Vegan? Nicht nötig!So werden Sie ein besserer Fleischesser - Für Klima und Gesundheit

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55 Kilogramm Fleisch haben die Deutschen 2021 Pro-Kopf durchschnittlich verdrückt.

Köln – Was wir essen, ist eine zutiefst persönliche Angelegenheit. Es ist schließlich eines der grundlegendsten unserer menschlichen Bedürfnisse. Kein Wunder also, dass die Debatte darüber, was wir essen sollten oder dürfen, häufig emotional verläuft. Um wahrscheinlich kein anderes Lebensmittel wurde in den letzten Jahren so heftig gestritten, wie über Fleisch. Dabei ist eine faktenbasierte Debatte über unseren Fleischkonsum wichtiger denn je: Der Fleischhunger ist in den westlichen Industriestaaten mittlerweile so groß geworden, dass er nur noch über ein zutiefst destruktives System gestillt werden kann – mit grausamen Folgen für die Tiere. Doch auch unsere eigene Gesundheit und der Planet leiden massiv unter den Dimensionen, die der Fleischverzehr in Ländern wie Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten angenommen hat.

Hoher Fleischkonsum nur mit Massentierhaltung möglich

759 Millionen Tiere starben 2020 in deutschen Schlachthöfen. So viele Tiere aufzuziehen, ist nur auf engstem Raum in einem hochindustrialisierten System möglich. Mit artgerechter Tierhaltung hat das nichts mehr zu tun. Das wollen immer mehr Deutsche nicht mehr. Rund 70 Prozent der Konsumenten haben sich 2021 in einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Civey im Auftrag von ProVeg für ein Verbot der Massentierhaltung ausgesprochen. Und tatsächlich sinkt der Fleischkonsum hierzulande seit einigen Jahren langsam, aber kontinuierlich.

Dem „Fleischatlas“ der Heinrich-Böll-Stiftung zufolge wollen rund 96 Prozent der Veganer sogar noch weiter gehen und die Nutztierhaltung komplett abschaffen. Von den Vegetariern will das immer noch etwa die Hälfte. Doch ist das wirklich nötig, oder gibt es nicht auch einen Weg zwischen Massentierhaltung und einer rein veganen Welt? Ist es möglich, weiterhin Fleisch zu essen, ohne der Gesundheit und dem Planeten zu schaden?

Zur Person

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Dr. Markus Keller

Dr. Markus Keller ist Ernährungswissenschaftler, Leiter des Forschungsinstituts für pflanzenbasierte Ernährung (IFPE) und Lehrbeauftragter an der Wilhelm Büchner Hochschule. Er hatte die erste Vegan-Professur der Welt inne.

In seinem neuen Buch „Öfter mal die Sau rauslassen“ zeigt er gemeinsam mit der Ernährungswissenschaftlerin Anette Sabersky auf, warum uns unser hoher Fleischkonsum auf vielfältige Weise schadet und wie der Weg zu einer gesünderen Ernährung für Tier, Planet und uns selbst gelingt.

Der Ernährungswissenschaftler Markus Keller hat in seinem neuen Buch „Öfter mal die Sau rauslassen“ den aktuellen Stand der Forschung zusammengefasst und entwickelt auf dieser Basis eine Empfehlung für eine zukunftsgerechte Ernährung. Die gute Nachricht für Fleischliebhaber lautet erstmal: Wir müssen nicht alle Veganer werden! Die schlechte Nachricht allerdings ist: Wir müssen viel weniger Tiere essen!

Zu viel Fleisch schadet der Gesundheit

Weniger Fleisch zu essen, ist auch aus eigennützigen Gründen notwendig. Denn: Der aktuell extrem hohe durchschnittliche Fleischkonsum schadet unserer Gesundheit. Etwa 55 Kilogramm Fleisch hat jeder Deutsche 2021 statistisch gesehen gegessen. Das ist enorm viel und es ist enorm ungesund, wie Keller beschreibt. Denn zahlreiche der heute am weitesten verbreiteten Zivilisationskrankheiten können auch auf einen (zu) hohen Fleischverzehr zurückgeführt werden.

