Beneficial Thinking: Karella Easwaran, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, erklärt, wie wir als Erwachsene unser Glück im Kopf finden.
Kölner Ärztin„Jeder ist in der Lage, sein Glück zu finden“

Glück ist nicht so sehr abhängig von den Umständen. Die Ärztin Karella Easwaran erklärt, wie jeder das Gefühl im Kopf herstellen kann. (Symbolbild)
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Frau Easwaran, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Glück entsteht im Kopf“. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu inspiriert hat?
Karella Easwaran: Ein junger Mann, der mit meinem Sohn befreundet ist, erlebte eine schwere Zeit. Die Mutter war krank, der Vater arbeitslos, er steckte mitten im Studium und sagte: Irgendwas muss jetzt passieren! Da habe ich gemerkt, dass viele junge Leute darauf warten, dass von außen etwas passiert, dabei nehmen sie gar nicht wahr, wie viele Fähigkeiten in ihnen selbst stecken und was sie damit selbst an ihrer Lage verändern könnten. Das war der Auslöser für das Buch. Mit dem Thema, wie Gedanken unseren Körper beeinflussen können, beschäftige ich mich aber schon sehr viel länger.
Psychologisch leuchtet mir ein, dass Gedanken Auswirkungen auf mein Wohlbefinden haben. Aber wie erklären Sie, dass sie auch den Zustand meines Körpers beeinflussen können?
Jeder Gedanke verursacht die Ausschüttung eines Botenstoffs in unserem Gehirn. Und diese Stoffe haben Auswirkungen auf unseren Körper, auf unser Herz-Kreislaufsystem, auf unseren Stoffwechsel. Schlechte Gedanken können uns also auf Dauer krank machen. Im Endeffekt schaden wir mit Grübeln, Sorgen, Dauerhetze, dem Dauergemecker uns selbst. Auch unser Gedächtnis leidet darunter und wir laufen langfristig Gefahr, dement zu werden.

Karella Easwaran, geboren in Addis Abeba, Äthiopien, studierte Medizin in Ungarn und absolvierte eine Ausbildung zur Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin an der Universitätskinderklinik in Köln. Außerdem erlangte sie die Zusatzqualifikation für Naturheilverfahren und Ernährungsmedizin. In den vergangenen Jahren beschäftigte sie sich besonders mit Mind-Body-Medizin und sammelte Erfahrungen am Benson-Henry Institute for Mind Body Medicine der Universität Harvard. Die Mutter zweier Söhne arbeitet als Kinderärztin in ihrer eigenen Praxis in Köln und war als Expertin in der ZDF-Sendung „Die Ärzte“ zu sehen. Ihre Bücher sind Bestseller.
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Als Methode zum Glück propagieren Sie in Ihrem Buch das „Beneficial thinking“, also förderliches Denken. Ist das etwas anderes als positives Denken?
Positives Denken heißt ja nur: Ich finde alles schön, akzeptiere alles, wie es ist. Das ist natürlich Unsinn, vieles ist eben nicht schön. Beneficial thinking erklärt, wie unser Gehirn funktioniert. Es hilft, Probleme anzuerkennen, selbst nach Lösungen zu suchen und zu Antworten auf die Fragen zu finden: Was hat mich in diese Situation gebracht? Wer kann mir helfen? Wie komme ich aus dieser Nummer wieder raus? Es bringt uns aber auch dazu zu erkennen, dass wir selbst Fähigkeiten haben, Probleme zu lösen. Das verschafft mehr Zeit für Freude, Erfolge und Fortschritt.
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Sie sprechen in Ihrem Buch auch über die innere Stimme. Woher weiß die eigentlich, was sie zu sagen hat?
Sie entwickelt sich durch die Erziehung und Erfahrung. Unser Körper speichert alle Erfahrungen, das beginnt schon im Mutterleib. Vor allem die Grundsätze, die wir als Kind erfahren, prägen uns.
Haben Sie da ein Beispiel?
