Das Streitgespräch der WocheGezwungenes Du im Büro – muss das sein?

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Büro Gespräch Symbolbild

Gespräche im Büro können manchmal heikel sein, auch die Anrede an Chefin oder Kollegen können den Ausschlag geben, wie der Dialog verläuft.

  • Der Versandhändler Otto tut es, der Chemiekonzern Merck auch, und bei Start-ups ist es Gesetz: das Du am Arbeitsplatz. Aber wie sinnvoll ist das eigentlich? Unser Streitgespräch der Woche.
  • Angela Sommersberg hat das Sie in ihrem Auslandssemester in Schweden nicht einmal vermisst – das könnte auch im Büro gelten.
  • Martin Böhmer findet, dass es viel ehrlicher und persönlicher ist, beim respektvollen Sie zu beginnen und sich irgendwann das Du anzubieten.

Pro: „Von der Sekunde an, in der ich alle duze, vergesse ich doch nicht den Respekt“ An den Gesichtsausdruck meiner Schwedisch-Dozentin erinnere ich mich noch gut. Nach einer der ersten Stunden hatten wir sie noch etwas fragen wollen – und formulierten mit einem höflichen deutschen Sie. Was wir bekamen war erst mal keine Antwort, sondern einen Blick, der irgendwo zwischen Irritation, Überraschung und Missverständnis changierte. „In diesem Kurs duzen wir uns“, sagte sie. 

Die Dozentin hatte eine Sitte mit an die Kölner Universität gebracht, die in ihrer Heimat gang und gäbe ist: In Schweden duzt sich jeder. Wirklich jeder. Der König ist die einzige Ausnahme. Die Du-Reform in den 70er-Jahren ist Ausdruck des schwedischen Wohlfahrtsstaates, in dem jeder Mensch gleich sein soll.

Angela Sommersberg

Angela Sommersberg, 32, ist Redakteurin im Magazin und hat das Sie in ihrem Auslandssemester in Schweden kein einziges Mal vermisst. 

In den 13 Jahren, die zwischen meinem Studienanfang und heute liegen, habe ich viele Artikel über Schweden geschrieben, ich habe Einwohner und Königsexperten, Wissenschaftler und Parteivorsitzende interviewt – und für mich waren sie einfach nur Håkan und Gunnel, Arne und Gudrun. Und was soll ich sagen? Es hat mein Arbeitsleben so viel einfacher gemacht. Allein die kurze, angenehme Kommunikation per Mail vorab, um den Termin auszumachen. Und dann im Gespräch: Ohne lange darüber nachdenken zu müssen, ob mein Gegenüber hierarchisch höher oder niedriger steht als ich, jünger oder älter ist, konservativ oder cool, ob ich siezen muss oder schon duzen kann – auf einmal stand das reine Gesprächsthema ganz nackt im Raum und wir konnten uns voll und ganz auf seinen Inhalt konzentrieren. Wie effektiv!

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Rumgeeiere beim Dialog

Und genau deswegen kann ich das Ergebnis einer Studie der Hochschule Osnabrück überhaupt nicht nachvollziehen: Die Mehrheit der 1300 befragten Personen gab dabei an, bei der Arbeit ein variables Modell zu bevorzugen. Und variabel heißt hier: Jeder kann selbst entscheiden, ob er duzt oder siezt. Dieses Rumgeeiere, wenn man sich mit zwei Kollegen unterhält, von denen man einen duzt und den anderen siezt, und sich nur halb auf das Gespräch konzentrieren kann, weil man sich gleichzeitig fragt, ob man jetzt euch oder Ihnen sagt. Und aus Verzweiflung dann jegliche Form der direkten Ansprache mit komplizierteren Satzkonstruktionen komplett umschifft.

Der peinliche Moment, in dem man einen Kollegen aus Gewohnheit siezt, obwohl man doch mittlerweile schon beim Du ist. Oder der Augenblick, in dem einem der Chef gnädigerweise das Du anbietet. Verschwendung von Gehirnkapazität!

Denn von der Sekunde an, in der ich alle duze, vergesse ich doch nicht schlagartig, dass es Höflichkeit, Respekt und Hierarchie gibt. Natürlich ist Gunnel, die Professorin aus Schweden, eine Expertin auf ihrem Gebiet, und natürlich behandele ich sie freundlich und respektvoll, lasse sie ausreden, und bin ihr dankbar, dass sie sich Zeit für das Interview mit mir nimmt. Natürlich bin ich wütend und verletzt, wenn ich bei einem Job gefeuert werde. Völlig egal, ob ich dabei geduzt oder gesiezt werde. Und natürlich bleibt die Anordnung vom Chef eine Anordnung vom Chef, egal ob er nun sagt: „Mach du das.“ Oder: „Machen Sie das.“ Nett wäre jedoch, wenn er dabei eins nicht vergisst: Bitte zu sagen. Genau wie ich.