Etwa Diabetes Typ 2 und Bluthochdruck – zwei der verbreitetsten Wohlstandserkrankungen überhaupt. Zu diesem Ergebnis ist etwa die Adventis Health Study 2 (AHS-2) gekommen, eine US-Langzeitstudie, die vor rund 20 Jahren begonnen wurde und mit mehr als 96 000 Teilnehmenden die größte Veggie-Studie weltweit ist. Demnach hatten Veganer ein um 50 Prozent verringertes Risiko, daran zu erkranken. Neben dem Ernährungsstil sei allerdings auch ein Faktor gewesen, dass Menschen, die sich rein pflanzlich ernähren, häufig ein gesünderes Gewicht haben.

Veganer und Vegetarier haben einen niedrigeren BMI

In Deutschland sind 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen zu dick. Die AHS-2 habe laut Keller gezeigt, dass „Allesesser“ im Durchschnitt einen Body-Mass-Index (BMI) von 28,8 hatten, also übergewichtig waren. Bei Veganern lag der BMI hingegen bei 23,6 und bei Vegetariern bei 25,7. „Durch eine Vielzahl von Langzeitstudien ist belegt: Die höchste Lebenserwartung haben wir bei einem BMI zwischen 20 und 25“, erklärt der Ernährungswissenschaftler.

Ein weiterer Risikofaktor von zu hohem Fleischkonsum sind Herzkrankheiten. Doch auch hier zeigte eine große Metaanalyse aus dem Jahr 2017, in die fünf Langzeitstudien mit über 65000 Teilnehmenden eingeflossen sind: Das Risiko, an einer koronaren Herzkrankheit zu erkranken, ist bei pflanzenbasierten Kostformen um etwa 25 Prozent geringer als bei Ernährung mit Fleisch. „Das ist also ein Viertel weniger – unabhängig von anderen Risikofaktoren, die ebenfalls die Herzgesundheit beeinflussen“, erläutert Keller.

Mehrere Studien seien zu dem Ergebnis gekommen, dass das Risiko für einen akuten Herzinfarkt und die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen direkt mit der Fleischmenge zusammenhängen. Pro 100 Gramm Fleisch und Wurst täglich erhöhe sich demnach das Risiko um 150 Prozent. Besonders schlecht fürs Herz seien den Studien zufolge Wurst und Schinken: Laut einer großen britischen Studie hatten die Teilnehmenden, die täglich mehr als 160 Gramm Wurst aßen, ein 72 Prozent höheres Sterberisiko durch Herz-Kreislaus-Erkrankungen als diejenigen, die eher Maß hielten und nur etwa 10-20 Gramm Wurst pro Tag aßen.

Fleisch wird auch immer wieder als Risikofaktor für Krebserkrankungen angeführt. Hier sei die Datenlage allerdings weniger eindeutig, beschreibt Keller: „Die Bedeutung der Ernährung für die Krebsentstehung konnte noch nicht bis auf das letzte Prozent geklärt werden.“ Dennoch gelte es als weitgehend gesichert, dass Krebs durch den Konsum von Fleisch gefördert werde: „Das Risiko für verschiedene Krebsarten steigt durch den Verzehr von rotem Fleisch mit der Menge, die gegessen wird. Vor allem Fleischwaren sind riskant“, heißt es in Kellers Buch. Mit Fleischwaren sind verarbeitete Produkte wie Schinken oder Wurst gemeint. Diese sind 2015 von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) als krebserregend für den Menschen eingestuft worden. Rotes Fleisch wurde als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft.

Fleisch schadet dem Klima und der Umwelt

Weniger persönlich und deswegen oft umso strittiger sind die Auswirkungen des westlichen Fleischhungers auf die Umwelt. Doch zur Wahrheit gehört, dass die intensive Nutztierhaltung zum Klimawandel und dem Verlust der Biodiversität beiträgt. Insgesamt ist die Welternährung für rund ein Drittel des globalen Treibhausgasausstoßes verantwortlich.

Allein auf die Viehhaltung entfallen 14,5 Prozent der Treibhausgase. Verantwortlich dafür sind vor allem Methan-Emissionen, die besonders durch Rinder entstehen, sowie Lachgas-Emissionen als Folge der Stickstoffdüngung. Das Umweltbundesamt (UBA) schätzt, dass die deutsche Landwirtschaft 2021 entsprechend einer ersten Schätzung für insgesamt 54,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente verantwortlich war. Das ist vergleichbar mit dem Anteil der gesamten Industrieprozesse hierzulande und somit alles andere als unerheblich.

