Streitfrage der WocheDarf man sich eine Putzkraft leisten?

Viele Haushalte leisten sich Putzkräfte. Die Redaktion streitet über die Frage, ob das vertretbar ist.
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- Wöchentlich streitet die Redaktion über ein Frage, diesmal: Darf man sich eine Putzkraft leisten?
- Ja, sagt Redakteur Jonah Lemm: Geld gegen Zeit ist oft ein guter Tausch. Er muss aber fair bezahlt werden.
- Nein, sagt Ressortleiterin Claudia Lehnen: Indem wir uns freikaufen, etablieren wir ein ungerechtes Klassensystem.
Jonah Lemm, Pro: Geld gegen Zeit ist oft ein guter Tausch. Er muss aber fair bezahlt werden.Ich komme aus einer Familie, die nicht wahnsinnig wenig, aber auch nie wahnsinnig viel Geld hatte. Meine Eltern gönnten sich selbst kaum Luxus, wenn, dann nur an Weihnachten, an Jubiläen. Und am Montag jeder Woche. Dann kam Barbara, unsere Putzkraft. Schon in meinen frühsten Erinnerungen war sie da. Als ich mich zu Fuß zur Grundschule aufmachte, trank sie in unserer Küche vor Arbeitsbeginn noch einen Kaffee mit meiner Mutter. Und als ich mit Anfang 20 auszog, leistete sie meinen Eltern noch einige weitere Jahre staubsaugend und wisch-plauschend Gesellschaft.
Barbara gehörte irgendwie zur Familie. Aus dem Urlaub brachte sie uns Souvenirs oder Pralinen mit, hatte sie Geburtstag, riefen wir an und gratulierten. Sie kam gern, und wir hatten sie gern da. Natürlich auch, weil sie meinen Eltern half. Die versuchten zwar an den anderen sechs Tagen, den Haushalt so sauber wie möglich zu halten. Aber eine Grundreinigung, dafür hätten sie einmal pro Woche zwischen Arbeit und Kinderbetreuung einfach nicht die Zeit gehabt.
Zeit in Familie und anderes investieren
Oder besser: Die Zeit, die ihnen neben dem Job blieb, wollten sie lieber ins familiäre Zusammensein investieren. Heute halte ich das mehr denn je für einen sehr klugen Gedanken: Geld gegen Zeit, das ist oft ein guter Tausch. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass diejenigen, die sich arm an Zeit fühlen, weil sie versuchen, alles selbst zu erledigen, mehr Angst, Depressionen und Stress haben. Und was spricht denn dagegen, eine Aufgabe an jemanden abzugeben, der Experte ist? Wenn mein Auto kaputt ist, versuche ich ja auch nicht mühselig, es selbst zu reparieren, sondern fahre in die Werkstatt. Wenn ich nach einem langen Tag keine Lust mehr habe zu kochen, hole ich mir eben etwas zu essen vom Restaurant um die Ecke. Gleiches Prinzip. Nur da anscheinend weniger verwerflich, als wenn es ums Putzen geht. Weil, klar, wir das selbst oft gar nicht so toll, manchmal auch eklig finden. Und deswegen Mitleid mit den Menschen haben, die das beruflich machen.
Wenn wir allerdings so von uns selbst auf andere schließen, setzen wir gerade dadurch den Beruf der Reinigungskraft herab. Wir stigmatisieren. Das kann ja niemand gern machen, das muss ja Ausbeutung sein. Nein, muss es nicht. Genauso wie es Menschen gibt, die Spaß daran haben, Autos zu reparieren oder zu kochen, wird es Menschen geben, die gern putzen.
Wer das hingegen als moderne Sklaverei darstellt, der hilft damit am wenigsten den Menschen, die damit ihr Geld verdienen. Das nämlich zeugt von mangelnder Anerkennung für ihre Arbeitsleistung, von der Vorstellung, Putzen dürfe keine Profession sein.
Dabei machen Reinigungskräfte einen Job wie jeder andere – und den eben oft auch besser als wir Mopp-Amateure. Dafür müssen sie natürlich fair bezahlt werden. Das aber ist ja auch keine Utopie. Wer eine Putzkraft über eine seriöse Vermittlerfirma findet, der zahlt längst mehr als Mindestlohn – und für die Sozialversicherung noch dazu.
