Von Forschungen in Ostafrika zu Virus-Infektionen und vom zukunftsweisenden „One Health“-Ansatz könnte auch Deutschland profitieren.
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Jakob Zinsstag und Sneha Gupta zeigen eine Mückenfalle.
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Die Tigermücke ist im Rheinland angekommen. Kölnerinnen und Kölner erinnern sich an den Aufruf, sie einzufangen, einzufrieren und an das Gesundheitsamt zu schicken. Das Insekt ist anders als die Gottesanbeterin, die bereits auf der Domplatte gesichtet wurde, aber harmlos ist. Die tropische Mückenart – klein, aggressiv und gestreift – kann Viren wie Dengue, Zika oder West-Nil-Fieber übertragen. Durch die Erwärmung des Klimas findet sie inzwischen auch in Deutschland geeignete Lebensräume. Doch unser Wissen darüber beruht vor allem auf Zufallsfängen privater Haushalte. Systematische Untersuchungen fehlen.
Anders ist die Situation in der Provinz Marsabit im Norden Kenias. Dort hat die Wissenschaftlerin Sneha Gupta vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) in Basel gezielt das Vorkommen und die Virenlast von Mückenarten dokumentiert – auch jenseits der Grenze, im benachbarten Äthiopien. Für Jakob Zinsstag, Veterinär-Epidemiologe, Professor für Epidemiologie an der Universität Basel und interimistischer Departementsleiter am Swiss TPH, ist das Projekt ein Meilenstein. Seine Studentin Gupta konnte in einer Probe den Erreger des West-Nil-Virus nachweisen, das in einem Fünftel der Fälle grippeähnliche und teils schwere Krankheitsverläufe hervorruft.
Gupta hat eine Ausbildung als Molekularbiologin. Das war eine Voraussetzung für ihre Arbeit in Afrika. Sie musste Mücken sammeln, zerteilen und extrahieren, um letztlich das Genmaterial gewinnen und nachweisen zu können. „Ich hätte das nicht gekonnt“, sagt Zinsstag anerkennend. Seine Vision ist, dass die junge Frau aus Kanada mit indischem Erbe kenianische Studenten ausbildet und so eine einheimische Kompetenz aufbaut. Sie liebe die Forschung und die Arbeit mit Menschen vor Ort gleichermaßen, sagt die junge Wissenschaftlerin, deren Enthusiasmus immer wieder durchbricht.
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Zinsstag gilt als webweit führender Theoretiker und Methoden-Entwickler des sogenannten One-Health-Ansatzes, der die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt als zusammenhängendes System begreift. „Wir können Epidemien nur verstehen, wenn wir erkennen, wie eng Lebensräume und Systeme miteinander verbunden sind“, sagt er. Seit Jahren forscht Zinsstags Team in den Grenzregionen Ostafrikas zwischen Kenia und Äthiopien. Dort ziehen nomadische Viehhalter mit ihren Herden auf der Suche nach Wasser und Weideland umher – ohne sich um Landesgrenzen zu kümmern. In dieser engen Symbiose können Krankheiten leicht zwischen Mensch und Tier hin und her springen.
„Wird ein Virus erst im menschlichen Körper entdeckt, ist es oft zu spät“, erklärt Zinsstag mit Blick auf die Corona-Pandemie. One Health spare auf lange Sicht Geld. Wird ein Erreger, wie jetzt in Kenia, beizeiten erkannt, lassen sich einfache Schutzmaßnahmen ergreifen: Milch abkochen, Hygiene verbessern, Schlachthöfe kontrollieren. So lassen sich Ausbrüche verhindern und Folgekosten verringern. Auch Europa brauche eine systematische Überwachung von Moskitos. In Norditalien, etwa in der Emilia-Romagna, treten seit Jahren Fälle des West-Nil-Fiebers auf. Seit die Behörden aufmerksam reagieren, können sie Ausbrüche kontrollieren.
