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Bei vollem GehaltWas für die Vier-Tage-Woche spricht – und was dagegen

Lesezeit 7 Minuten
4 tage woche

Fast 60 Prozent der deutschen Arbeitnehmer wollen weniger ins Büro.

Köln – Möglichst viel zu arbeiten, gilt bei vielen Menschen noch immer als Statussymbol, zumindest bei Älteren. Jüngeren Menschen scheint es dagegen wichtiger zu sein, nicht zu viel Zeit für den Job aufzuwenden. Sie reduzieren ihre Arbeitszeit freiwillig und arbeiten oft nicht Vollzeit. Die Entscheidung für mehr Freizeit war bisher immer mit Gehaltseinbußen verbunden. Weniger zu arbeiten, musste man sich auch leisten können. Das könnte sich nun ändern. In den USA läuft aktuell ein groß angelegtes Experiment: nur noch vier Tage die Woche arbeiten bei vollem Lohnausgleich. Auch andere Länder haben bereits gute Erfahrungen mit der Vier-Tage-Woche gemacht. Ist sie ein Modell für die Zukunft?

Angestoßen hat das sechsmonatige Experiment in den USA Anfang April die Organisation „4 Day Week Global“ in Zusammenarbeit mit Forschern vom Boston College und der Universität Oxford. 38 Unternehmen beteiligen sich daran. Das ist für die Vereinigten Staaten ziemlich revolutionär, weil gerade hier die Workaholic-Kultur zelebriert wird. Hinter der Entscheidung für die Vier-Tage-Woche steht die Annahme, dass Mitarbeiter produktiver, kreativer und weniger gestresst sind, wenn sie nur an vier statt fünf Tagen in der Woche arbeiten.

Die Option soll auch dabei helfen, neues Personal zu gewinnen, das möglichst lange bleibt, weil es sich dem Unternehmen verbunden fühlt. Auf der Homepage werden die teilnehmenden Unternehmen – erwartungsgemäß – nur mit positiven Erfahrungen zitiert: „Die Vier-Tage-Woche hat das Leben unserer Mitarbeiter grundlegend verändert – sie haben deutlich weniger Stress und können ihr Berufs- und Privatleben besser miteinander vereinbaren. Unser Team ist stärker und funktioniert besser“, heißt es zum Beispiel von der Managerin einer Technologiefirma. Ein anderer CEO sagt: „Die Vier-Tage-Woche ist eines der besten Dinge, die wir je getan haben. Wir sind während der Arbeitswoche konzentrierter, wir sind genauso produktiv wie vorher, die Moral im Team ist besser und der Arbeitsstress ist geringer.“

Kann man die gleiche Arbeit in weniger Zeit erledigen?

Klingt alles wunderbar, doch ist es wirklich so einfach, seine Arbeit auch mit weniger Zeit zu erledigen? Carsten Schermuly, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule SRH Berlin, sagt: „Wir arbeiten deutlich mehr als unsere Vorfahren das getan haben. Die Frage ist also berechtigt, ob das so sein muss, denn das Leben ist kurz. Viel zu arbeiten bedeutet nicht unbedingt, dass man besonders wichtig ist. Und nur weil wir uns an die 40-Stunden-Woche mit fünf Arbeitstagen gewöhnt haben, muss das nicht für immer so bleiben.“

Wichtigster Streitpunkt dürfte aber sein, ob Beschäftigte bei weniger Arbeitszeit proportional weniger Lohn bekommen oder gleich bezahlt werden wie für fünf Tage. Vier Tage arbeiten, aber dafür weniger verdienen, kann sich nicht jeder leisten. Andersherum ist nicht jedes Unternehmen dazu bereit, für weniger Arbeitszeit den gleichen Lohn zu bezahlen. Ein Sonderweg ist das belgische Modell, das Anfang Februar 2022 eingeführt wurde. Arbeitnehmer können ihre zu leistenden Wochenstunden auf vier Tage aufteilen. Der Lohn bleibt gleich, aber auch die Gesamtarbeitszeit. Das führt dann unter Umständen zu Zehn-Stunden-Tagen. Ob man das möchte, muss jeder selbst entscheiden.

Die 40-Stunden-Woche stammt aus einer Zeit, in der nur der Mann sie leisten musste

Dazu kommt das Problem, dass viele Unternehmen immer noch am liebsten Vollzeitkräfte einstellen, weil man mit ihnen am besten kalkulieren kann. „Viele Chefs gehen immer noch davon aus, dass nur eine volle Arbeitskraft eine wertvolle Arbeitskraft ist. Dabei haben etliche Menschen gezeigt, dass sie im Homeoffice in sechs Stunden genauso viel schaffen wie im Büro in acht Stunden“, schreibt Sara Peschke, Redakteurin im SZ-Magazin, in ihrem Buch „Wie wir arbeiten wollen“.