Vieles stammt aus der Kindheit. Viele Eltern nehmen ihren Kindern heute zum Beispiel alles ab. Die Erfahrung, die das Kind dabei abspeichert, lautet: „Ich kann das nicht. Ich bin nicht gut genug.“ Und so behaupten diese Kinder im Erwachsenenalter „Ich schaffe das nicht, ich bin so, ich kann mich nicht ändern“. Ein solcher Glaubenssatz wirkt im Erwachsenenalter wie in Stein gemeißelt. Das stimmt aber ja nicht. Unser Gehirn ist formbar. Es verändert sich ein Leben lang. Jeder Erwachsene kann alte Glaubenssätze hinterfragen und neue anlegen. Und selbst wenn ich etwas noch nicht kann, bedeutet das nur eines: Ich kann es lernen.
Was macht es mit einem Kind, wenn wir es vor dem Scheitern und schlechten Erfahrungen bewahren?
Ich glaube, es besteht ein großes Missverständnis darüber, was Glück bedeutet. Und gerade in der Erziehung kann man dadurch Fehler reinbringen. Eine glückliche Kindheit bedeutet nicht, dass das Kind immer glücklich ist, dass seine Wünsche immer erfüllt werden. Denn Glück entsteht beim Tun, beim Erleben, beim Schaffen, denn nur dabei entstehen neue Gehirnverbindungen, Hormone werden ausgeschüttet. Sowohl bei Erfolg als auch bei Misserfolg. Ein Kind braucht also auch die Freiheit zu scheitern. Wenn wir Kindern alles abnehmen fehlt diese Erfahrung und damit auch einer der wichtigsten Schutzfaktoren gegen Angst, Stress und Abhängigkeit im Erwachsenalter. Aus diesen Kindern werden also Erwachsene, die nicht gelernt haben, selbst an ihrem Glück zu arbeiten.
Hat das auch Auswirkungen auf unsere Beziehungen untereinander?
Auf jeden Fall. Denken Sie an Streitigkeiten in Partnerschaften. Wir neigen oft dazu, dem anderen Vorwürfe zu machen, statt die eigenen Denkmuster unter die Lupe zu nehmen und eine Verbindung zu uns selbst aufzunehmen. Aber ich kann meinen Partner ja gar nicht ändern.
Worum geht es in solchen Streitigkeiten denn beispielsweise?
Oft tatsächlich am Ende auch um Glück. Wir erwarten, dass der Partner uns glücklich macht. Vielleicht klingt das unromantisch, aber es trägt maßgeblich zur Zufriedenheit bei, wenn ich dieses Denkmuster ablege und sage: Jeder ist für sein Glück selbst zuständig. Die Folge ist: Ich passe auf mich auf, ich kümmere mich darum, dass ich selbst Freude erlebe, ich arbeite daran, dass ich selbst meine Ansprüche erfülle. Das ist pragmatisch, weil ich auf mein eigenes Denken viel mehr Einfluss habe als auf das meines Partners. Mein Gehirn hört nur auf mich. Wenn der andere mir dann zusätzlich noch etwas gibt, ist das schön. Aber es ist eben kein Zwang. Das verhält sich auch in der Beziehung zu unseren Kindern so. Auch da müssen sich Eltern um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern. Wenn ich mein Leben nur an meinen Kindern ausrichte, dann gehen die mit 18 Jahren aus dem Haus und nehmen mein Leben mit.
Gibt es Übungen für das Gehirn, die helfen, vorteilhaft zu denken?
Ja ganz viele. Es ist wichtig zu wissen, und das wird im Buch erklärt, dass es nicht ein Gehirn gibt, das alles macht. Es ist eher wie in einer Firma mit verschiedenen Mitarbeitern. Einer ist dafür da, dass ich mich aufrege, einer dafür, dass ich mich beruhige, einer verwaltet das Gedächtnis, der nächste die Aufmerksamkeit, einer die Belohnung, den schönsten Job hat die Glücksfee. Sie ist zuständig für Motivation und Glück. Wenn ich gerade meine Kinder angeschnauzt habe, weil die zum Beispiel laut sind, dann weiß ich: Das bin gar nicht ich, die da schreit, das ist nur ein Teil von mir, nämlich mein inneres Krokodil, beziehungsweise mein Reptiliengehirn. Ich kann also trainieren zu merken, wann das Krokodil aufwacht und dann bewusst sagen: Stopp, atme, denke und handle! Damit wird das Krokodil über die Zeit gezähmt.

