Für unter 200 EuroForscher entwickeln Lüftungsanlage für Schulen zum Selberbauen

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

Eltern und Lehrer haben die Test-Anlage in Mainz selbst aufgebaut. Die Idee ist, das auch Schüler in einer Projektwoche umsetzen zu lassen.

  • Um die Corona-Ansteckungsgefahr in Klassenräumen zu verringern, sollen vermehrt Lüftungsanlagen eingesetzt werden. Die sind aber teuer und oft vergriffen.
  • Nun haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie eine Abluftanlage entwickelt, die aus günstigem Material aus dem Baumarkt besteht und leicht selbst nachgebaut werden kann.
  • Seit das Projekt publik ist, sind schon 2000 Anfragen aus dem In- und Ausland eingegangen, sagt Projektleiter Dr. Frank Helleis. Er erzählt, wie die Anlage genau funktioniert und warum man damit ganz schnell vielen Schulen helfen könnte.

Sie und Ihre Kollegen vom Max-Planck-Institut in Mainz haben eine Abluftanlage für Klassenräume erfunden – was ist das Besondere an Ihrem Projekt? Dr. Frank Helleis: Wir haben uns überlegt, wie man mit einfachen Mitteln und wenig Geld den Schulen bei der Lüftung der Klassenräume aus der Misere helfen kann. Dabei wenden wir das simple Prinzip der Dunstabzugshaube an. Über jedem Sitzplatz im Klassenraum wird eine Abzugshaube angebracht, diese werden mit Rohren verbunden und zum Fenster geführt, wo die kontaminierte Luft mit einem Ventilator nach draußen geblasen wird. So einfach ist das.

Haben Sie das auch in einer Schule ausprobiert?

Meine Frau ist Lehrerin an einer Schule in Mainz und als ich dort anfragte, ob wir das Projekt dort ausprobieren könnten, waren sie sofort Feuer und Flamme. Denn die Schulen suchen natürlich seit Monaten nach Konzepten, um das Lüftungsproblem in Corona-Zeiten zu lösen. Herkömmliche Abluftanlagen sind oft zu teuer oder nicht verfügbar. Außerdem unterstehen sie Bauvorschriften und Brandschutzauflagen. Wir haben Sachverständige der Schulträger vor Ort gehabt und bis jetzt nur positives Feedback für unsere Konstruktion erhalten.

Wie genau funktioniert die Anlage und wie testen Sie?

Wir haben zunächst Pappkartons mit Rotlichtlampen an jedem Platz verwendet, um quasi einen Schüler zu simulieren. Und dort einen Aerosol-Generator platziert, um einen infektiösen Körper nachzuahmen. Anschließend haben wir gemessen, wie viel des ausgestoßenen Aerosols in der Abluftanlage zu finden ist und wie viel in den Klassenraum eingemischt wird. Es hat sich herausgestellt, dass tatsächlich über 90 Prozent der Aerosole eingefangen werden können. Wir waren selbst sehr überrascht. Dieses erste Experiment hat schon so viel besser funktioniert, als wir erwartet hatten.

Neuer Inhalt

So soll die fertige Abluftanlage in einem Klassenraum aussehen (Skizze).

Und wie geht es jetzt weiter?

Wir müssen noch Randbedingungen prüfen und sind gerade dabei, das in einer echten, vollbesetzten Klasse weiter zu testen, zum Beispiel mit Seesalz-Aerosolen, also gesunder Meerluft. Parallel dazu unternehmen wir CO2-Messungen. Die Schüler machen normal Unterricht und wir messen nebenher.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie viel kostet es, so eine Anlage zu bauen?

Wir haben in kleinen Mengen im Baumarkt eingekauft, es ist zum größten Teil Verpackungsmaterial, und das hat maximal 200 Euro pro Anlage gekostet. Das ist so viel günstiger als eine professionelle Lüftungsanlage, die mindestens das Zehnfache kosten würde.

Die Summe für die Lüftungsanlage kann von einem Schul-Förderverein problemlos finanziert werden. Hier in Mainz ist die Resonanz so positiv, dass auch die Gebäudewirtschaft sofort zugesagt hat, diese Kosten zu übernehmen.

Und der Bausatz kann auch von Laien umgesetzt werden?

Ja. Unsere bisher vorhandenen Anlagen wurden von Eltern und Lehrern aufgebaut. Wir werden in Kürze die Baubeschreibung für jeden online stellen. Und geben dann Quellen an, wo jede Schule ihr Material bestellen kann. Dabei stehen wir selbstverständlich mit Rat und Tat zur Seite.

Die wenigen etwas komplizierteren Teile kann man vorfertigen, in den Schulen werden sie dann praktisch nur noch mit selbst geschnitten Rohren zusammengesteckt. Manche Dinge müssen dann ggf. noch vor Ort angepasst werden, wie zum Beispiel der Fensteransatz.

Es haben sich auch Firmen bei uns gemeldet, die gerne einsteigen und unterstützen würden. Wenn zum Beispiel komplexere Teile in großen Mengen lieferbar sind, dann wäre es noch einfacher.

Neuer Inhalt

Ein Großteil der Bauelemente der Abluftanlage lässt sich leicht zusammenstecken.

Machen denn bereits viele Schulen mit?

Wir haben in den letzten Tagen ca. 2000 Anfragen aus dem ganzen Land bekommen, sogar aus Italien und Spanien. Es zieht riesige Kreise!

Für wie realistisch halten Sie es, dass das bundesweit umgesetzt wird? 

Als Lehrer-Schüler-Projekt hat es eine gute Chance, denke ich. Die Idee war, dass man typische Nadelöhre umgeht, indem man es mit leicht zugänglichem Material plant und sehr viele Menschen zum Bauen akquiriert. Durch die vielen engagierten Lehrer und Eltern haben wir ein unfassbares Potential an Arbeitskräften. Wenn ein paar Teile vorbereitet sind, kann ein Trupp von vier Leuten an einem halben Tag so eine Anlage installieren. Es ist denkbar, dass eine Schule das innerhalb einer Projektwoche macht.

Wäre Ihre Lüftungsanlage auch geeignet für Kitas?

Im Prinzip ja. Wofür es sich aber vor allem auch eignen würde, wären Restaurants, wo die Leute ja auch in kleinen Gruppen zusammen sitzen.

Warum hat man so etwas eigentlich nicht früher erfunden?

Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es einfach zu simpel. Es ist ja im Grunde wirklich eine absolute Butterbrotpapier-Lösung und kein Hightech. Wir nutzen physikalische Tricks aus, die seit tausend Jahren bekannt sind.

Und fühlt es sich an, wenn man als Forscher etwas entwickelt, das alle gerade brauchen können?

Ehrlich gesagt bin ich etwas geflasht. Aber ich nehme es mit Humor.

KStA abonnieren