Bücher zum Thema

Carsten C. Schermuly: New Work Utopia. Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt, Haufe Verlag, 150 Seiten, 29,95 Euro

Sara Peschke: Wie wir arbeiten wollen. Über Selbstbestimmung und Selbstausbeutung, Harper Collins, 160 Seiten, 15 Euro

Andrew Barnes/Stephanie Jones: The 4 Day Week. How the flexible work revolution can increase productivity, profitability and well-being, and create a sustainable future, 14,99 Euro (auf Englisch)

Im Buch beschäftigt sie sich vor allem mit der Homeoffice-Phase während der Corona-Zeit, entwirft aber zugleich verschiedene Szenarien für die Arbeitswelt von morgen. Auch die wöchentliche Arbeitszeit ist dabei ein wichtiger Punkt. Die Idee der 40-Stunden-Woche sei zu einer Zeit entstanden, in der es pro Familie nur einen Arbeitenden gab – meistens den Mann. Das heißt, eine Person hat 40 Stunden an fünf Tagen gearbeitet, die andere hat zuhause alles zusammen gehalten und erledigt. „In jungen Familien ist es heute aber oft so, dass eine Person 100 Prozent arbeitet und die andere 60 Prozent. Zusammen kommt man dann auf ein Pensum, das total irrsinnig ist“, findet Peschke.

Gemischte Erfahrungen im Ausland

Befürworter der Vier-Tage-Woche betonen, dass Angestellte aufgrund der längeren Erholungspausen an den langen Wochenenden motivierter, produktiver und enger an das Unternehmen gebunden seien. Diese Beobachtungen bestätigt ein Projekt in Island, bei dem im Auftrag der Regierung 2500 Menschen fünf Jahre lang nur vier Tage pro Woche gearbeitet haben – und zwar ohne Lohnabzug. Das Ergebnis: Die Beteiligten waren insgesamt glücklicher und weniger gestresst, ein Produktivitätsverlust wurde nicht registriert. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Microsoft. Der Konzern testete 2019 in Japan die Vier-Tage-Woche. Dabei zeigte sich, dass die Produktivität um 40 Prozent zunahm und dass die Stromkosten um 23 Prozent sanken.

In Schweden wurde bereits 2015 die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohn getestet, das Urteil fiel jedoch gemischt aus. Selbst Schwedens Linke fand die Umsetzung zu teuer. Einzelne Unternehmen hielten an der Idee einer verkürzten Arbeitszeit jedoch fest. In Spanien soll ebenfalls die Vier-Tage-Woche erprobt werden. Etwa 6000 Mitarbeiter von 200 kleinen und mittleren Unternehmen könnten ihr Wochenende dann bei vollem Gehalt um einen Tag verlängern. Die Probephase soll mindestens ein Jahr laufen, wann gestartet wird, ist noch unklar.

Mehrheit der Deutschen für die Einführung der Vier-Tage-Woche

In Deutschland spricht sich die Mehrheit der Bevölkerung für die Vier-Tage-Woche aus. Laut einer Forsa-Umfrage von Februar 2022 im Auftrag von RTL und ntv würden sich 59 Prozent der Erwerbstätigen für eine Vier-Tage-Woche entscheiden, wenn sie die Wahl hätten. 31 Prozent wäre es demnach lieber, ihre jetzige Wochenarbeitszeit an fünf Tagen zu leisten. Das Vier-Tage-Modell würden vor allem Erwerbstätige im mittleren Alter (30- bis 44-Jährige: 64 Prozent) und Beschäftigte mit höherem Bildungsabschluss (62 Prozent) bevorzugen.

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Vor die Wahl gestellt, würde über die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer (54 Prozent) eine Vier-Tage-Woche einer Gehaltserhöhung vorziehen. Den freien Tag würden die Menschen demnach vor allem für Hausarbeit, Erledigungen und Einkaufen nutzen, aber auch für Hobbys, Sport und Bewegung. Die meisten Befragten würden sich für den Freitag als freien Tag entscheiden, aber auch Montag und Mittwoch wurden genannt, wie das Technologie-Unternehmen HubSpot in der Studie „Hybrides Arbeiten 2022“ herausgefunden hat.

Am fünften Tag muss für Ersatz gesorgt sein

Für Carsten Schermuly ist eine Vier-Tage-Woche aber nicht automatisch die Lösung: „Die Frage ist, was in diesen vier Tagen passiert. Es bringt überhaupt nichts, sich in vier Tagen vollkommen zu verausgaben und dann drei Tage zu brauchen, um irgendwie wieder ins Lot zu kommen. Besser ist es doch dann, wenn ich in fünf Tagen meine Aufgaben auch vernünftig bewältigen kann.“ Damit eine Vier-Tage-Woche funktionieren kann, müsse das Unternehmen organisatorisch so gut aufgestellt sein, dass die Arbeitsprozesse in vier Arbeitstagen nicht über die Maßen verdichtet würden.

Dafür brauche es viel Disziplin und eine sehr gute Organisation. Zum Beispiel müssen die Unternehmen die Arbeit so organisieren, dass es am fünften Tag Ersatz gibt. Denn Angestellte, die nur vier Tage arbeiten, sind einen Tag lang nicht für Kunden und Geschäftspartner erreichbar.

Wie realistisch eine Vier-Tage-Woche bei uns ist, hängt in der Hauptsache vom Unternehmen ab.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will keine generelle Möglichkeit einer Vier-Tage-Woche einführen, aber flexiblere Arbeitszeitmodelle ausbauen. Dem Tagesspiegel sagte er jüngst in einem Interview: „Ich möchte das nicht für den gesamten deutschen Arbeitsmarkt vorschreiben. Wenn so ein Modell zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern oder Betriebsparteien vereinbart werden kann, ist dagegen nichts einzuwenden. Mir geht es darum, Flexibilität zu ermöglichen, damit die Arbeit an die Bedürfnisse der Menschen angepasst ist.“