Karella Easwaran erklärt in ihrem Buch, wie die Beneficial Thinking Methode Lebensfreude und mentale Stärke zurückbringen kann.
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Warum wacht das Krokodil überhaupt auf?
Es ist der Teil des Gehirns, der uns vor lebensgefährlichen Situationen warnt und uns in eine Art Kampfmodus bringt. Unser Gehirn ist in erste Linie da, unser Leben vor Gefahr zu schützen. Das hat es sich über Jahrtausende antrainiert. Aber natürlich sind wir heute selten im Überlebenskampf, wenn wir uns aufregen. Meistens haben die Kinder einfach ein Glas umgeworfen oder der Nachbar vergessen, den Mülleimer wieder wegzuräumen. Das Aufmerksamkeitszentrum im Gehirn, die Eule, kann aber nicht differenzieren. Das meldet nur Lebensgefahr oder eben nicht.
Und was mache ich dann, statt mich aufzuregen?
Fragen Sie sich: Ist die Situation wirklich lebensgefährlich? Wenn Sie Nein sagen können, beruhigt das Ihr Krokodil schon und Sie finden Ihr Verhalten vielleicht sogar lächerlich. Sagen Sie sich bewusst, dass Sie sich wegen solcher Lappalien nicht aufregen wollen. Und erinnern Sie sich beim nächsten umgekippten Glas daran. Aber auch wenn die Aufregung verständlich ist, weil etwas Schwerwiegenderes schief geht, wir zum Beispiel den Job verlieren, kann ich die Lage nur ändern, wenn ich eine Lösung suche. Und das kann ich nur, wenn ich den Stressmodus verlasse.
Sind wir als Gesellschaft heute anfälliger für negative Denkmuster als früher?
Die Corona-Pandemie hat vielen Menschen die Freude am Miteinander geklaut. Und stattdessen suggeriert uns Social Media, dass dieses Miteinander auch in der digitalen Welt stattfinden kann. Das ist aber nicht real. Wenn wir am Handy sitzen, statt uns zu treffen, dann nimmt uns das einen großen Teil der Menschlichkeit weg. Spüren, riechen, dreidimensionales Sehen – all das fehlt. Social Media gaukelt uns wie eine Droge vor, unsere Freunde zu ersetzen. Der wichtigste Faktor, um unsere negative Stimmung zu verbessern, sind echte Menschen. Unser Gehirn, das sich über Jahrmillionen entwickelt hat, kommt mit Social Media leider nicht klar.
Als erstes Land weltweit verbietet Australien nun die Nutzung von Sozialen Medien für Unter-16-Jährige. Ein Modell, das Sie unterstützen?
Auf jeden Fall! Wir dürfen nicht vergessen, dass über diese Kanäle zudem unglaublich viel Hass und Hetze verbreitet werden. Außerdem Angst. Darauf baut das System auf, weil Angst natürlich unsere Aufmerksamkeit bindet. Das Krokodil übernimmt dann das Kommando. Sie wissen schon. Gegen die Angst helfen würde der reale Kontakt mit Menschen, weil er uns durch das Erleben von evolutionär entstandenen Werten wie Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft beruhigen könnte.
Wenn Sie unseren Leserinnen und Lesern einen zentralen Gedanken aus dem Buch mitgeben könnten, welcher wäre das?
Jeder ist in der Lage, sein Glück zu finden und jeder ist ein individuelles Wunderwerk der Natur. Glück hängt nicht so sehr von Ereignissen und Umständen ab, wir können es durch unser Denken vielmehr selbst beeinflussen.

