High-Protein-DiätenWarum zu viel Eiweiß krank machen kann

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Ein Haufen Proteinpulver und ein Portionierlöffel liegen auf einer türkisen Oberfläche.

Nicht nur in der Kraftsportszene sorgen Protein-Pulver für die Eiweißzufuhr – auch während Diäten wird zu Eiweißshakes gegriffen.

Proteine sind im Trend, überall werden eiweißreiche Riegel und Pulver angeboten – zum Abnehmen oder für mehr Muskeln. Das ist nicht so gesund, wie mancher denkt.

Proteine sind im Trend. Egal, ob Fitness-Studios, Apotheke, Drogerie oder Supermarkt – überall werden eiweißreiche Riegel und Pulver angeboten. Sie sollen gegen Übergewicht helfen und beim Muskelwachstum von Sportlern helfen. Nach Low Carb und Low Fat ist derzeit High Prot das Maß der Dinge. Doch eine aktuelle Studie lässt Zweifel daran aufkommen, ob das wirklich so gesund ist.

Ein Forscherteam um Babak Razani von der University of Pittsburgh verköstigte neun übergewichtige Männer und Frauen mit Flüssigmahlzeiten, die zwar alle 450 Kilokalorien lieferten, sich jedoch stark im Proteingehalt unterschieden. In der einen Gruppe waren es 16 Gramm, was ungefähr dem entspricht, was die Menschen der Wohlstandsländer bei einer Mahlzeit zu sich nehmen. In der anderen Gruppe 25 Gramm, was ungefähr dem entspricht, was ein Sportler mit 30 oder 40 Gramm Proteinpulver zu sich nimmt. Eine und zwei Stunden nach dem Verzehr wurde den Probanden Blutproben entnommen.

Aminosäure Leucin: Erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle

Es zeigte sich, dass in der höhergradigen Proteingruppe die Aminosäuren – das sind die Bausteine der Proteine – im Blut stark nach oben drifteten. Besonders auffällig war der Anstieg bei der Aminosäure Leucin, die wichtig für den Gehalt und Aufbau von Muskelgewebe im Körper ist. Aus Sicht eines Kraftsportlers, beispielsweise eines Bodybuilders oder Gewichthebers, könnte man also sagen: Alles richtig gemacht! Das Problem ist jedoch, dass die Forscher auch noch etwas anderes fanden.

Demnach erhöhen größere Mengen an Leucin nämlich nicht nur die Muskelmasse, sondern auch das Risiko für Arteriosklerose, also jene Verhärtung und Verengung der Blutgefäße, die, wie Studienleiter und Kardiologe Razani ausführt, „hauptverantwortlich für Herzinfarkte, Schlaganfälle und mehr als 25 Prozent aller Todesfälle ist“.

Doch warum hat Leucin ein solches Janusgesicht? Die Antwort: In größeren Mengen aktiviert es in den Makrophagen bzw. weißen Blutkörperchen ein spezielles Protein namens mTOR. Es sorgt dafür, dass sich die Immunzellen mit anderen Bestandteilen des Blutes, wie etwa dem LDL-Cholesterin, zu den berüchtigten Plaques verklumpen, die ein Blutgefäß verengen und unelastisch machen. Wobei es sich hier auch noch, wie Razani und seine Kollegen beobachten konnten, um jene Plaque-Typen handelt, die sich gerne von ihrer ursprünglichen Stelle lösen und durch den Körper wandern, bis sie am Ende in irgendeinem engen Äderchen von Gehirn oder Herzmuskel stecken bleiben.

Janin Henkel-Oberländer von der Universität Bayreuth hält das Leucin-Arteriosklerose- Modell für „gut nachvollziehbar“. Denn Leucin aktiviere tatsächlich mTOR, und dieses Protein stimuliere das Zellwachstum. „Das ist ja auch gut so“, betont die Ernährungswissenschaftlerin, die in Bayreuth zur Biochemie der Ernährung forscht. „Denn über diesen Weg führt ja eine proteinreiche Ernährung überhaupt erst dazu, dass die Muskeln wachsen“.

Normalerweise jedoch ist dieser Prozess unkritisch, weil wir in der Regel nicht so viel Leucin im Blut haben
Janin Henkel-Oberländer, Universität Bayreuth

Aber mTOR sei eben nicht nur in den Muskelzellen, sondern auch in den Makrophagen. Zu deren Aufgaben gehört eigentlich, als Teil einer internen Müllabfuhr für „saubere“ Blutgefäße zu sorgen. Aber durch mTOR verlagern sie ihren Schwerpunkt aufs Wachstum, mit der Folge, dass sie selbst zu einem Teil der Ablagerungen an den Blutgefäßen werden. „Normalerweise jedoch ist dieser Prozess unkritisch, weil wir in der Regel nicht so viel Leucin im Blut haben“, beruhigt Henkel-Oberländer.

Andererseits entdeckten Razani und sein Team im Mäuseexperiment, dass bereits Proteinmengen von 22 Prozent der Energiezufuhr die schädlichen Leucin-Effekte auf das Herz-Kreislauf-System vorantreiben können. Das ist zwar immer noch deutlich mehr als die neun bis 15 Prozent der Gesamtenergiezufuhr, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO täglich für den Menschen empfohlen werden. Aber nicht mehr so extrem weit davon entfernt. Droht also das Aus für die vielen Low-Carb oder Low-Fat-Diäten? Denn die haben ja dadurch, dass ein bestimmter Nährstoff stark reduziert wird, meistens zur Folge, dass umgekehrt der Proteingehalt in der Nahrung hochgeht.

