Dirk BaldringerDer Meister des Meisters

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Dirk Baldringer in seinem Opladener Tonstudio. BILD: RALF KRIEGER

Dirk Baldringer in seinem Opladener Tonstudio. BILD: RALF KRIEGER

Opladen – Sein Händedruck ist fest. Er wird beinahe unwirklich, wenn man bedenkt, wer diese Hände bereits schüttelte: Kuddel, Major, Carl Carlton, Jakob Hansonys, Stephan Zobeley. Für manche sind das nur Namen. Andere aber wissen: Sie gehören zu Gitarristen, die mit Bands und Musikern wie Bap, den Toten Hosen, Peter Maffay oder Herbert Grönemeyer die Rockmusik prägten. Und alle schwören sie auf Dirk Baldringers Hände, die gerade an einem Paar verbeulter Telefunken-Boxen aus den 70er Jahren herumschrauben. Wer die Geiz als geil anpreisenden HiFi-Tempel dieser Welt von innen kennt, muss bei diesem Anblick lächeln. Mit „High-End“ hat das nichts zu tun. Dirk Baldringer aber wird sentimental, wenn er einen uralten Lautsprecher, einen antiquierten Verstärker oder ein ausgelutschtes Effekt-Pedal für Gitarristen in der Hand hält: „Das sind echte Schätzchen“, sagt er dann. „Von denen geht Magie aus.“ Und die zu erwecken ist ihm Lebensaufgabe. Deshalb kommen die Leute zu ihm, dem verrückten Elektrozauberer vom Hinterhof.

Dass die Uhren in seinem magischen Mikrokosmos anders ticken, merkt man, sobald man genauer hinhört: Aus dem kleinen Radio auf dem Tisch tönt ein englischer Sender. Die spielen seit jeher die bessere Musik. Keine Klassik, keine Volksmusik, kein Chart-Müll. Sondern das Neueste von der Insel, wo sowieso jeder ernstzunehmende Musiktrend geboren wird. Dirk Baldringer weiß Bescheid. Er kennt das Geschäft - und das Geschäft kennt ihn. Sein Laden an der Opladener Wilhelmstraße mag von außen eher unscheinbar sein: ein Altbau zwischen Tattoo-Studio, Büdchen und Kneipe. Drinnen aber laufen die Fäden der Musikwelt zusammen. Wie alles anfing? Ganz einfach: „Ich konnte schon als Kind meine Pfoten nicht von der Technik lassen und musste an allem rumbasteln“. Deshalb lernte Dirk Baldringer direkt nach der Schule Zweiradmechaniker und schraubte abends und an Wochenenden an den Mofas seiner Kumpels - zum Beispiel, um sie schneller zu machen.

„Frisieren“ nannte man dieses von der Polizei geächtete, von Jugendlichen bewunderte Handwerk damals, zu einer Zeit, als es noch LPs gab und die Kinder nicht am Computer hockten, sondern „Räuber und Gendarm“ oder Fußball spielten. Und wenn Dirk Baldringer von damals erzählt, dann huscht auch noch so ein freches, bubenhaftes Lächeln über sein Gesicht. Indes: Seine wahre Leidenschaft, das, was ihn so richtig kitzelte, war immer schon die Bühnentechnik. Sie war seine Eintrittskarte in die Welt der Rockmusik. Als erstes bastelte er einen Verzerrer für seinen Bruder. Der spielte Gitarre in einer dieser zahllosen Chaotenbands, die Teenager irgendwann eben gründen, um ihren Idolen nachzueifern, wollte laut und schräg klingen - und hatte kein Geld, um sich teure Markenware zu kaufen. „Deshalb habe ich mich hingesetzt, etwas rumgesponnen“, sagt Dirk Baldringer, „und billig aus alten Teilen was Neues gebastelt.“ Es war eine Spinnerei, die im Patent endete: Effektgeräte wie sein „Dual Drive“ sind heute mit dem Schriftzug „by Baldringer“ versehen und finden Abnehmer in aller Welt.

Das Netz der berühmten Hände, die er schüttelte, baute sich schnell und stetig auf. Es war das Gesetz der Szene: ein wenig Mund-zu-Mund-Propaganda oder ein kleiner Artikel in der Fachzeitschrift hier, ein kurzes Schwätzchen beim Konzert da - und schon rennen sie einem die Bude ein. „Dieser ganze Musikzirkus“, sagt Dirk Baldringer, fläzt sich mit den Händen in den Hosentaschen auf seinem Stuhl und legt seine geballte Weisheit in diese Worte, „ist ohnehin total klein und überschaubar.“ Soll heißen: Die Großen mussten zwangsläufig bei ihm landen - entweder zu der Zeit, als er noch im legendären Opladener Geschäft „Uli's Musik“ arbeitete. Oder später, als Dirk Baldringer den eigenen „Bastelladen“ eröffnete. Verrückt aufs Basteln sind sie jedenfalls alle: Schon Joe Cocker oder Paul McCartney klingelten in der Wilhelmstraße durch, wenn sie auf Tournee in Deutschland waren und schnell ein Gerät fürs Konzert benötigten. Der „Major“ gründete zu Bap-Zeiten seinen Rockgitarrensound komplett auf Baldringer-Maschinen. Und dann sind da noch die unzähligen Hobbygitarristen von nebenan, die was zum Krachen im Proberaum benötigen. Dirk Baldringer war schon immer für alle da. Und er erweiterte sein Zauberreich, als er sich auch noch ein Tonstudio ins Hinterhaus setzte. Jetzt stehen draußen vor dem Fenster die Mülltonnen im Hof, während drinnen Brings und Guildo Horn ihre Platten aufnehmen. „Superjeile Zick, Guildo hat euch lieb, Ich find' Schlager toll - das ist alles hier entstanden“, sagt Produzent Dirk Baldringer, der somit quasi zum „Meister des Meisters“ wurde. Er schreitet voran zum riesigen Mischpult und dreht an den Knöpfen. Auch in diesem Moment - die Augen blitzen, die Finger zucken - ist es unübersehbar: In ihm kitzelt es. Stetig. Dirk Baldringer ist der auch im 49. Lebensjahr noch jung gebliebene Freak, im Sinne von Idealist. Und ein Freak muss immer was zum Tun, Formen, Kneten haben - einer wie er umso mehr, denn: „Ich habe leider nie gelernt, ein Instrument zu spielen. Das bedaure ich“. Als Ausgleich braucht er eben was anderes für die Finger. Alte Boxen etwa. Bunte Drehknöpfe am Mischpult. Oder berühmte Hände, die geschüttelt werden wollen.

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