochdruck – „wenn die Leute mehr Sport treiben würden, könnten wir diese Volkskrankheiten in den Griff kriegen. Genauso wie Gelenkkrankheiten. Muskulatur schützt da einfach“, so der Mediziner. 

Andersherum könne schlechte Bewegung aber auch schlecht sein. „Wir haben auf der anderen Seite eine Gesellschaft, in der Sport immer wichtiger wird und viele das Gefühl haben, sie müssten auf einmal einen Marathon laufen.“ Der Körper sei aber gar nicht darauf vorbereitet. „42 Kilometer aus dem Nichts, das ist eine enorme Belastung für das Knie.“ 

Bewegungsanalysen kosten mehrere hundert Euro

Viele Beschwerden könne man verbessern oder vorbeugen, „indem man den Leuten beibringt, sich richtig zu bewegen und ihre Muskulatur richtig zu nutzen“, so Lambert. Das gelte für 20-Jährige, genauso wie für 80-Jährige und für Olympionikinnen, genauso wie für Freizeitsportler. „Jeder hat ein Recht darauf, dass man sich seinen Körper richtig anguckt“, sagt der Kölner Orthopäde. Allerdings muss man sich so eine Diagnostik auch leisten können. Je nach Analyseverfahren und Aufwand kommen da zwischen 300 und 1000 Euro zusammen. Im Rahmen einer sportmedizinischen Untersuchung können die Kosten von einigen Krankenkassen teilweise erstattet werden.

Aber wozu der finanzielle und zeitliche Aufwand, wenn es doch auch eine klassische Behandlung tun würde? „In unserer Medizin gibt es einige Lücken. Wenn die Patienten auf einer Liege liegen und ich sie dort behandele, wie soll ich die Probleme erkennen? Die treten ja meist auf, wenn die Leute in Bewegung sind“, sagt Lambert. Außerdem gebe es Verletzungen, die man nicht einfach mit einer Spritze beseitigen könne. Kurzfristig können Therapieverfahren wie Injektionen den Schmerz lindern. „Das ist auch sehr wichtig. Aber es kann sein, dass die Schmerzen wieder kommen, weil die Spritze die Ursache nicht unbedingt bekämpft.“ Bei einem Knorpelschaden im Knie zum Beispiel können mit einer Bewegungsanalyse Fehlstellungen in den Gelenken oder Fehlbewegungen dargestellt werden. „Und die können dann gezielt mit Physiotherapie, Krafttraining oder Bewegungslehre verbessert werden.“

Doris Pöttgen empfehlen der Orthopäde Lambert und Sportwissenschaftler Scinscarelli unter anderem die Kräftigung des Fußgewölbes und Balanceübungen, Stehen auf einem Bein gehört zum Beispiel zum Plan dazu. Das sei sogar zu Hause gut umsetzbar, erzählt die Kölnerin. Hinzu kommen Gangschule und neue Einlagen, auch, damit sie etwas stabiler steht – und Tennis und Gymnastik noch lange und vor allem ohne Schmerzen möglich sind.