Henkel-Oberländer sieht auch hier keine sonderlichen Risiken. Erstens, weil man von Mäusen nicht eins zu eins auf den Menschen schließen sollte. Zweitens, weil es sich bei den wenigsten Diäten wirklich um eine High-Prot-Ernährung handelt. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Atkins-Diät. „Da ist nicht etwa die hohe Proteinzufuhr, sondern der große Fettanteil das Problem“, so die Ernährungswissenschaftlerin.

Auch die Formula-Diäten, bei denen sich Abspeckwillige 800 Kilokalorien eines stark proteinlastigen Pulvers einverleiben, liefern nicht so viel Eiweiß, dass es ihren Konsumenten schaden könnte. „Ihr Sinn besteht darin, bei einer stark reduzierten Nahrungszufuhr den Minimalbedarf an Eiweiß abzudecken“, erläutert Hans Hauner, der an der TU München das Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin leitet.

Denn bei 800 Kilokalorien bestünde die Gefahr, dass die empfohlenen 40 Gramm pro Tag nicht erreicht würden. Mit der möglichen Folge, dass sich der Körper aus dem Eiweiß der Muskeln bedient. „Und das wird durch die Pulver verhindert, eine Überdosierung droht jedoch nicht“, betont Hauner, der auch im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung sitzt.

Kraftsport: Hohe Eiweißmengen können Nieren gefährden

In der Bodybuilder-Szene und in den Fitness-Studios ist das jedoch anders. Die dort gereichten Protein-Shakes sehen zwar harmlos aus, haben es aber in sich, wie Razani ausgerechnet hat: „Damit nimmt man bereits um die 40 Gramm Protein zu sich, also praktisch schon den kompletten Tagesbedarf.“ Und man müsse ja davon ausgehen, dass sich der betreffende Sportler auch sonst eiweißreich ernähren würde.

„Wir wissen aus Studien, dass man in der Kraftsportszene zum Teil auf deutlich mehr als 2,5 Gramm pro Tag und Kilogramm Körpergewicht kommt“, berichtet Henkel-Oberländer. Das sei mehr als dreimal so viel wie die empfohlene Tagesration. Neben den Blutgefäßen gefährden die exzessiven Eiweißmengen vor allem die Nieren. „Sie müssen ja den Stickstoff loswerden, der mit den Proteinen zugeführt wird“, warnt Hauner. „Das kann bei Menschen mit einer Nierenerkrankung die Funktionen des Organs weiter verschlechtern, und es kommt auch öfter zu Nierensteinen“.

Natürliche Lebensmittel statt Eiweißpulver

Dabei lässt sich die Muskel-Power der Nahrung auch ohne Eiweißpulver deutlich steigern, indem man auf die Auswahl der Lebensmittel achtet. Denn diese tragen umso mehr zu unserer Proteinversorgung bei, je näher ihr Aminosäureprofil mit dem unsrigen ist. Als Maßzahl dafür wird mittlerweile der sogenannte Aminosäureindex angegeben.

So hat Kuhmilch hier einen Wert von 1 und Rindfleisch von 0,92, während pflanzliche Lebensmittel wie Kichererbsen (0,78) und Erdnüsse (0,52) deutlich darunter liegen, also weniger effektiv für unsere Eiweißversorgung sind. Eine pflanzliche Ausnahme ist allerdings Soja mit 1,0. Außerdem kann man durch geschickte Kombinationen auch als Veganer einen hohen Aminosäureindex erreichen. Eine Kombination aus Bohnen und Reis erzielt beispielsweise ähnliche Werte wie Milch.


Was bringen die Proteinpulver zum Abspecken?

  • Die eiweißlastigen Shakes und Pulver der Formula-Diäten bescheren allein den Apotheken jährlich Umsätze von rund 200 Millionen Euro.
  • Sie bestehen aus bis zu 50 Prozent Soja- und Milcheiweiß. Dadurch schützen sie den Körper vor einem Proteindefizit während der Diät.
  • Durch den hohen Eiweißgehalt stillen sie außerdem den Hunger, außerdem muss der Körper zum Verdauen der Proteine relativ viel Energie aufwenden. Wer also anstelle einer konventionellen Mahlzeit einen proteinreichen Formula-Drink verzehrt, darf darauf hoffen, dass er trotz deren geringer Kalorienwerte satt wird und sogar zusätzlich Kalorien verbrennen wird, um den Shake zu verdauen.
  • Studien der letzten Jahre zeigen, dass Menschen mit starkem Übergewicht und Diabetes durch Formula-Diäten längerfristig abspecken und teilweise sogar wieder normale Blutzuckerwerte entwickeln können. Doch das sollte man nicht Eins zu Eins auf gesunde Menschen ohne Übergewicht übertragen.
  • Die Geschmacksnuancen der - oft auch zuckerhaltigen - Eiweißpulver beschränken sich in der Regel auf Schoko, Erdbeere, Banane und andere süße Varianten. Das kann auf Dauer langweilig werden, und unser natürliches Bedürfnis auf herzhafte Speisen bliebt unbefriedigt. Das kann zu Problemen beim Durchhalten der Diät führen.
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