Seit Jahren beobachtet auch das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin eine zunehmende Zahl „autochthoner Fälle“ – Infektionen, die in Deutschland selbst übertragen wurden. 2022 wurden erstmals mehrere Dengue-Fälle in Südfrankreich und Kroatien dokumentiert, 2023 in Deutschland. Noch sind es Einzelfälle, doch Fachleute warnen, dass die Voraussetzungen für lokale Übertragungen inzwischen gegeben sind.
Jakob Zinsstag hat seit 35 Jahren Erfahrung in Afrika gesammelt, war unter anderem vier Jahre Direktor eines Schweizer Forschungszentrums in der westafrikanischen Elfenbeinküste. Vom Swiss TPH wurde er wegen seiner One-Health-Expertise geholt. Wer mit dem 64-Jährigen unterwegs ist, erlebt einen pragmatischen Wissenschaftler, der konsequent die Perspektive seines Gegenübers einnehmen sowie mitunter unbequem fragen und urteilen kann. Einmal stellten er und sein Team im Tschad fest, dass die Kühe der nomadischen Gemeinschaften geimpft waren, die Kinder jedoch kaum. „Also lag es auf der Hand, gemeinsame Impfdienste für Mensch und Tier auf die Beine zu stellen“, erinnert er sich.
Zinsstag ist mit einer Pfarrerin verheiratet und selbst von einer Religiosität, die vom Dienst am Mitmenschen geprägt ist. Zwar ist der One-Health-Ansatz nicht religiös motiviert, fügt sich in seinem ganzheitlichen Verständnis aber in den Schöpfungsgedanken ein. Seine Wissenschaftlichkeit integriert eher, als dass sie ausschließt, und gestattet ein besseres Verständnis des Menschen und seiner Umwelt.
In Marsabit wurde Pionierarbeit geleistet: So entwickelte man ein System aus Mückenfallen, die Sneha Gupta diesseits wie jenseits der kenianisch-äthiopischen Grenze einsetzt. Ein hoher Anteil von Kohlendioxid aus der Atemluft kleiner Tiere wie Ziegen oder Schafe lockt die Insekten an, zusätzlich sorgt ein solarbetriebenes Licht für nächtliche Anziehung. Ein kleiner Propeller saugt die Mücken dann in eine Hülle. Für jede Fangstation wurden Mitarbeiter aus dem jeweiligen Dorf geschult.
Vieles in diesem Projekt hat sich günstig gefügt. Die katholische Hilfsorganisation Malteser International (MI) aus Köln gewann die „Daimler und Benz Stiftung“ als Geldgeber, das Swiss TPH, das örtliche Hilfswerk Pacida, das in Kenia und Äthiopien vertreten ist sowie die Provinzregierung. Und schließlich fand sich mit dem staatlichen Regionallabor und seinem Chef Yahya Hassan ein Partner, der ehrgeizig ist und über eine PCR-Maschine verfügt. Mit ihr lassen sich winzige Mengen genetischen Materials vervielfältigen, um Krankheiten präzise nachzuweisen. Diese Arbeit hätte sonst in der Hauptstadt Nairobi erledigt werden müssen. Der 33 Jahre alte Hassan ist stolz auf die ISO-Zertifizierung seines Labors und auf dessen Beitrag, darunter die Ausbildung von 60 lokalen Gesundheitsarbeitern.
„Wir haben hier kein Legitimationsproblem“, sagt Zinsstag. „Der Nutzen, den wir bringen, ist jedem schnell klar. Wir machen ein Frühwarnsystem möglich – lange bevor ein insgesamt bescheidenes Gesundheitssystem vor der Fülle von Erkrankungen kapitulieren müsste.“ Gesundheit heute lasse sich auch nicht mehr nur national denken. Und: „Die Grenze zwischen humaner und tierischer Medizin ist eine Illusion“, sagt Zinsstag. Er fordert, Umwelt- und Veterinärforschung systematisch in die öffentliche Gesundheitspolitik zu integrieren. So wie in Marsabit Daten über Mücken, Tierkrankheiten und Umweltfaktoren zusammengeführt werden, sollten auch in Europa Klima-, Tier- und Infektionsforschung enger verzahnt werden.