Angela Sommersberg, 32, ist Redakteurin im Magazin und hat das Sie in ihrem Auslandssemester in Schweden kein einziges Mal vermisst. 

Contra: „Beim Sie zu beginnen und sich dann das Du anzubieten, ist ehrlicher und persönlicher“

Büro Gespräch Symbolbild

Gespräche im Büro können manchmal heikel sein, auch die Anrede an Chefin oder Kollegen können den Ausschlag geben, wie der Dialog verläuft.

Na, wie geht’s dir, lieber Leser? Oh, findest du das unangebracht? Ich auch. Entschuldigen Sie, bitte. Dieses kurze Beispiel der Unhöflichkeit soll zeigen, wie Nuancen der Sprache ihre Wirkung verleihen. Und das gilt auch für das Du am Arbeitsplatz.

Verstehen Sie (!) mich bitte nicht falsch: Ich duze 98 Prozent meiner Kolleginnen und Kollegen und möchte den Redaktionsalltag auch nicht anders erleben. Ich möchte aber auch nicht gezwungen sein, die übrigen zwei Prozent mit Du ansprechen zu müssen, nur weil es mir vorgegeben wird oder man das ja so macht. Angela – wir duzen uns übrigens – argumentiert, dass das Sie distanzierter und unpersönlicher ist. Und was soll ich sagen, sie hat Recht.

Martin Böhmer

Martin Böhmer, 30, ist Redakteur im News-Team und findet ein „erarbeitetes“ Du viel herzlicher und ehrlicher als ein vorgegebenes Du der Chefs.  

Aus diesem Grund finde ich auch nicht, dass man sich am Arbeitsplatz bis zur Rente siezen muss. Ich finde ein Du am Arbeitsplatz sogar gut – aber als Auszeichnung der Kollegialität und Wertschätzung. Beim Sie zu beginnen und sich dann das Du anzubieten fühlt sich eben tausendmal ehrlicher, wichtiger und besser an, als ein Du, das keine Alternative kennt. Erst dann ist es so persönlich und vertraut, wie das aufgezwungene Du gerne wäre.

Das Du, das Führungskräfte verordnen, ist ein Werkzeug, das sofort klarmachen soll: Hier mag man sich – jeder jeden immer. Herzlichkeit mit der Brechstange. Natürlich muss ich mich nicht mit allen Kolleginnen und Kollegen gut verstehen, aber es wär doch schön, wenn es klappt, oder? Das erfahre ich aber nicht, wenn mir gesagt wird: Seid jetzt alle Freunde!

Freundlich und freundschaftlich ist nicht das gleiche

Die Realität ist, dass man im Büro manchmal Distanz braucht, wenn die freundschaftliche Basis noch nicht da ist. Und das ist auch völlig okay, da ein konstruktiver Austausch, Kritik und Diskussionen auf der einen Seite zum Alltag dazugehören und auf der anderen Seite meistens zu einem besseren Ergebnis führen. In besonderen Situationen wie Vertragsgesprächen kann die Distanz sogar die Professionalität unterstreichen. Es spricht jedenfalls nichts dagegen, bei einem Sie zu beginnen, um Respekt auszudrücken. Ich wette, Sie waren häufiger überrumpelt, wenn sie plötzlich geduzt wurden als andersrum.

Da trinke ich doch lieber einen Kaffee mit meinem Vorgesetzten, setze das Projekt mit der Kollegin erfolgreich um und wenn nichts mehr hilft, backe ich zur Not einen Kuchen. Jede Geste und jede geteilte Arbeitserfahrung helfen mir jedenfalls mehr, die anderen zu verstehen und kennenzulernen als ein Du-Diktat.

Hoffentlich werde ich jetzt nicht plötzlich von allen Kollegen, die mich nicht leiden können, gesiezt. Falls es doch so kommt, dann wüsste ich zumindest schon bei der Anrede, wie viel Distanz mein Gegenüber wünscht. Oder würden Sie gerne Nähe, Freundlich- und Herzlichkeit zu jemandem spielen, von dem Sie wissen, dass er Sie nicht leiden kann?

Ich freue mich aber über jedes Du, solange es genuin ist. Ich bin übrigens Martin. Oder Herr Böhmer – je nachdem, wie sie meinen Kommentar fanden. 

Martin Böhmer, 30, ist Redakteur im News-Team und findet ein „erarbeitetes“ Du viel herzlicher und ehrlicher als ein vorgegebenes Du der Chefs.

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