Und lässt noch ein bisschen Trinkgeld auf dem Esstisch liegen. Als Zeichen der Dankbarkeit. Und des Respekts.
Claudia Lehnen, Contra: Geld gegen Zeit ist oft ein guter Tausch. Er muss aber fair bezahlt werden.

Jonah Lemm
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Wer jemals nach einem langen Tag von der Arbeit nach Hause gekommen ist und empfangen wurde von: Einem heulenden Kind, das eine Fünf in Mathe verkündet, einem Wäscheberg, dreckigem Geschirr und Tomatensoße, die den Küchenboden verklebt, der wünscht sich: Einfach jemanden, der all den Dreck wegmacht. Die Versuchung ist gerade bei denjenigen groß, die gut verdienen und argumentieren: Ich bin erfolgreich im Beruf, die Hausarbeit, die lass ich mir abnehmen. Steht mir irgendwie zu.
Was dabei vergessen wird: Gerade privilegierte Frauen geben damit eine Ungerechtigkeit weiter, von der sie sich gerade befreit zu haben glaubten. Denn so wie die eigene Mutter früher durch ihr unbezahltes Bodenschrubben dem erfolgreichen Gatten den Weg zum Geld ebnete, so ermöglicht die niedrig bezahlte Reinigungskraft heute ihrer Geschlechtsgenossin ein Leben, in dem die sich nur noch um die finanziell lohnenswerte Arbeit kümmern muss. Indem wir uns freikaufen von Alltagspflichten, etablieren wir damit ein Klassensystem, das Ungerechtigkeit wieder manifestiert. Denn: Wer erntet am Ende die finanzielle Freiheit? Wer die Altersarmut? Und: Wer reinigt eigentlich die Wohnung der Reinigungskraft?
Wir unterstützen das ungesunde Wirtschaften
Gleichzeitig ändern wir so am bestehenden, auf Machtgefällen aufgebauten Wirtschaftssystem nichts. Dadurch, dass wir auf Kosten von meist weiblichen, oft migrantischen weniger Privilegierten Karriere machen, kann das ungesunde Wirtschaften weiter funktionieren. Wir unterstützen, dass unsere Gesellschaft viel Geld investiert in die Produktion von Gütern und in die Vermehrung der Finanzen und wenig Geld in das, was Voraussetzung ist für gesunde Arbeitskräfte: Ein optimales Bildungssystem, Erziehung, Pflege, aber auch das Schaffen eines Zuhauses, in dem wir uns wohl fühlen.
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Würden wir unbezahlte Arbeit gleichmäßig auf alle verteilen, trüge das automatisch zu einer gerechteren Gesellschaft bei. Weil dann auch der Anwalt einsehen müsste, dass es nottut, drei Stunden früher das Büro zu verlassen, um dem Schmutz der heimischen Toilette mit der Bürste zu Leibe zu rücken. Er würde seinem Tun im Büro denselben Wert beimessen wie dem Fensterputzen im eigenen Haushalt. Einfach weil er für beides seine Zeit aufwenden müsste. Dadurch könnte sich auch unsere Arbeitswelt verändern. Hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften. Das anerkennt, dass wir für Wohlstand und Glück beides brauchen: Erwerbsarbeit und Care-Arbeit. Und dass wir deshalb einen Ausgleich schaffen müssen. Davon würden dann auch diejenigen profitieren, die überproportional viel dieser unbezahlten Schicht schultern:
Alleinerziehende, Familien mit vielen Kindern, pflegende Angehörige.Und wenn wir so weit sind, dann kann derjenige, der lieber an Photovoltaik forscht, als seine Fenster zu putzen, wieder jemanden anstellen, der ihm den streifenfreien Blick gewährt. Allerdings zu einem Lohn, der es auch der Reinigungskraft erlaubt, mit ihrer Familie ins Kino zu gehen, zu verreisen und später eine gute Rente zu haben. Es sei denn, unsere Gesellschaft hat bis dahin so viel in Bildung investiert, dass die Reinigungskraft sich noch mal weiterbildet. Und vielleicht auch lieber an Photovoltaik forscht. Aber das wäre ja ein schöner Effekt.