Riesiger Flächenverbrauch duch tierische Lebensmittel

Auch der Flächenverbrauch für tierische Lebensmittel ist enorm. Allein Deutschland verbraucht mehr landwirtschaftliche Anbaufläche, als wir eigentlich haben, wie Keller darlegt: „Unsere eigenen Nutzflächen – das sind 16 Millionen Hektar – reichen schon längst nicht mehr aus, um unseren Appetit auf Schnitzel, Salami, Milch und Käse zu stillen. Darum belegen wir auch in anderen Ländern jede Menge Ackerflächen, auf denen Futterpflanzen für unser Fleisch, unsere Milch und unseren Käse angebaut werden.“

Unter dem Strich werden auf rund 70 Prozent der Böden und Flächen, die hier und in fernen Ländern für unsere Ernährung genutzt werden, Futterpflanzen angebaut. Dafür gehen etwa 42 Prozent auf das Konto der Fleischerzeugung und 25 Prozent dienen der Herstellung von Milch und Milchprodukten. Auf dem Rest der Anbauflächen, also auf etwa 30 Prozent, wachsen pflanzliche Lebensmittel wie Getreide, Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst und Nüsse.

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Und damit nicht genug, denn von diesen flächen- und ressourcenintensiv angebauten Lebensmitteln werden nicht einmal alle tatsächlich gegessen. Jedes Jahr landen weltweit schätzungsweise 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel im Müll, die noch essbar wären. In Deutschland liegen diese Lebensmittelverluste bei etwa zwölf Millionen Tonnen pro Jahr.

Besonders tragisch ist diese Zahl, wenn man betrachtet, wie viele Tiere im Prinzip für den Müll geschlachtet werden: Allein in Deutschland sterben Keller zufolge jedes Jahr 100 Millionen Tiere, ohne dass ihr Fleisch gegessen wird. Weltweit seien 2016 laut dem „Fleischatlas“ fast zwölf Prozent des erzeugten Fleisches zwischen Schlachthof und Einzelhandel verloren gegangen. Das entspricht 8,7 Milliarden Tieren. Hinzu kommt der Fleischmüll, der im Supermarkt oder in den Privathaushalten entsteht. Hierbei gelte, so Keller: „Je billiger das Fleisch, desto geringer die Wertschätzung“.

Der Sonntagsbraten als Zukunftsmodell

Wie kann es also besser gehen? Nur noch Biofleisch aus artgerechter Tierhaltung? Für Keller ist das nur ein Teil der Lösung: „Viel wichtiger ist, dass wir den Konsum von tierischen Lebensmitteln stark zurückfahren – oder ganz aufhören, sie zu essen.“ Wie das aussehen kann, hat zum Beispiel die EAT-Lancet-Kommission erforscht. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 16 Ländern unter Leitung des bekannten Ernährungswissenschaftlers Prof. Walter Willett von der Harvard Medical School. Auf Basis umfangreicher wissenschaftlicher Studien haben die Experten erstmals ein Modell für eine klimagerechte Ernährung entworfen, die zudem gesund für den Menschen ist: Die „Planetary Health Diet“.

Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, müsste sich der heutige weltweite Verzehr von Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Nüssen demnach in etwa verdoppeln und der Konsum von Fleisch und Zucker halbieren. Konkret bedeutet das: Mindestens 80 Prozent unserer Nahrung muss zukünftig pflanzlich sein, der Rest kann, muss aber nicht vom Tier kommen. Insgesamt müssten die Europäer ihren Fleischverzehr auf 15 Kilogramm pro Jahr senken, also um drei Viertel.

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Dr. Markus Keller, Annette Sabersky, Öfter mal die Sau rauslassen!, Ulmer, 20 Euro

In der Praxis hieße das: Einmal pro Woche darf es ein Stück Fleisch geben. Zurück zum Sonntagsbraten also. „Es geht überhaupt nicht darum, alles zu verbieten“, betont Keller. Es muss also nicht rein pflanzlich sein, aber pflanzenbasiert, wie Experten eine Ernährung, die zum größten Teil aus nicht-tierischen Lebensmitteln besteht, nennen. Oder wie Markus Keller es formuliert: „Mein Motto lautet: Wir müssen nicht alle Veganer werden, aber wir sollten alle immer veganer werden.“

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